Über das leidige Scheitern der USA und Europas
Von Andreas Schwarz
Er kennt Europa gut, wo er Wirtschafts- und Verteidigungsminister unter Angela Merkel war. Und er kennt die USA gut, wo er seit seinem Rücktritt wegen einer Plagiatsaffäre lebt und für einen renommierten außenpolitischen Thinktank tätig ist. Und beiden, Europa und den USA, stellt Karl Theodor zu Guttenberg ein vernichtendes Zeugnis aus, was deren außenpolitische Visionen und Aktionen betrifft. Dank Barack Obama seien die USA in der längsten "Lame duck"-Phase ihrer Geschichte.
KURIER: Die USA geben das Tempo bei den Sanktionen gegen Russland vor, bei den Iran-Verhandlungen, und im Nahost-Konflikt sind sie und nicht Europa Vermittler – ohne Amerika geht scheinbar wieder einmal gar nichts auf der Welt.
Karl-Theodor zu Guttenberg: Das ist gleichzeitig Ausdruck einer weiterhin bedenklichen Schwäche der europäischen Außenpolitik und eines eklatanten Mangels an Koordinierung. In den USA wiederum ist viel außenpolitischer Aktionismus feststellbar, aber die großen Linien, eine schlüssige Außenpolitik, sind nicht erkennbar.
Das Verhältnis des amerikanischen und russischen Präsidenten ist so schlecht wie zuletzt im Kalten Krieg, im Nahost-Konflikt haben die USA nichts weitergebracht – woran liegt das?
Das war der Verhandlungsplan für eine Zweistaatenlösung für Israel und die Palästinenser, der vom verbündeten Israel ebenso kritisiert wurde wie Kerrys Gaza-Vermittlungsversuche. Können es die USA nicht mehr?
Das hat auch damit zu tun, dass es dieses Außenpolitik-Vakuum in der ersten Amtszeit Obamas gab.
Wieso Vakuum?
Weil die Abstimmung zwischen dem Außenministerium, das mit Hillary Clinton personell stark besetzt war, und dem Weißen Haus nahezu gänzlich gefehlt hat.
Warum?
Als Hillary Clinton das Amt übernommen hat, hat sie das Außenministerium fast ausschließlich mit ihren Anhängern besetzt, umgekehrt fand das Gleiche im Weißen Haus und im Nationalen Sicherheitsrat statt – damit hat die Abstimmung zwischen den für die Außenpolitik so elementaren Häusern nicht nur geknirscht, sondern teilweise gar nicht stattgefunden. Da gab es eher Konflikt als Kohärenz.
Das soll es woanders hie und da auch geben.
Ja, aber das Besondere in den USA war, dass da zwei Personen mit Führungsanspruch am Werk waren, von denen der eine, Obama, aufgrund mangelnder außenpolitischer Erfahrungen diese Führungsstärke nicht zeigen konnte. Das Knirschen setzte sich in der zweiten und dritten Ebene fort – da darf man sich nicht wundern, wenn der Eindruck von totalem außenpolitischen Chaos entsteht.
"Die USA haben weder den Willen, Israel finanziell unter Druck zu setzen, noch die Kraft, den Verbündeten an Gaza-Übergriffen zu hindern", hieß es kürzlich in einem britischen Kommentar. Teilen Sie das?
Was können die USA im Nahen Osten in dieser Situation überhaupt bewegen?
Ich glaube nicht, dass die USA in der Lage sein werden, in dieser Region allein Lösungen herbeizuführen, dazu bedarf es auch der Kooperation mit Europa.
Das spielte dort noch nie eine Rolle.
Ja, und es müsste endlich einmal verstehen, dass es mit hehren Worten nicht getan ist, sondern dass man Einigkeit finden muss – gerade wenn es um den eigenen Vorgarten geht.
Stichwort Russland: Die US-Sanktionen sind härter als die der EU, auch weil die USA weniger wirtschaftliche Interessen mit Russland haben. Kann sich das Verhältnis Obama/Putin je wieder normalisieren?
Ich bezweifle es, auch wenn das nicht alleine an Obama liegt, sondern am russischen Präsidenten. Der nützt mit eiskaltem Zynismus die Schwäche und die Lähmung des Westens aus. Obama und Putin sollten sich aber auf eine Gesprächsbasis besinnen im Wissen, dass es noch genügend globale Herausforderungen gibt, bei denen es Kooperation und nicht nur offene Auseinandersetzung braucht.
