Politik/Ausland

Israel: Razzia und Entfernung von TV-Sender Al-Jazeera

Zu den Raketenangriffen auf Israels derzeit wichtigsten Grenzübergang für Hilfsgüter in den Gazastreifen hat sich der bewaffnete Arm der radikalislamischen Palästinenserorganisation Hamas bekannt.

Die Essedin-al-Qassam-Brigaden hätten an dem Grenzübergang Kerem Shalom "die feindlichen Truppen getroffen", schrieb die Gruppe am Sonntag in einer Erklärung. Israels Armee hatte den Übergang zuvor wegen der Angriffe geschlossen.

Seitens der Hamas wurde am Sonntagabend ein Video verbreitet, das den Beschuss zeigen soll. Für die Angriffe wurden der Erklärung zufolge "Kurzstreckenraketen" verwendet. Zuvor hatte die israelische Armee erklärt, aus einem Gebiet nahe der Stadt Rafah seien zehn Geschosse in Richtung des Übergangs Kerem Schalom abgefeuert worden. Daher sei der Übergang gesperrt worden.

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Schließung von TV-Sender

Nach der Schließung von Al Jazeera in Israel ist das Büro des arabischen Fernsehsenders in Ostjerusalem durchsucht worden. Laut israelischen Medienberichten vom Sonntag wurden TV-Ausrüstungen beschlagnahmt. Die israelische Regierung will die Tätigkeit des im Golfemirat Katar ansässigen TV-Netzwerks in Israel unterbinden, weil dieses "der Sicherheit Israels geschadet und gegen israelische Soldaten gehetzt" habe. Al Jazeera wies Vorwürfe der Voreingenommenheit indes zurück.

Al Jazeera zufolge nahmen israelische Kabel- und Satellitennetzanbieter den Sender aus ihren Angeboten. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu warf dem Sender vor, ein "Sprachrohr" der radikalislamischen Terrorgruppe Hamas zu sein. Es sei an der Zeit, dieses "aus dem Land zu werfen". Netanyahu hatte bereits vor mehr als einem Monat eine rasche Schließung des im Golfemirat Katar ansässigen TV-Netzwerk in Israel angekündigt.

Voreingenommene Berichterstattung?

Das Parlament hatte zuvor das sogenannte Al-Jazeera-Gesetz gebilligt. Dieses ermöglicht eine Schließung ausländischer TV-Sender, wenn diese als Risiko für die Staatssicherheit eingestuft werden. Netanyahu hatte den Sender vor dem Hintergrund des Gaza-Kriegs schon mehrmals bezichtigt, "aktiv am Massaker am 7. Oktober teilgenommen" zu haben. Israels nationalreligiöse Regierung sprach schon länger von einer voreingenommenen Berichterstattung und beschuldigt den Sender, arabische Zuschauer gegen das Land aufzuhetzen.

Al-Jazeera hat seit Beginn des Gaza-Kriegs ausführlich über die katastrophale Lage im Gazastreifen berichtet und Bilder von Tod und Zerstörung gezeigt, die in israelischen TV-Sendern kaum zu sehen sind. Der Sender zeigt auch regelmäßig Videos des militärischen Hamas-Arms, der Qassam-Brigaden, von Angriffen auf israelische Soldaten.

Israelische Polizeieinheiten durchsuchten am Nachmittag Medienberichten zufolge ein Zimmer im Jerusalemer Hotel "Ambassador", das dort faktisch als Büro des Senders dient. Im Internet waren Videoaufnahmen zu sehen, auf denen mutmaßliche Zivilbeamte zu sehen sind, die Kameraausrüstung abbauen.

Sender sprach in einer Stellungnahme von "Verleumdung"

Israel erklärte, die Maßnahmen gegen den Sender umfassten die Schließung von dessen Büros in Israel, die Beschlagnahmung von Sendeanlagen, die Trennung des Senders von Kabel- und Satellitenanbietern und die Sperrung seiner Websites. Das entsprechende israelische Gesetz erlaubt es, die Büros des Senders in Israel für 45 Tage zu schließen. 

