Iranischer Großangriff auf Israel: USA und EU besorgt über Eskalation
Wenige Stunden nach dem iranischen Angriff auf Israel und vor einer drohenden Reaktion des israelischen Militärs haben die Außenminister Russlands und des Irans vor "neuen gefährlichen Provokationen" gewarnt. Diese könnten nach Meinung des russischen Außenministers Sergej Lawrow und seines iranischen Kollegen Hossein Amir-Abdollahian zu verstärkten Spannungen in Nahost führen. Aus Washington hieß es, es nicht auf eine Eskalation der Situation im Nahen Osten anzulegen.
Der Iran hat in der Nacht auf Sonntag erstmals Israel direkt angegriffen. Mehr als 300 Drohnen und Raketen wurden laut der israelischen Armee auf das Land abgefeuert, teilte Armeesprecher Daniel Hagari am Sonntag in der Früh mit.
99 Prozent davon seien abgeschossen worden, sagte er. Viele Geschoße wurden auch von der US-Armee abgefangen, die unter anderem im Irak präsent ist. Zeitgleich gab es auch Angriffe der libanesischen Hisbollah-Miliz und der jemenitischen Houthi-Rebellen.
Armeesprecher spricht von "sehr bedeutsamen strategischen Erfolg"
Hagari bezeichnete das Vorgehen des Iran als "sehr schwerwiegend" und wies Vermutungen zurück, wonach Teheran keinen Schaden erzielen wollte. Der Einsatz ballistischer Raketen sei eine klare Eskalation gewesen, betonte er. Der Armeesprecher äußerte sich bedeckt zur Antwort Israels. Weitere Maßnahmen würden diskutiert, sagte er. Die Streitkräfte seien weiterhin voll einsatzfähig.
Man habe einen "sehr bedeutsamen strategischen Erfolg" erzielt. So habe keine der 170 Drohnen und 30 Marschflugkörper israelisches Territorium erreicht, von den 120 Raketen sei dies nur wenigen gelungen. Neben den USA dankte Hagari auch Frankreich für die Unterstützung. In der Früh öffneten sowohl Israel als auch Jordanien, Irak und Libanon ihren Luftraum wieder.
Ein israelischer Armeesprecher hatte zudem eine nicht weiter ausgeführte Reaktion angekündigt. "Wir werden dem Iran mit Taten antworten, nicht mit Worten", sagte er am Sonntag dem oppositionellen Exil-Sender Iran International laut einem Post der Armee auf der Online-Plattform X (vormals Twitter). Der Militärsprecher ging demnach allerdings nicht näher darauf ein, wie ein israelisches Vorgehen aussehen könnte. In einem weiteren X-Post der Armee auf Farsi hieß es: "Jede Aktion hat eine Reaktion, aber nicht mit Worten, sondern Taten."
Israel werde eine "bedeutende Antwort" auf den Angriff geben
Das iranische Regime drohte mit Vergeltung, sollte es zu einem israelischen Militärschlag kommen. Man werde jeden israelischen Angriff auf iranische "Interessen, Vertreter oder Bürger" vergelten, teilte der Kommandant der mächtigen Revolutionsgarden mit. Von der Armeeführung ist es, dass auf eine Vergeltung ein "größerer Schlag" folgen werde als jener der vergangenen Nacht.
Irans Nationaler Sicherheitsrat warnte Israel ebenfalls vor einer militärischen Antwort auf die Vergeltungsschläge. "Wenn das zionistische Regime weiterhin Bösartigkeiten gegen den Iran fortsetzen will, wird es eine Antwort erhalten, die mindestens zehnmal größer ist als der jüngste Angriff", zitierte das Portal Nur News unter Berufung auf eine Mitteilung des Rats. Iran habe die kleinste Form der Bestrafung für Israel gewählt und lediglich Militäreinrichtungen attackiert, hieß es.
