Politik/Ausland

Rote-Khmer-Führer zu lebenslanger Haft verurteilt

35 Jahre nach dem Ende ihrer Herrschaft hat ein kambodschanisches Gericht zwei ehemalige Anführer der Roten Khmer verurteilt. Ex-Propagandachef Nuon Chea (88) und Ex-Staatschef Khieu Samphan (83) erhielten wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit lebenslange Haftstrafen, wie das Gericht in Phnom Penh am Donnerstag bekanntgab.

Lebenslange Haftstrafen

Die Richter am Völkermordtribunal machten sie für die Zwangsvertreibung von zwei Millionen Menschen aus der Hauptstadt Phnom Penh nach der Machtübernahme 1975 verantwortlich. Das Gericht folgte der Staatsanwaltschaft, die lebenslange Haftstrafen gefordert hatte.

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Es ist das erste Urteil gegen Anführer der Roten Khmer vor dem vor acht Jahren eingerichteten Tribunal. Dieses hatte überhaupt erst ein Urteil gesprochen. Kaing Guek Eav, Chef des Foltergefängnisses Tuol Sleng, war bereits zu lebenslanger Haft verurteilt worden.

Die kommunistischen Roten Khmer wollten einen Bauernstaat schaffen, witterten aber bald überall Staatsfeinde. Zwischen 1975 und 1979 kamen mindestens 1,7 Millionen Menschen durch Folter, Mord, Zwangsarbeit und Hungersnöte um. Das war ein Viertel der damaligen Bevölkerung.

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Soum verlor im Roten Khmer-Terrorregime seine gesamte Familie

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Viele Überlebende, wie Sok Teng (73), warteten auf das Urteil

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Rund ein Viertel der Bevölkerung kam ums Leben

Vor dem Völkermordtribunal in Kambodscha kämpften zwei alte Männer gegen Vorwürfe ungeheuerlicher Gräueltaten während des Rote Khmer-Terrorregimes in den 70er Jahren. Sie sind zwar gebrechlich, aber geistig topfit.

Wer war angeklagt?
"Bruder Nummer 2" Nuon Chea (88) und "Bruder Nummer 4" Ex-Staatschef Khieu Samphan (83). Regimeführer Pol Pot, "Bruder Nummer 1", starb 1998. "Bruder Nummer 3", Außenminister Ieng Sary, war auch angeklagt. Er starb während des Prozesses 2012. Der Prozess gegen seine Frau und Ex-Sozialministerin, Ieng Thirith, wurde wegen Demenz ausgesetzt.

Was wird ihnen vorgeworfen?
Unter anderem Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord, Verstoß gegen die Genfer Konventionen.

Wie stehen sie dazu?
Sie leugnen, von den Gräueltaten gewusst zu haben.

Was war das Rote Khmer-Regime?
Die ultralinke Bewegung stürzte 1975 eine US-Marionettenregierung. Sie strebte einen maoistischen Bauernstaat an. Bildung war verpönt. Brillen wurden zertrampelt, Bücher verbrannt, Städter aufs Land getrieben und Geld wurde abgeschafft. Das Regime witterte bald überall Spione. Massenverhaftungen folgten. Nach Schätzungen kamen bis zum Sturz des Regimes durch Vietnam 1979 rund 1,7 Millionen Menschen, ein Viertel der Bevölkerung, um - durch Folter, Mord, Zwangsarbeit und Hungersnöte.

Warum läuft der Prozess erst jetzt?
Kambodscha versank nach 1979 im Bürgerkrieg. Unter UN-Vermittlung kam in den 90er Jahren die Befriedung. Seitdem regiert Hun Sen, selbst Roter Khmer, ehe er dem Regime den Rücken kehrte. Er hat das Tribunal, ein UN-kambodschanisches Hybridgericht, lange torpediert.

Ist jemals jemand für zur Verantwortung gezogen worden?
Als erster stand der Vorsteher des Foltergefängnisses Toul Sleng (S21) vor dem Tribunal. Kaing Guek Eav (71) alias "Kamerad Duch" wurde 2010 wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Folter und Mord verurteilt. Seine Haftstrafe wurde nach Berufung der Staatsanwaltschaft 2012 auf lebenslang ausgeweitet.