Der Zeitraum kann auch verlängert werden und könnte damit auch bis zum Ende einer angekündigten Offensive Israels auf die Stadt Rafah im Gazastreifen in Kraft bleiben. Verbündete Israels wie die USA haben Netanyahu aufgefordert, auf eine Offensive dort zu verzichten. In die Stadt an der Grenze zu Ägypten haben sich viele Palästinenser aus dem Gazastreifen geflüchtet. Derzeit leben dort etwa 1,2 Millionen Menschen auf engstem Raum.

Der Sender sprach nach der Verbotsverfügung der Regierung am Sonntag in einer Stellungnahme von "Verleumdung". Israel versuche systematisch, den Sender zum Schweigen zu bringen. "Das Al-Jazeera-Medien-Netzwerk verurteilt diesen kriminellen Akt aufs Schärfste, der die Menschenrechte und das grundlegende Recht auf Zugang zu Informationen verletzt." Zugleich behielt sich der Sender rechtliche Schritte vor. Der Nachrichtenkanal pochte darauf, "der Öffentlichkeit unser Angebot weltweit zur Verfügung zu stellen, so wie es in internationalen Übereinkommen verankert ist." Man werde mit allen Mitteln gegen den Schritt vorgehen und die Rechte des Senders sowie die Mitarbeiter verteidigen.

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Kritiker werfen Al Jazeera vor, der Hamas nahezustehen

Al Jazeera wurde 1996 in Doha gegründet und galt als einer der ersten arabischen TV-Sender, der auch kritische Berichte über die Region veröffentlichte. Damit gewann er schnell an Popularität in der arabischen Welt. Kritiker werfen Al Jazeera dagegen vor, der Hamas nahezustehen. Katar selbst galt vor Ausbruch des Gaza-Kriegs als einer der wichtigsten finanziellen Unterstützer der Terrororganisation. In Doha leben auch Spitzenvertreter der Hamas.

Der israelische Kommunikationsminister Shlomo Karhi sagte, er habe die Schließungsanordnung unterzeichnet und diese werde sofort umgesetzt. Damit könnten nach Medienberichten Büroräume in Israel geschlossen, die Sendeausrüstung beschlagnahmt, der Sender aus dem Programm der Anbieter von Kabel- und Satellitenfernsehen entfernt und seine Internetseite blockiert werden.

Die im israelischen Sicherheitskabinett vertretene Partei Nationale Union von Benny Gantz zeigte sich mit der Schließung einverstanden, kritisierte aber den Zeitpunkt. Es handle sich um ein "schreckliches Timing", das die gegenwärtig laufenden indirekten Verhandlungen mit der Hamas über eine Freilassung von Geiseln und Waffenruhe im Gaza-Krieg torpedieren könnte, erklärte die Mitte-Rechts-Partei.

"Wir fordern die Regierung dringend auf, das Verbot aufzuheben"

Das vom Österreicher Volker Türk geleitete UNO-Menschenrechtsbüro kritisierte die Schließung. "Wir bedauern die Entscheidung des Kabinetts, Al Jazeera in Israel zu schließen", hieß es auf der Plattform X. "Freie und unabhängige Medien sind wichtig, um Transparenz und Rechenschaftspflicht zu gewährleisten. Dies gilt umso mehr angesichts der strengen Beschränkungen für die Berichterstattung aus Gaza." Freie Meinungsäußerung sei ein zentrales Menschenrecht. 

"Wir fordern die Regierung dringend auf, das Verbot aufzuheben." Die US-Regierung hatte schon zu Anfang irritiert auf die Pläne des engen Verbündeten reagiert. Ein Sprecher des US-Außenministeriums sagte, man unterstütze die freie Presse überall auf der Welt.

