Politik/Ausland

30 Geiseln bei Befreiungsversuch getötet

Blutige Wende im algerischen Geiseldrama: Eine Offensive gegen jene Terroristen, die nahe der libyschen Grenze bei einer BP-Anlage dutzende Geiseln genommen hatten, soll einen tödlichen Ausgang genommen haben. Helikopter-Geschosse der algerischen Armee dürften mitten in einer Gruppe von Geiselnehmern und ihren Opfern eingeschlagen haben.

30 der Geiseln, sieben davon ausländische Arbeiter auf dem Gasfeld, sollen von den Bomben getötet worden sein, berichteten lokale Medien - andere Quellen sprechen von bis zu 34 Todesopfern. Außerdem seien elf Islamisten getötet worden, darunter deren Anführer. Ob der entführte Österreicher fliehen konnte oder getötet wurde, ist nicht bekannt.

Stundenlange Angriffe

Der Armeeeinsatz gegen die Geiselnehmer, die ein Ende der französischen Militärintervention im benachbarten Mali fordern, zog sich über Stunden hin. Was genau in der besetzten Erdgasanlage in einem entlegenen Wüstengebiet passierte, war allerdings auch in der Nacht auf Freitag noch nicht klar.

Von den bei dem Befreiungsversuch der Armee getöteten Geiseln habe man bisher die Nationalität von 15 Menschen ermitteln können, sagte ein Vertreter aus dem algerischen Sicherheitsapparat. Acht davon seien Algerier, sieben seien Ausländer, darunter zwei Briten, zwei Japaner und ein Franzose. Zu den getöteten Islamisten zählten neben zwei Algeriern, von denen einer der in der Region bekannte Extremisten-Kommandant Tahar Ben Cheneb gewesen sei, drei Ägypter, zwei Tunesier, zwei Libyer, ein Malier und ein französischer Staatsbürger. Rund 600 algerische Arbeiter der Förderanlage konnten von dort einer Meldung der staatlichen algerischen Agentur APS zufolge fliehen.

Über das Schicksal eines nach Medienberichten ebenfalls gekidnappten Österreichers herrschte weiter Unklarheit. Bei dem Gekidnappten handle es sich um einen 36-jährigen Niederösterreicher, der im Land für eine Ölfirma tätig war, sagte Außenamtssprecher Martin Weiß. Der österreichische Botschafter in Algier stehe in ständigem Kontakt mit den algerischen Behörden, die die Ermittlungen leiten würden.

Eine der norwegischen Geiseln im algerischen Gasfeld In Amenas ist zudem in der Nacht auf Freitag in Sicherheit gebracht worden. Der Mann werde im Krankenhaus vor Ort behandelt, teilte der norwegische Energiekonzern Statoil im Sender tv2 mit. Ein Unternehmenssprecher wollte sich nicht zu Einzelheiten und zum Gesundheitszustand des Mannes äußern. Er sagte, das Schicksal von weiteren acht norwegischen Geiseln sei noch immer ungeklärt. Statoil hatte am Vorabend mit einem Sonderflug vier der früher freigekommenen Geiseln sowie insgesamt 40 eigene Mitarbeiter aus Algerien ausgeflogen und nach London gebracht.

Mali-Konflikt als Auslöser

Mittwoch früh waren fast 200 Menschen auf einem BP-Gasfeld von einer der El-Kaida im Maghreb (AQMI) nahestehenden Gruppe als Geiseln genommen worden, um ein Ende der französischen Militärintervention in Mali zu erpressen. Das algerische Militär hatte die Anlage daraufhin umstellt.

Die Entführer haben ein Ende der französischen "Aggression" in Mali gefordert. Die Geiselnahme sei eine Reaktion auf den "Kreuzzug der französischen Truppen" in Mali, hieß es in einer am Mittwoch auf der mauretanischen Website Alakhbar veröffentlichten Erklärung. Auf der Website werden regelmäßig Mitteilungen von Dschihadisten publiziert. Die Geiselnehmer stammen nach jüngsten Regierungsangaben aus Libyen. "Nach allen uns vorliegenden Informationen" sei "die Terroristengruppe" aus dem Nachbarland über die Grenze gekommen, zitierte die algerische Tageszeitung Echorouk am späten Donnerstag in ihrer Internetausgabe Innenminister Dahou Ould Kablia. Am Mittwoch hatte der Minister gesagt, die Geiselnehmer kämen aus der Umgebung des Gasfelds. Damit verärgerte er die Behörden der betroffenen Region, die an Libyen grenzt.

