Politik/Ausland

„Die Neigung, sich in eine Krise zu vertiefen“

Einen Hang zur Selbstironie kann man ihm nicht absprechen. „Mit Abschreiben kenne ich mich ja gewissermaßen aus“, sagt Karl-Theodor zu Guttenberg im Verlauf des Interviews in Anspielung auf seine Doktorarbeit. Die zahlreichen Plagiate darin hatten den Star-Minister des Kabinetts Merkel vor zwei Jahren ins politische Abseits befördert. Und bei einer Podiumsdiskussion mit Außenminister Michael Spindelegger, diese Woche in Wien sprach er davon, „nicht zu professoral“ und „nicht in Fußnoten“ reden zu dürfen ...

Der Ex-Minister, der kaum Interviews gibt, wirkt im KURIER-Gespräch aufgeräumt und entspannt. Über Deutschland will er nicht sprechen, über Europa und das Verhältnis zu den USA spricht er mit Verve – und mit der zusätzlichen Außensicht eines früheren Spitzenpolitikers, der seit zwei Jahren in den USA lebt und die dortige Sichtweise kennt.

KURIER: Sie haben erlebt, wie Europa mit der Krise umgeht, und Sie erleben den amerikanischen Umgang damit. Worin liegt der Unterschied?

Karl-Theodor zu Guttenberg: Es gibt einige Unterschiede, etwa die Aversion der US-Regierung gegen Sparprogramme und das Hantieren mit unglaublich vielen Geldmitteln.

Europa nimmt auch nicht wenig Geld in die Hand.

Ja, aber das erfährt hier schon eine gewisse Differenzierung. Ich zweifle, ob die amerikanische Lösung auf Dauer greifen kann – das wirkt kurzfristig, aber löst nicht die großen Fragen wie die des enormen Schuldenbergs. Aber es gibt auch einen großen emotionalen Unterschied.

Inwiefern?

Auch wenn das trivial klingt: In Amerika ist man immer von einer gewissen positiven Grundstimmung geprägt, auch in der Krise, Motto: „Wir schaffen das“. In Europa hat man die Neigung, sich emotional in eine Krise zu vertiefen.

Das heißt, wir jammern zu viel und reden uns krank?

Man könnte sich zumindest in einigen Bereichen gesünder reden, ohne dabei automatisch gesund zu werden. Dafür bedarf es dann schon noch etwas mehr.

Nicht erst seit der Zypern-Krise besteht der Eindruck, dass die Politik Europa und den Euro kaum noch vermitteln kann.

Man beobachtet gerade aus der Ferne eine Tendenz in Europa, vor der Komplexität der Materie zu kapitulieren. Oder man nutzt die Komplexität, weil man hinter ihrer Fassade immer wieder eine Wendung vollziehen kann, die weder von den Medien noch von der Bevölkerung verstanden wird. Auf mittlere Sicht führt das nicht zum Erfolg. Man wird gezwungen sein, die Komplexität verständlich zu machen oder aufzulösen. Das heißt, dass man sich der grundlegenden strukturellen Fragen Europas annehmen muss, sich nicht nur von einer Krise zur nächsten retten kann.

Heißt was genau?

Zu klären, ob die derzeit gültigen Verträge der EU die Grundlage sein können, um künftig gegen solche Krisen gewappnet zu sein. Nachdem schon einzelne Punkte der Verträge kunstvoll umgangen oder weit ausgelegt werden, habe ich den Glauben an die unumstößliche Festigkeit der selben ein wenig verloren.

Also endlich eine tatsächliche gemeinsame Außen- und Wirtschaftspolitik?

Ein hehres Ziel, wobei ein Zusammenrücken sich schon mit der Realität zu messen hat, dass man es mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten in Europa zu tun hat. Da ist ein Zusammenrücken aller bald 28 Staaten bei jedem Themenkreis schwierig. Im Zweifel wird es darauf hinauslaufen müssen, dass sich zu unterschiedlichen Themenkomplexen auch unterschiedliche Partner finden werden. Faktisch hat man ja jetzt schon konzentrische Kreise in der EU, in der Euro-Zone, dem wird man sich auch in den Verträgen annehmen müssen.

