Politik/Ausland

Katalanische Massendemo für ein Referendum

David Cameron gibt sich dieser Tage als reumütiger Liebhaber: Er umschwärmt die Schotten, ist bei einer Rede sogar den Tränen nahe. Der britische Premier fährt große Geschütze auf, um die Schotten doch noch zu Nein-Sagern zu machen. Nein zur Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich.

Sein spanischer Kollege Mariano Rajoy ist davon noch weit entfernt. Unterkühlt ist dieser Tage das Verhältnis zwischen dem Regierungschef und dem Premier in Katalonien, Artur Mas. Dieser hat den Wunsch vieler Katalanen nach einer Abspaltung wiederholt in Madrid deponiert und ein Referendum für den 9. November initiiert – ob es stattfindet ist allerdings unklar. Laut spanischer Regierung verstößt solch eine Befragung gegen die Verfassung.

Kundgebungen für und dagegen

Hunderttausende Katalanen demonstrierten am Donnerstag in Barcelona, um den Druck auf Rajoy zu erhöhen. In die rot-gelben Farben der Unabhängigkeitsbewegung mischten sich am Donnerstag auch blau-weiße schottische Nationalflaggen, das Motto der Kundgebung lautete "Jetzt ist die Zeit!". Nach Schätzung des Rathauses strömten 1,8 Millionen Teilnehmer zusammen und verlangten volle Souveränität für Katalonien, nach Angaben aus Madrid waren es rund eine halbe Million.

Auch dagegen wurde demonstriert: In Tarragona fanden sich einige Tausend ein, um gegen die Unabhängigkeitsbewegung zu protestieren.

Bilder der Demonstration in Barcelona:

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Tags zuvor hat Artur Mas erneut an Rajoy appelliert die Befragung zuzulassen und die Katalanen selbst über eine mögliche Unabhängigkeit abstimmen zu lassen. Noch sei Zeit, eine Eskalation zu verhindern, warnte er. Am Abend kam es bereits zu ersten Demonstrationen, mit Fackeln marschierten Befürworter durch die Straßen Barcelonas.

Angst vor EU-Austritt

Die separatistischen Katalanen beobachten die Entwicklungen in Schottland genau. Regionalpräsident Mas sagte gegenüber AFP, er sei sich "absolut sicher", dass die europäischen Staatschefs im Falle eines Siegs der Unabhängigkeitsbefürworter in Schottland das Ergebnis respektieren würden. "Das ist sehr wichtig für Katalonien, denn das bedeutet: Wenn eine Nation wie Schottland das Recht hat, über seine Zukunft zu bestimmen - warum soll es dann nicht auch Katalonien tun?" Die EU-Kommission hat stets darauf verwiesen, dass ein Staat, der durch die Loslösung aus einem Mitgliedstaat entsteht, einen langwierigen Beitrittsprozess durchlaufen müsse. Für viele Katalanen und Schotten ist die Angst vor einem Austritt aus der Union und den Folgen deshalb groß.

Dominoeffekt

Spanien hingegen sieht seine nationale und territoriale Einheit bedroht. Das Land hat außerdem nicht nur in Katalonien mit separatistischen Tendenzen zu kämpfen: Auch viele Basken sehen sich als eigene Nation und fordern die Loslösung. So wie die Schotten für die Katalanen, könnte diese demnach für die Basken sein: ein Anstoß für einen intensivierten Unabhängigkeitskampf.

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Es fällt schwer, sich der Begeisterung zu entziehen, die in Schottland und der spanischen Region Katalonien weite Teile der Bevölkerung erfasst hat. Ein eigener Staat, die Loslösung von einem traditionell ungeliebten Mutterland, ist auf einmal zum Greifen nahe. In Schottland stimmt man kommende Woche, in Katalonien aller Erwartung nach im November, über die Unabhängigkeit ab. Da schwenken auf einmal junge Leute Nationalflaggen, stimmen auf der Straße Hymnen an und begeistern sich für eine politische Idee – und die ist natürlich bestechend simpel. Die Grenze, die man um die neue Heimat ziehen will, ist nicht nur eine Möglichkeit, die eigene, vielleicht bisher recht wackelige Identität auf einen Sockel zu stellen, sondern scheinbar auch alle Schwierigkeiten – ob wirtschaftlich oder politisch – dahinter abzulagern. Für all das kann man auf einmal die anderen, jenseits der Grenze verantwortlich machen

Ist es nicht das gierige, und obendrein rechts der Mitte regierte London, das den Ölreichtum der Schotten anzapft, das faule, bürokratische Madrid, das dem arbeitsamen Katalonien die Steuerschrauben anzieht? So leicht funktionieren auf einmal Schuldzuschreibungen. Doch nur solange, bis die tatsächlich zum Ziel führen – und diese Regionen auf einmal als Staat dastehen. Dann gibt es kein London mehr, das für Schottlands krasse soziale Gegensätze verantwortlich gemacht werden kann, für seine oft veraltete, nicht konkurrenzfähige Industrie, kein Madrid, dem man die Schuld für Kataloniens kollabierendes Bankensystem geben kann. Eine Grenze, irgendwoher aus der Geschichte herbeizuzaubern, löst keine Probleme, sie ist oft nur ein billiger Vorwand, um mit Vorurteilen Politik zu machen.