Politik/Ausland

Kanadischer "Schindler" rettet vor IS

Was ist ein Menschenleben wert? In einer Welt, wo Terror und Leid den Alltag beherrschen, sind es 1000 bis 3000 US-Dollar. Das ist jedenfalls der Preis, der vom "Islamischen Staat" (IS) für eine Frau oder ein Mädchen verlangt wird, um sie aus der "gottesdienstlichen Unzucht" der Miliz zu befreien.

Nach Eroberung der irakischen Städte Mossul und Sinjar im vergangenen Sommer wurden Tausende verschleppt und in die Sklaverei verkauft. Die meisten von ihnen Jesiden – "Ungläubige", wie IS-Kämpfer sie nennen.

Rund 5000 Jesiden wurden allein vergangenes Jahr verschleppt, 3000 von ihnen befinden sich immer noch in Gefangenschaft. "Ich konnte diesem Leid nicht mehr einfach nur zusehen", erzählt Steve Maman, Gründer der Organisation C.Y.C.I. (The Liberation of Christian & Yezidi Children in Iraq), im Gespräch mit dem KURIER. Ziel seiner Organisation ist es, Frauen und Kinder aus den Fängen des "Islamischen Staates" freizukaufen.

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Maman ist Kanadier sephardisch-jüdischer Abstammung. Wenn er nicht gerade dabei ist, Hunderten Menschen im Mittleren Osten das Leben zu retten, ist der sechsfache Vater Autohändler in seiner Heimatstadt Montreal. Vor Gründung der Organisation agierte der 42-Jährige teils aus eigener Tasche heraus: "Ich stand direkt in Kontakt mit den Vermittlern vor Ort." Unterstützung kam dann allmählich durch Geschäftskontakte und Freunde aus der jüdischen Gemeinschaft. "Sobald dann mehr Geld da war, gründeten wir die Organisation."

Heute sammelt Maman Geld über ein Online-Crowdfunding. Bisher wurden mehr als 200.000 US-Dollar gespendet – 50.000 US-Dollar allein an einem Wochenende – die seit Beginn von Mamans Engagement 128 Menschen wieder ein Leben in Freiheit ermöglichten.

Nützliche Kontakte

Vor einigen Jahren lernte Maman Pater Andrew White kennen, Pfarrer der St. Georges Church in Bagdad, der einzigen anglikanischen Kirche in Bagdad und Vorsitzender einer interreligiösen Organisation für den Mittleren Osten. "Pater Andrew hatte ein starkes Team um sich herum und viele nützliche Kontakte", erzählt Maman. "Uns verbindet seit dem Treffen eine enge Freundschaft".

Nachdem Maman sein Vorhaben beschlossen hatte, wandte er sich direkt an Pater White. "Es hat nicht viel gebraucht, um ihn davon zu überzeugen, einige seiner Kontakte für mein Team zu gewinnen. Mit seiner Hilfe kam dann alles ins Laufen."

Die Mitarbeiter der Organisation agieren vor allem in der Umgebung Mossuls, im Norden des Irak und in den vom IS-"Kalifat" besetzten Teilen Syriens. "Wir haben uns für das eigentliche Leben eines Menschen anstatt nur für die humanitäre Hilfe entschieden", erzählt Maman. "Diese wird von vielen schon bereitgestellt. Wir haben jedoch gemerkt, dass sich kaum jemand für die über 3000 gefangenen Frauen und Kinder im Kalifat interessiert. Darauf fokussieren wir uns jetzt."

Institution Sklaverei

Die Sklaverei wurde vom "Islamischen Staat" mittlerweile als Institution wieder ins Leben gerufen, wie aus einem Bericht der amerikanischen Zeitung New York Times hervorgeht. Der Handel mit Frauen und Kindern wird in verschiedenen Lagerhäusern abgewickelt, in denen die Gefangenen gehalten und in dazugehörigen Ausstellungsräumen untersucht und verkauft werden.

Vergewaltigungen

Eine Flotte von Bussen steht täglich für die Transporte bereit. Diejenigen, die aus der Gefangenschaft entkommen konnten, berichten von kontinuierlichen Vergewaltigungen durch IS-Kämpfer.

Ihre Gräueltaten rechtfertigen die Männer mit dem Gesetz des Islam, das ihnen erlaube, "Ungläubige" quasi "gottesdienstlich" zu vergewaltigen, um sich selbst Gott näher zu bringen. Um die Menge an Gefangenen zu managen, hat der IS eine detaillierte Bürokratie der Sex-Sklaverei eingeführt. Diese beinhaltet unter anderem Kaufverträge, die vom eigens errichteten IS-Gericht notariell beglaubigt werden. Die Gepflogenheiten der Sex-Sklaverei haben sich mittlerweile als Rekrutierungshilfe etabliert, um Männer aus tief konservativ-muslimischen Gesellschaften , wo beiläufiger Sex tabu und Verabredungen verboten sind, in den IS zu locken

Direkten Kontakt mit der Terrormiliz haben Steve Maman und seine Mitarbeiter nicht. Über Vermittler, die sich innerhalb des "Kalifats" in Teilen des Iraks und Syriens befinden, werden die verschleppten Frauen und Kinder ausfindig gemacht und ihre Freilassung wird verhandelt.

"Unsere Vermittler verhandeln mit denjenigen, die ihre Gefangenen aus den unterschiedlichsten Gründen nicht mehr haben wollen", so Maman. Anschließend werden die Frauen und Kinder zu den Mitarbeitern der Organisation gebracht, wo sie zunächst mit dem Nötigsten versorgt werden. Die jeweiligen Familien werden dann ausfindig gemacht.

Keine Zweifel

"Wer auch nur ein einziges Leben rettet, rettet die ganze Welt", lehrt der babylonische Talmud. Berühmt geworden ist diese jüdische Weisheit vor allem durch Steven Spielbergs Film "Schindlers Liste", der das übermenschliche Handeln des Oskar Schindler erzählt, der 12.000 Juden während des Zweiten Weltkrieges die Freiheit erkaufte. Ganz nach seinem Vorbild stellt auch Steve Maman sein Engagement und Zahlungen an Verbrecher nicht infrage. Für ihn sind die Bemühungen, Leben zu retten, selbstverständlich: "Mein Motto ist simpel: Es gibt keine Grenzen. Es gibt keine Religionen und keine Länder. Es gibt eine Welt mit Menschen. Das Ziel ist es, Mensch zu sein."