Auslöser des Gaza-Kriegs war das beispiellose Massaker mit mehr als 1.200 Toten, das Terroristen der islamistischen Hamas und anderer Gruppen am 7. Oktober vergangenen Jahres in Israel verübt hatten. Israel reagierte mit massiven Luftangriffen und einer Bodenoffensive. 

Zähes Ringen um Waffenruhe

Eine weitere Runde der indirekten Verhandlungen über den Gaza-Krieg ist am Sonntag in der ägyptischen Hauptstadt Kairo zu Ende gegangen. Dies teilte die islamistische Hamas am Sonntag in ihrem Telegram-Kanal mit. Ihre Delegation habe eine Antwort auf die Vorschläge der Vermittler überbracht und sie mit den Vertretern Ägyptens und Katars erörtert. Die Delegation wollte am Sonntagabend aus Kairo abreisen. Israel hatte keine Abordnung entsandt.

Die Verhandlungsrunde hatte am Samstag begonnen. Die Hamas-Delegation wollte sich mit den Führern der Organisation in Katar beraten. Die Regierung in Jerusalem wollte abwarten, ob die Hamas den jüngsten Vorschlag der Vermittler annimmt, zu denen auch die USA zählen. Dieser sieht eine mehrstufige Abmachung zwischen Israel und der Hamas vor, die zur Freilassung der israelischen Geiseln in der Gewalt der Hamas, der Freilassung palästinensischer Häftlinge aus israelischen Gefängnissen sowie zu einer Beendigung des Gaza-Kriegs führen soll.

Die Hamas betonte in ihrer Mitteilung vom Sonntag, dass sie die Verhandlungen "im positiven Geist und verantwortungsvoll" führe. Ein Durchbruch war aber nicht in Griffweite. Die Islamisten beharren auf einem Abkommen, in dem sich Israel von vornherein zur Beendigung des Krieges und zum vollständigen Abzug seiner Truppen aus dem Gazastreifen verpflichtet. Israel lehnt aber eine derartige Verpflichtung ab und möchte sich weitere militärische Handlungsmöglichkeiten vorbehalten.

Ministerpräsident Benjamin Netanyahu bekräftigte dies. Der Militäreinsatz werde beendet, wenn die Hamas entmachtet sei, ließ er mitteilen. Sein Land sei willens, die Kämpfe im Gegenzug für die Freilassung von Geiseln pausieren zu lassen. Die Forderungen der Hamas nach einem Ende des Kriegs und einem Abzug der israelischen Truppen seien jedoch ebenso inakzeptabel wie ein Verbleib der Hamas an der Macht.

Kurz darauf ließ Hamas-Chef Ismail Haniyeh eine Erklärung verbreiten. Darin hieß es, die Hamas sei nach wie vor daran interessiert, eine umfassende Waffenruhe zu erreichen. Diese müsse zu einem Ende der israelischen "Aggression" führen, Israels Abzug aus dem Gazastreifen garantieren und ein ernsthaftes Abkommen zum Austausch von Geiseln gegen palästinensische Gefangenen erreichen. Haniyeh warf Netanyahu vor, die Aggression fortzusetzen, den Konflikt auszuweiten und die Bemühungen der Vermittler zu sabotieren.

Israels Verteidigungsminister Yoav Gallant entgegnete, die Hamas lasse erkennen, dass es ihr nicht ernsthaft darum gehe, eine Waffenruhe zu erreichen. Sollte dem wirklich so sein, werde Israel "in sehr naher Zukunft" unter anderem in Rafah militärisch vorgehen. 

Israel hat mit einer Bodenoffensive auf die Stadt im Süden des Gazastreifens gedroht. Dort hat etwa die Hälfte der Bevölkerung des Küstengebiets vor den Dauerbombardements Zuflucht gesucht. Etwa eine Million Vertriebene harren seit Monaten unter immer prekäreren Bedingungen auf engstem Raum aus.