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"Wir bestätigen, dass die ausländischen Geiseln mehr als 40 Kreuzfahrer sind, darunter sieben Amerikaner und zwei Briten", hieß es in der Mitteilung der Gruppe des Algeriers Mochtar Belmochtar weiter. Belmochtar ist einer der bekanntesten Anführer des nordafrikanischen El-Kaida-Ablegers AQMI (siehe Hintergrund weiter unten). Algerien sei als Ort der Geiselnahme ausgewählt worden, weil der algerische Luftraum für die französische Luftwaffe geöffnet worden sei.

Internationale Kritik

Indes wird Kritik an Algerien laut: Tokio sei über die Militäroperation zur Befreiung der Geiseln nicht informiert worden, sagte der japanische Regierungssprecher Yoshihide Suga am Freitag. Die Operation sei bedauerlich, wurde Suga von japanischen Medien zitiert. Das Schicksal von 14 Landsleuten sei noch unklar, hieß es in Tokio. Drei Japaner seien in Sicherheit.

Der norwegische Ministerpräsident Jens Stoltenberg beklagte am Donnerstagabend, man habe noch immer keine sicheren Informationen über das Schicksal der Geiseln. Stoltenberg sagte in Oslo, dass seine Regierung Algerien offiziell um militärische Zurückhaltung zum Schutz der Geiseln gebeten habe. Er sei dann zu Mittag um 12.00 Uhr telefonisch von seinem algerischen Kollegen lediglich über die bereits laufende Militäraktion informiert worden. Auch die offiziellen Informationen aus Algier nach dem vermutlichen Abschluss des Militäreinsatzes sei unvollständig gewesen.

Der britische Premierminister David Cameron zeigte sich unzufrieden. Großbritannien müsse sich auf weitere schlechte Nachrichten einstellen. Es sei eine "äußerst schwierige Situation", meinte Cameron, der wegen der dramatischen Lage seine für Freitag in Amsterdam geplante Grundsatzrede zum britischen Verhältnis zur EU absagte. Auch die USA forderten "Klarheit" von Algier. Die Regierungen in den USA, Frankreich, Norwegen, Großbritannien, Irland und Japan hatten zuvor bestätigt, dass sich Bürger ihrer Länder unter den Geiseln befinden.

Der französische Präsident François Hollande hat die Situation in Algerien als "dramatisch" bezeichnet. Er werde von den Behörden in Algier zwar regelmäßig informiert, sagte Hollande am Donnerstagabend in Paris. "Aber ich verfüge noch nicht über genug Informationen, um eine Bewertung abzugeben." Laut Hollande rechtfertigt die Geiselnahme "noch mehr" das militärische Eingreifen seines Landes in Mali. Es gehe dabei darum, eine "terroristische Aggression" zu beenden.

Erpressung

Die Islamisten wollen mit der Geiselnahme offenbar auch die Freilassung von inhaftierten Gesinnungsgenossen erpressen. Ein Augenzeuge der Geiselnahme und Angestellter auf einem Standort des britischen Konzerns BP und der norwegischen Statoil im Osten des Landes sagte der Nachrichtenagentur AFP, die in Algerien inhaftierten Islamisten sollten in den Norden Malis gebracht werden, dann würden die Geiseln freigelassen.

Erst kürzlich war im Jemen ein Österreicher in die Geiselhaft von El-Kaida-Terroristen geraten - derzeit wird über die Freilassung von Dominik N. verhandelt.

Sein Spitzname lautet „Mr. Marlboro“ – nicht weil er etwa Kettenraucher wäre, sondern weil Mochtar Belmochtar, eine Zentralfigur der islamistischen Terroristen in der Sahelzone, das Geld für seinen Dschihad („Heiligen Krieg“) mit Zigaretten-, aber auch mit Drogen- und Waffenschmuggel ergaunerte. Und mit Lösegeld-Einnahmen nach Entführungen von Ausländern aus dem Westen.

Mit 19 im Terrorcamp

1972 im Osten Algeriens geboren, entwickelte Belmochtar schon als Schulkind Sympathien für radikales Gedankengut. Mit 19 ging er nach Afghanistan, wurde in Terrorcamps ausgebildet und kämpfte als „Gotteskrieger“ am Hindukusch. Dabei verlor er ein Auge, die Presse in seiner Heimat nennt ihn bloß den „Einäugigen“.