Also die Gesprächskanäle offen halten?
Genau, auch wenn ich die Sanktionen für dringend geboten halte. Sie kamen viel zu spät, insbesondere von Europa. Auch weil die deutsche Seite sehr lange sehr vorsichtig war. Die eigenen Industrieinteressen wollte man nicht unterminieren, die Energieabhängigkeitsfrage bremste, statt dass man sich daran machte, diese Abhängigkeit begrenzt zu suspendieren.
Die EU-Sanktionen hinken den amerikanischen immer noch hinterher. Jeder Staat hat seine Interessen, man fürchtet sich laut davor, wie viel die Sanktionen die eigene Wirtschaft kosten: Lacht sich da Wladimir Putin nicht ins Fäustchen?
Das Fäustchen ist ja durchaus zur Faust geworden, aber auch in selbige wird er lachen. Es zeigt sich einmal mehr, dass es durchaus erfolgversprechend ist, die Europäer mit ihren Interessensfeldern zu spalten.
Die Sanktionen werden verschärft, Russland reagiert mit Gegenmaßnahmen – wo ist der Ausweg aus dieser Spirale?
Für eine langfristige Gas-Unabhängigkeit müsste Europa Gas aus den USA beziehen, die es dank Schiefergas im Überfluss haben – und nicht einmal das kommt zustande aus rechtlichen und anderen Gründen.
Da sprechen Sie einen sehr wunden Punkt an, nämlich die gesetzlichen und die Handelsbarrieren auf amerikanischer Seite. Es fehlt auch noch viel Technik, das dauert natürlich Jahre. Es müsste aber zumindest deutlich gemacht werden, dass mit aller Kraft an dieser Lösung gearbeitet wird, so dass es auch Russland wahrnimmt.
Apropos Energie: Hat das Nachlassen der USA in ihrer Außenpolitik, etwa in Nahost, auch damit zu tun, dass es ja meistens um Öl geht und die USA energieunabhängig werden?
Das wird von der US-Regierung vehement verneint, aber tatsächlich spielt es eine Rolle. Nur auf Dauer ist das nicht klug. Wenn etwa Syrien und Irak sich selbst überlassen werden, unter den Kämpfern der IS (Islamischer Staat) ein Drittel Europäer sind, die irgendwann zurückkehren und von dort aktiv werden, dann trifft das auch die Sicherheitsinteressen der USA elementar.
Innenpolitisch steht Obama unter Druck, Kongresswahlen stehen an – auch nicht die besten Aussichten für eine Aktivierung der US-Außenpolitik, oder?
Sie haben völlig recht. Ich fürchte, wir haben die längste "Lame duck"-Phase (auslaufende Amtszeit eines Präsidenten, Anm.), die wir in der Geschichte der USA je hatten. Obama will am Ende durch innenpolitische Erfolge, die ihm ja auch fehlen, in die Geschichtsbücher eingehen und baut auf einen außenpolitischen Erfolg, das ist die eventuelle Einigung mit dem Iran in der Atomfrage.
Keine außenpolitischen Perspektiven oder Visionen Obamas mehr, der mit dem Friedensnobelpreis in sein Amt gestartet ist?
Wahrscheinlich wäre es gut gewesen, eine Amtszeit mit dem Friedensnobelpreis zu beenden, wenn es denn einen Grund dafür gegeben hätte.
Karl Theodor Freiherr von und zu Guttenberg war ab 2009 Wirtschafts- und dann Verteidigungsminister im Kabinett Angela Merkels.
Der FDP-Politiker (Jahrgang 1971) und glamouröse Jungstar der deutschen Regierung trat im März 2011 wegen der Plagiatsaffäre um seine Doktorarbeit zurück. Seither lebt er in den USA und ist für einen der führenden außenpolitischen Thinktanks CSIS (Center for Strategic and International Studies) als „Distinguished Statesman“ tätig.
Guttenberg befasst sich viel mit Technologiethemen, „die unsere Außen- und Innenpolitik mehr als alles andere mittlerweile zu bestimmen drohen“. Seine Haupttätigkeit ist die als Chairman der von ihm gegründeten Investment- und Advisory-Firma Spitzberg & Partners in New York.