Der Iran stellte den Angriff auf Israel als angemessene Reaktion für die Tötung von zwei iranischen Generälen bei einem Luftangriff auf die Botschaft Teherans in Syrien Anfang April dar. Damit könne "die Angelegenheit als abgeschlossen betrachtet werden", betonte die iranische UNO-Vertretung in New York. Der Iran bahe zudem nach Worten seines Außenministers Verbündete in der Region im Vorfeld über einen Angriff auf Israel unterrichtet. "Natürlich haben wir unseren Freunden in den Ländern der Region 72 Stunden vor der Operation mitgeteilt, dass die Antwort des Irans in Form einer legitimen Verteidigung definitiv und sicher ist", sagte Hussein Amirabdollahian laut der iranischen Nachrichtenagentur Isna am Sonntag.
Verteidigungsminister Gallant: "Die Konfrontation ist noch nicht vorbei"
Hagari hatte in der Nacht berichtet, dass unter den Geschoßen auch Dutzende Boden-Boden-Raketen seien. "Die große Mehrheit der Raketen wurde von unserer Raketenabwehr noch außerhalb der Grenzen Israels abgefangen." Nur eine kleine Anzahl von Raketen sei auf israelischem Gebiet eingeschlagen. Dabei sei ein Mädchen verletzt worden. Außerdem wurde Hagari zufolge eine Militärbasis im Süden des Landes getroffen und leicht beschädigt. Israelische Kampfflugzeuge hätten mehr als zehn iranische Marschflugkörper außerhalb des israelischen Staatsgebiets abgefangen.
Kurze Zeit später teilte der israelische Heimatschutz mit, dass sich die Einwohner im Norden und Süden des Landes nicht mehr in der Nähe von Schutzräumen aufhalten müssen. Zunächst war unklar, ob dies das Ende des Angriffs signalisierte. Verteidigungsminister Yoav Gallant sagte am Sonntag in der Früh, Israel habe eine erste große Welle von Drohnen- und Raketenangriffen abgewehrt. Die Konfrontation sei aber noch nicht vorbei, fügte er hinzu. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erklärte auf dem Kurznachrichtendienst X: "Wir haben abgefangen, wir haben abgewehrt, zusammen werden wir gewinnen." Präsident Yitzhak (Isaac) Herzog dankte dem israelischen Militär, aber auch dem Verbündeten USA. "Segne die Koalition der Nationen unter der Führung der USA" und ihrem Präsidenten, teilte Herzog am Sonntag in der Früh auf X mit.
Biden: "Wir haben Israel dabei geholfen, praktisch alle einfliegenden Drohnen und Raketen abzufangen"
US-Präsident Joe Biden teilte am späten Samstagabend (Ortszeit) mit, dass der iranische Angriff auch wegen der Beteiligung von Kampffliegern und Zerstörern der USA ein Misserfolg gewesen sei. "Wir haben Israel dabei geholfen, praktisch alle einfliegenden Drohnen und Raketen abzufangen", betonte er. Aus US-Regierungskreisen war zuvor verlautet, dass die US-Streitkräfte "Dutzende" iranische Geschoße aus der Luft geholt hätten. Die USA sind mit zahlreichen Stützpunkten in der Region präsent, unter anderem mit 2.400 Soldaten im westlichen Nachbarland des Iran, Irak. Im Vorfeld der Attacke hatte das US-Militär seine Präsenz in der Region noch verstärkt.
Biden äußerte sich nach einem Telefonat mit dem israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu. Auch Verteidigungsminister Lloyd Austin telefonierte mit seinem Amtskollegen Gallant und betonte, dass das Land weiterhin auf "volle Unterstützung" bei seiner Verteidigung gegen Angriffe durch den Iran und seine Verbündeten zählen könne. Gallant und Austin lobten in dem Gespräch die "außerordentlichen Verteidigungsmaßnahmen" und die "starke Zusammenarbeit" bei der Abwehr des iranischen Angriffs.