Als der Fanatiker 1993 in seine Heimat zurückkehrte, versank Algerien gerade im Kampf zwischen Militär und den Islamisten. Er schloss sich der radikalen „Bewaffneten Islamischen Armee“ (GIA) an, wechselte aber bald zu einer noch weit extremistischeren Gruppe, die später in der „Al Kaida des Islamischen Maghreb“ (AKIM) aufging. Dort befehligte Belmochtar die gefürchtete „Brigade der Vermummten“.

Das Verhältnis zwischen dem „Einäugigen“ und der AKIM war aber stets spannungsgeladen, im Dezember des Vorjahres kam es zum Bruch – nicht zuletzt wegen Streitigkeiten um die Einnahmen aus dem Schmuggel: Belmochtar, der auch enge Bande zu Tuareg-Stämmen geknüpft hatte, sagte sich von AKIM los und formierte eine neue Truppe. Der Name: „Das Bataillon, das mit Blut unterschreibt“. Die bärtigen Männer dieser Terrorgruppe hatten am Mittwoch Dutzende Geiseln auf einer Gasförderanlage an der algerisch-libyschen Grenze genommen.

Aufenthalt in Mali

Berichten zufolge hatte sich „Mr. Marlboro“, der mit vier Frauen verheiratet sein soll, zuletzt auch in Mali aufgehalten. Nachdem Islamisten den Norden des Landes im Vorjahr überrannt hatten, die jetzt von Frankreichs Armee bekämpft werden, soll er in der Stadt Gao am Aufbau einer brutalen Scharia-Verwaltung mitgewirkt haben. Im Vormonat hatte seine Einheit, die aus mehreren Hundert Kämpfern bestehen soll, vor jedem Versuch gewarnt, die Islamisten aus Nordmali vertreiben zu wollen.

Die Waffen der Dschihadisten stammen aus libyschen Arsenalen, an denen sie sich nach dem Sturz von Machthaber Gaddafi bedienten. Sie sollen über Panzerabwehrgeschoße und Boden-Luft-Raketen verfügen. (von Walter Friedl)

Das Herumeiern, das die Außenminister auch gestern wieder vorexerzierten, ist blamabel und unerträglich. Nur diplomatische und logistische Unterstützung für Frankreichs Wüstenkrieg in Mali gegen die Radikal-Islamisten ist zu wenig. Spätestens nach den Dutzenden Toten bei der Geiselnahme in Algerien ist es eindeutig: Dieser Krieg vor der europäischen Haustüre geht uns alle an. EU-Militärberater – gut und schön, doch es müssen jetzt auch Truppen her.

Wortreich haben Minister in Berlin einst das Afghanistan-Engagement damit begründet, dass am Hindukusch die Sicherheit Deutschlands verteidigt werde. Und heute? Ein paar Transportflugzeuge könnte Berlin beisteuern. Sehr ambitioniert. Auch die Briten gehen in Deckung – keine Kampftruppen. Österreich hat für das brennende Problem ohnehin keine Zeit: Das Parteien-Hickhack um Wehrpflicht oder Berufsarmee lähmt alles. Verantwortungslos nennt man das.

Die Radikal-Islamisten in der Sahelzone, die nur die Sprache der Gewalt verstehen, sind bestens vernetzt und ausgerüstet. Der Kampf gegen sie ist daher kein Spaziergang. Und dennoch: Was ist die Alternative? Sie gewähren lassen und ein „Afrikanistan“ einfach hinnehmen.

Nein, Europa muss die Reihen schließen, gemeinsam marschieren und mit den afrikanischen Staaten versuchen, dem terroristischen Spuk ein Ende zu bereiten. Das Risiko zu scheitern (siehe Afghanistan), ist nicht wegzuleugnen. Nichts zu tun, wäre aber viel gefährlicher.

27. Februar 1998
Nach fast zwei Wochen in der Gewalt von Geiselnehmern im westafrikanischen Sierra Leone kommen fünf europäische Missionare, unter ihnen der Vorarlberger Arzt Andreas Erhard (36), wieder frei. Die Entwicklungshelfer des Ordens der Barmherzigen Brüder waren am 14. Februar aus ihrem Spital in Lusar verschleppt worden. Die Entführung ereignete sich zwei Tage nach dem Sturz der Militärjunta.

