Politik/Ausland

Kinder sind "einfaches Ziel für russische Propaganda"

"Das ist kein Urlaub, wir versuchen am Leben zu bleiben", erklärt der vierjährige Hryhorij. Und Eva (10) sagt: "Mach dir keine Sorgen, Mama, es ist Donner. Ich kann schon Donner von Explosionen unterscheiden." Solche Aussagen ukrainischer Kinder zum Krieg in ihrem Land hat die Nichtregierungsorganisation Voices of Children gesammelt und in einem Buch dokumentiert. Die NGO hilft Kindern und sammelt auch Informationen über Kriegsverbrechen an Minderjährigen.

16.206 Kinder seien zwangsweise nach Russland oder in von Moskau besetztes ukrainisches Gebiet deportiert worden, erklärt der Anwalt und Experte am Institut für Sozialforschung in Charkiw, Andrij Tschernousow, in einer Pressekonferenz am Mittwochnachmittag in Wien. Die Missionen der USA, der EU und der Ukraine bei der OSZE haben die ukrainische NGO nach Wien geladen, um bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) über das Thema zu sprechen.

Tschernousow zitiert nach eigenen Angaben bestätigte Fälle von Deportationen. Tatsächlich könne diese Zahl aber weit höher liegen. Schätzungen sprechen von 700.000 Kindern. Mehr als 300 von ihnen konnten wieder zurück zu ihren Eltern gebracht werden.

Russisch-Unterricht, sexuelle Gewalt

Kinder seien "ein einfaches Ziel für russische Propaganda", ergänzt die Leiterin von Voices of Children, Olena Roswadowska. Sie und Tschernousow berichten, dass Russland versuche, die Identität der entführten Minderjährigen auszulöschen. Die Kinder bekämen innerhalb von kurzer Zeit neue Geburtsurkunden, weswegen die Nachverfolgung auch schwierig sei. Die Ukraine bekämen außerdem Russisch-Unterricht, sogenannte "patriotische" Lektionen sowie auch Informationen, wie man Waffen benutzt.

Aber auch für die in der Ukraine verbliebenen Kinder ist die Lage natürlich äußerst schwierig. Millionen von ukrainischen Kindern leben unter Kriegsbedingungen, sagt Roswadowska, deren Organisation praktische, aber auch psychologische Hilfe anbietet. 3.000 Schulen und Kindergärten seien zerstört, 30 Prozent des Landes vermint. Manche Orte seien so zerbombt, dass es unklar ist, ob sie überhaupt wieder bewohnbar gemacht werden können. Mehr als 460 Kinder sind in dem Krieg gestorben, mehr als 900 verletzt worden. Es gebe 2.600 Ermittlungen zu Verbrechen gegen Kinder. Der ukrainische Generalstaatsanwalt habe mehr als 100 Fälle von sexueller Gewalt durch Russen nachgewiesen, zwölf davon beträfen Kinder.

Wie es den Kindern im Krieg geht, zeigt auch der Film "A House Made of Splinters" (Ein Haus aus Holzsplittern) des dänischen Regisseurs Simon Lereng Wilmont, an dem auch Roswadowska und der Voices of Children-Mitbegründer und Dokumentarfilmer Asad Safarow mitgearbeitet haben. Der Dokumentarfilm über Kinder aus einem zerstörten Waisenhaus, deren Schicksal sich innerhalb eines Augenblicks verändert, ist für den diesjährigen Oscar nominiert.