USA werden sich wohl an keinen offensiven Militäraktionen gegen den Iran beteiligen
Biden zog im Gespräch mit Netanyahu aber auch eine "rote Linie", wie der US-Nachrichtensender CNN berichtete. Demnach würden sich die USA an keinen offensiven Militäraktionen gegen den Iran beteiligen. Laut dem US-Sender NBC hatte Biden die Befürchtung geäußert, von Netanjahu in den Konflikt hineingezogen zu werden.
Einem Bericht des iranischen Staatsfernsehens zufolge übermittelte Teheran den USA über die Schweizer Vertretung die Botschaft, dass die US-Militärstützpunkte ins Visier des Iran geraten werden, sollte Washington den erwarteten Vergeltungsschlag Israels unterstützen.
Auch an anderen Fronten gab es Angriffe
Zeitgleich mit dem iranischen Luftangriff auf Israel führten auch die Hisbollah-Miliz im Libanon sowie die Houthi-Rebellen im Jemen Angriffe gegen israelische Ziele. Die mit dem Iran verbündete Hisbollah feuerte innerhalb weniger Stunden zwei Raketensalven auf Israel ab, wie sie am Sonntag in der Früh mitteilte. Binnen weniger Stunden habe sie wiederholt "dutzende Raketen vom Typ Katjuscha" auf drei israelische Militärstützpunkte auf den besetzten Golanhöhen abgefeuert.
Die meisten der iranischen Drohnen sind nach Angaben aus Geheimdienstkreisen über Syrien abgeschossen worden. Israelische und amerikanische Jets hätten sie abgefangen, bevor sie ihre Ziele in Israel erreichen konnten, sagten zwei Mitarbeiter westlicher Geheimdienste zu Reuters. Die vom Iran gestarteten Flugkörper seien über Südsyrien, dem syrischen Teil der Golanhöhen und in Ostsyrien entlang der Grenze zum Irak geflogen.
Auch die jordanische Armee hat in der Nacht auf Sonntag Flugkörper abgefangen. Das teilte das Kabinett in Amman mit. Die Objekte seien in den jordanischen Luftraum eingedrungen. Einige Trümmer sein in mehreren Orten aufgeschlagen. Menschen seien nicht verletzt worden. An Gebäuden seien keine großen Schäden registriert worden.
Die auf maritime Sicherheit spezialisierte Firma Ambrey erklärte unterdessen, die Houthi-Rebellen hätten "in Abstimmung mit dem Iran" Drohnen in Richtung Israel abgefeuert. Mögliche Ziele seien Häfen, teilte das Unternehmen mit. Es warnte vor "Kollateralschäden" für die Schifffahrt. Im Kibbutz Snir im Norden Israels nahe der Grenze zum Libanon wurden in der Nacht die Alarmsirenen ausgelöst, wie die israelische Armee mitteilte.
International wurde der iranische Angriff scharf verurteilt
Auch aus dem kurdischen Nordirak wurden Explosionen gemeldet. Augenzeugen und kurdischen Medien zufolge gingen in der Nacht zum Sonntag rund 20 Raketen in der Provinz Erbil nieder, wo unter anderem ein US-Konsulat und eine US-Militärbasis liegen. An dem Konsulat seien Warnsirenen zu hören gewesen. Der oppositionsnahen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge wurde auch in Syrien, das mit dem Iran verbündet ist, die Luftabwehr aktiviert.
International wurde der iranische Angriff scharf verurteilt, unter anderem von Bundeskanzler Karl Nehammer und Außenminister Alexander Schallenberg (beide ÖVP). UNO-Generalsekretär António Guterres äußerte die Furcht vor einer katastrophalen Zuspitzung im Nahost-Konflikt. Auf Ersuchen Israels sollte der UNO-Sicherheitsrat am Sonntagnachmittag (16 Uhr Ortszeit, 22 Uhr MESZ) zu einer Sitzung zusammenkommen.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hat nach den iranischen Angriffen auf Israel für Dienstag ein außerordentliches Videokonferenz-Treffen der EU-Außenminister einberufen. Dies teilte Borrell am Sonntag auf X mit. "Unser Ziel ist es, zur Deeskalation und Sicherheit in der Region beizutragen", schrieb er.