23. April 2001
Eine Geiselnahme pro-tschetschenischer Rebellen in einem Istanbuler Luxushotel geht noch am gleichen Tag ohne Blutvergießen zu Ende. Die bewaffneten Kidnapper lassen die 120 Menschen in ihrer Gewalt - unter ihnen auch bis zu acht Österreicher - nach fast zwölf Stunden frei und ergeben sich der Polizei.

13. Mai 2003
Alle zehn in der algerischen Sahara entführten Österreicher werden nach fast zwei Monaten aus der Hand ihrer Geiselnehmer - der Salafisten-Gruppe für Predigt und Kampf (GSPC) - befreit und kehren nach Österreich zurück. Gemeinsam mit den acht Salzburgern und zwei Tirolern kommen sechs Deutsche und ein Schwede frei. Damit befinden sich noch 15 der ursprünglich insgesamt 32 entführten Europäer in der Gewalt von Geiselnehmern. Bei ihnen handelt es sich um zehn weitere Deutsche, vier Schweizer und einen Niederländer. Sie kommen Mitte August 2003 frei, eine deutsche Geisel überlebt die Strapazen nicht.

13. Juli 2005
Ein im Gaza-Streifen entführter Österreicher und ein Brite werden nach wenigen Stunden wieder freigelassen. Der Steirer Volker Mitterhammer, der für eine Tiroler Firma als Ingenieur für Wasseraufbereitungsanlagen arbeitet, war gemeinsam mit seinem britischen Kollegen von zwei Personen in ein Auto gezerrt und in das Flüchtlingslage Al Bureij gebracht worden. Beide Männer werden freigelassen, nachdem hohe palästinensische Offizielle einschreiten.

24. Dezember 2005
Während einer ganzen Serie von Einführungen von Ausländern im Jemen geraten auch die beiden österreichischen Architekten Barbara Meisterhofer (31) und Peter Schurz (52) in die Hände von Geiselnehmern. Nach wenigen Tagen kommen sie nach Verhandlungen zwischen Stammesführern und der Zentralregierung in Sanaa am 24. Dezember unversehrt wieder frei.

4. April 2006
Die Leichen der seit Jänner 2006 vermissten österreichischen Touristen Peter Kirsten Rabitsch (28) und Katharina Koller (25) werden in der bolivianischen Hauptstadt La Paz gefunden. Sie waren von Kriminellen entführt, ausgeraubt und ermordet worden. Das auf Weltreise befindliche Wiener Paar war von der bolivianischen Stadt Copacabana am Titicacaca-See kommend, am 26. Jänner in La Paz verschwunden. Im August 2006 werden die mutmaßlichen Mörder gefasst und ein Jahr später zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.

16. November 2006
Der 25-jährige Oberösterreicher Bert Nussbaumer wird gemeinsam mit vier US-Bürgern und neun ortsansässigen Mitarbeitern der US-Sicherheitsfirma Crescent Security im Irak entführt. Nach ersten Video-Botschaften, die die Entführer den Behörden bzw. Medien zuspielen, gab es monatelang kein Lebenszeichen der Geiseln mehr. Im März 2008 werden mehrere Leichen im Irak gefunden. Eine davon wird in den USA als Bert Nussbaumer identifiziert.

Februar 2008
Zwei Touristen aus Österreich - die Halleiner Wolfgang Ebner (51) und Andrea Kloiber (43) - werden im tunesisch-algerischen Grenzgebiet gekidnappt und in den Norden Malis verschleppt. Die beiden Österreicher befinden sich 252 Tage lang in Geiselhaft des nordafrikanischen Zweigs des internationalen Terrornetzwerks El-Kaida "El-Kaida im islamischen Maghreb" (AQMI). Nach langen Verhandlungen gibt das Außenministerium in Wien Ende Oktober ihre Freilassung bekannt.

Jänner 2012
Bei einem Überfall auf europäische Touristen im Nordosten Äthiopiens werden fünf Menschen getötet. Bei einem Opfer handelt es sich um einen Österreicher. Bei den Tätern soll es sich der Landesregierung zufolge um von der eritreischen Regierung ausgebildete Banditen gehandelt haben. Eritreische Diplomaten weisen diese Vorwürfe zurück.

21. Dezember 2012
Ein 26-Jähriger, der vermutlich einen Sprachkurs im Jemen gemacht hat, wird in der Hauptstadt Sanaa - gemeinsam mit einem finnischen Paar - entführt. Sie wurden laut Medienangaben von vier bewaffneten Männern in ein Auto gezerrt und verschleppt.