Gibt es noch andere ranghohe Drahtzieher?
Die Ermittlungsrichter des Tribunals sagen ja, aber Ministerpräsident Hun Sen will keine weiteren Anklagen gegen Ex-Rote Khmer zulassen. Angeblich bedrohe das die Stabilität des Landes.

Von Christiane Oelrich/dpa

Ein wahres Horrorkabinett hatte in Kambodscha am 17. April 1975 die Macht übernommen. Die Roten Khmer unter Pol Pot wollten eine maoistische Bauerngesellschaft verwirklichen. In ihrem Fanatismus verloren sie aber bald jedes Maß. Mindestens 1,7 Millionen Menschen kamen in den knapp vier Jahren ihrer Herrschaft ums Leben, mehr als die Hälfte davon durch Folter und Mord, die anderen durch Hungersnöte und Zwangsarbeit.

Nuon Chea, Stellvertreter von Pol Pot und als "Bruder Nummer zwei" berüchtigt. Er ist auf Bildern immer einen Schritt hinter Pol Pot zu sehen, der 1998 unbehelligt starb. Nuon Chea war Chefideologe des Regimes. Er entwarf - mit Maos Kulturrevolution vor Augen - schon im Guerillakampf im Dschungel eine Gesellschaft, in der Nächstenliebe keinen Platz mehr hatte. Die Menschen sollten nur noch dem Apparat Angkar ("die Organisation") hörig sein. Er schürte ein Klima, in dem Kinder Eltern denunzierten, Soldaten Kameraden. Wer nicht spurte, wurde beseitigt. "Genozid? Wir hatten niemals Grund, unsere eigenen Leute zu ermorden", sagte er 1998 in einem Interview des Journalisten Phil Rees. Nuon Chea hat nach Zeugenaussagen unter anderem die Folterzentren des Regimes dirigiert.

Khieu Samphan war Staatschef. Er machte in den 50er Jahren seinen Doktor der Volkswirtschaft in Frankreich und schloss sich dort den Kommunisten um Pol Pot an. Er war Mitglied des Zentralkomitees der Roten Khmer und wurde 1976 Staatschef. Schuld wies er stets zurück. "Ich war ein Nichts, ich hatte nicht einmal ein richtiges Büro", sagte er 2010 bei einer Anhörung, in der er seine Freilassung verlangte. "Ich hatte keine Autorität, jemand zu ermorden und wusste nichts von irgendwelchen Entscheidungen über Tötungen."

Ieng Sary war Außenminister. Er gründete in den 50er Jahren die kommunistische Zelle kambodschanischer Studenten in Paris. Nach der Machtübernahme der Roten Khmer lockte Ieng zahlreiche intellektuelle Landsleute aus dem Exil nach Hause - mit dem Versprechen, sie könnten beim Aufbau des Landes helfen. Die Ankömmlinge wurden dann verhaftet und gefoltert. "Ich habe nichts falsch gemacht. Ich bin eine sanftmütige Person", sagte er kurz vor seiner Verhaftung 2007. Er war schon einmal in einem Schauprozess unter vietnamesischen Besatzern in Kambodscha zum Tode verurteilt und später begnadigt worden.

Ieng Thirith, Frau von Ieng Sary, war Sozialministerin. Sie kannte ihren Mann schon aus der Schule und ging wie er nach Paris, wo sie an der Sorbonne Englisch studierte. Sie soll die Roten Khmer nach Kräften unterstützt und in ihrer Vernichtungsstrategie gegen angebliche Staatsfeinde angeheizt haben. Sie lebte mit ihrem Mann bis zur Verhaftung 2007 in einer Villa in Phnom Penh. Ieng Thirith schwärzte bei einer gerichtlichen Anhörung Nuon Chea an. "Nuon Chea hat meine Studenten ermorden lassen", sagte sie. "Bezeichnet mich nicht als Mörderin, oder ihr werdet bis in die siebte Hölle verdammt", schleuderte sie den Richtern entgegen.

Von Christiane Oelrich/dpa