Also ein Kerneuropa und ein anderes?

Momentan will man zu nahezu jedem Thema eine gemeinsame Position finden und sieht schnell die Kräfte erlahmen. Sich den unterschiedlichen Geschwindigkeiten zu stellen heißt ja nicht, die Errungenschaften Europas in Frage zu stellen: etwa die vier Grundfreiheiten. Auch wird man in gewissen sicherheits- und außenpolitischen Fragen zusammenarbeiten müssen – mit allen. Aber dass man sich in Themen wie Finanz- und Währungsfragen anders aufstellen muss, liegt auf der Hand. Faktisch haben wir ja schon eine Eurozone und den Rest der EU. Und ob die Euro-Zone auf Dauer so besteht, wird in die Überlegungen hineingehören. Sie wird sich möglicherweise in zehn Jahren anders gestalten.

Das erklärt Europa dem Bürger noch nicht.

Europa muss im Alltag der Menschen landen, nicht nur begrifflich negativ empfunden als Technokratie und Bürokratie. Dem Alltag Europas ist so viel Positives abzugewinnen, in jedem mittelständischen Betrieb finden Sie etliche Beispiele. Wir tun uns nur alle schwer, das Gute zu benennen, auch die Medien tun sich schwer.

Sie sprachen unlängst von einer schleichenden Entfremdung zwischen den USA und Europa.

Wir neigen dazu, uns auf die gemeinsame Wertebasis zu berufen. Ein großartiger Ansatz, aber man muss ihn auch auf die Realität überprüfen. Zwei Beispiele, wo wir auseinanderdriften: Die Waffengesetzdebatte in den USA und die Gesundheitssystemdebatte. Da spielen Wertmaßstäbe eine Rolle, die uns fremd sind. Wir betrachten das transatlantische Verhältnis als einen Selbstläufer – dabei haben wir in Europa eine Generation, die mit Demonstrationen gegen Afghanistan-Einsatz, Irak-Krieg etc. groß geworden ist, und in Amerika eine, die immer weniger europäische Wurzeln hat. In so einer Konstellation läuft man Gefahr, sich zu entfremden.

Präsident Obama hat ein Freihandelsabkommen mit Europa angekündigt – sind wir für die USA wieder wichtig?

Der transatlantische Wirtschaftsraum ist immer noch der größte weltweit. Die Freihandelsidee ist eine, die beiden Seiten zugutekäme. Es wird trotzdem schwierig: Es gibt große Einzelinteressen auf beiden Seiten, Wahlen in Europa, später die Lame duck-Zeit in den USA, da kann die beste Idee wieder abdriften.

Sie sind auf „Sabbatical“ in den USA, wann kehren Sie zurück?

Der Ausdruck Sabbatical stammt nicht von mir. Das hat irgendein Medium aufgebracht, und die anderen haben es munter abgeschrieben – mit Abschreiben kenne ich mich ja gewissermaßen aus. Ich komme wieder, wenn ich fröhlich bin, es zu tun.

Irgendwann fröhlich, in die Politik zurückzukehren?

Das weiß ich nicht.

Karl Theodor zu Guttenberg entstammt dem fränkischen Adelsgeschlecht Guttenberg. Der 1971 in München geborene Karl-Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Josef Sylvester Freiherr von und zu Guttenberg begann seine politische Karriere in der CSU seines Heimatortes Guttenberg, kam 2002 in den deutschen Bundestag und wurde 2008 CSU-Generalsekretär. Ein Jahr später bestellte ihn Kanzlerin Merkel zum Wirtschafts-, dann zum Verteidigungsminister. Er reformierte die Bundeswehr zur Berufsarmee. Guttenberg inszenierte sich über die Medien als strahlender, anpackender Politiker und füllte mit Frau Stephanie auch die Society-Seiten.

Rücktritt Im März 2011 trat er zurück, nachdem die Uni Bayreuth „über die ganze Doktorarbeit verteilte“ Plagiate nachgewiesen hatte. Er verlor sein Doktorat von 2007. Gutten- berg zog in die USA, wo er heute u.a. für den Thinktank „Center for Strategic and International Studies“ in Washington tätig ist.