Politik/Ausland

Terrorgruppe stürmt türkisches Konsulat

Die Terrorgruppe Islamischer Staat im Irak und in der Levante (ISIS/ISIL) haben nach türkischen Regierungsangaben in der Stadt Mossul das Konsulat der Türkei gestürmt und 48 Menschen als Geiseln genommen. Ein türkischer Regierungsvertreter nannte diese Zahl am Mittwochnachmittag, nachdem die irakische Polizei zuvor von etwa zwei Dutzend Geiseln gesprochen hatte.

Unter den Geiseln befindet sich nach übereinstimmenden Angaben der türkische Konsul. Auch drei Kinder sollen in der Gewalt der Terroristen sein. Die Geiseln wurden aus dem Konsulatsgebäude in einen Stützpunkt der Jihadisten gebracht. Nach Angaben der türkischen Behörden sind alls unversehrt.

Die Rebellen im Irak haben ihren Vormarsch fortgesetzt und nach Polizeiangaben auch die zentralirakische Stadt Tikrit eingenommen.

15 Sicherheitskräfte exekutiert

Bei ihrem Vormarsch im Norden des Irak haben Kämpfer der ISIL/ISIS am Mittwoch 15 Sicherheitskräfte exekutiert. Das gaben ein Polizeioffizier und Mitarbeiter der örtlichen Behörden bekannt. Demnach wurden in Rijad sechs, in Rashad vier und am Kontrollposten Talkiyah fünf Sicherheitskräfte getötet.

Kämpfer von ISIL/ISIS bewegen sich auf die irakische Hauptstadt Bagdad zu. Die ISIL-Kämpfer brachten große Teile der Regionen Ninive, Anbar und Salah ad-Din (Salahedin) nordöstlich von Bagdad unter ihre Kontrolle, berichtete der Nachrichtensender Al-Jazeera. Am Mittwoch drangen die Kämpfer weiter auf Tikrit, Geburtsort des am 30. Dezember 2006 hingerichteten langjährigen irakischen Machthabers Saddam Hussein, vor.

Extremisten in Industriestadt Baiji

Als strategisch wichtigen Ort eroberten die Extremisten Baiji rund 200 Kilometer nördlich von Bagdad, wie Medien berichteten. Dort wollten sie die Ölraffinerie und das Elektrizitätswerk unter ihre Kontrolle bringen, das auch die Hauptstadt mit Strom versorgt. Angriffe auf das Elektrizitätswerk der Industriestadt, das auch die Hauptstadt mit Strom versorgt, konnten aber von Stammesführern kommandierte Milizen abgewehrt werden.

Die Aufständischen "sind über Nacht aufmarschiert und haben das Gerichtsgebäude sowie eine Polizeiwache im Stadtzentrum in Brand gesteckt", berichtete ein Sicherheitsmann in Baiji dem unabhängigen Nachrichtenportal "Al-Sumaria News". Von Stammesführern kommandierte Milizen hätten die Islamisten jedoch vom Elektrizitätswerk vertreiben können.

Waffenarsenale ausgebeutet

Der für Notstandsmaßnahmen zuständige Direktor bei Human Rights Watch, Peter Bouckaert, sagte, die ISIL habe auf ihrem Feldzug große Waffenarsenale der irakischen Armee erbeutet. Die Waffen könne ISIL nun in das Bürgerkriegsland Syrien einschleusen.

Bereits am Dienstag hatte ISIL mit Mossul die zweitgrößte Stadt des Landes unter ihre Kontrolle gebracht. Während des Angriffs sind nach Angaben internationaler Helfer rund 500.000 Menschen der Dreimillionen-Einwohner-Stadt geflohen. Sie hätten ihre Wohnhäuser aus Angst vor gewalttätigen Übergriffen verlassen, berichtete die Internationale Organisation für Migration (IOM) am Mittwoch in Genf.

"Hohe Zahl von Opfern"

Kämpfer der ISIL hatten die Millionenstadt nach mehrtägigen Kämpfen eingenommen. Die Regierung in Bagdad räumte den Abzug der Armee aus der nördlichen Metropole ein. Nach Angaben der IOM, die auf Informationen humanitärer Helfer vor Ort beruhen, hat es durch Kämpfe unter der Zivilbevölkerung "eine hohe Zahl von Opfern" gegeben.

Unterdessen kündigte der irakische Außenminister Hoshyar Sebari an, gemeinsam mit der autonomen kurdischen Regionalregierung die Rebellen aus Mossul vertreiben zu wollen. "Es wird eine engere Kooperation zwischen Bagdad und der Regionalregierung in Kurdistan geben, um gemeinsam die ausländischen Kämpfer zu verjagen", sagte Sebari am Mittwoch in Athen.

Minister verlangt rasche Reaktion

Die Terroristen seien eine "ernste und tödliche" Bedrohung für sein Land, so der Minister am Rande eines Treffens zwischen Vertretern der Arabischen Liga und der EU. Alle Anführer im Irak müssten sich gemeinsam gegen die Aufständischen stellen, forderte Sebari. "Die Antwort auf das, was geschehen ist, muss rasch kommen."

Am Donnerstag soll das irakische Parlament über die Forderung von Ministerpräsident Nuri al-Maliki beraten, den Notstand zu verhängen. Damit hätte der umstrittene schiitische Regierungschef mehr Befugnisse, um in den Konflikt mit den sunnitischen Aufständischen einzugreifen. Viele Sunniten fühlen sich benachteiligt durch die schiitisch dominierte Regierung.

Machtkampf

Die Terrorgruppe ISIL macht sich diesen Machtkampf zwischen Sunniten und Schiiten im Irak zunutze. Die Umgebung von Mossul gehört seit langer Zeit zu den Hochburgen der ISIL. Einen Rückzugsort findet sie aber auch jenseits der Grenze in den syrischen Nordprovinzen.

Die US-Außenamtssprecherin Jen Psaki appellierte an die irakischen Politiker, als Einheit gegen die "regionale Gefahr" ISIL vorzugehen. Es müsse mehr für die Sicherheit des irakischen Volkes getan werden. "Und wenn ich sage, dass die Politiker vor Ort mehr leisten können, dann schließt das natürlich auch Al-Maliki mit ein."

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Die Organisation Islamischer Staat im Irak und der Levante (ISIL/ISIS) gehört zu den radikalsten islamistischen Gruppen im Nahen Osten. Sie kämpft für einen sunnitischen Gottesstaat im arabischen Raum. ISIL ging aus dem irakischen Widerstand der 2003 gegründeten Gruppe "Tawhid und Jihad" hervor, die sich gegen die US-Invasion im Irak wandte.

Erster Anführer war der für seine Grausamkeit berüchtigte Jordanier Abu Musab al-Zarqawi. Seit Mai 2010 leitet der Iraker Abu Bakr Al-Baghdadi die ISIL.

Selbstmordanschläge auf Schiiten

Die Gruppe griff im Irak nicht nur US-Soldaten an, sondern verübte auch Selbstmordanschläge auf Schiiten und Christen im Land. Zarqawi wurde 2006 von der US-Armee getötet. Seither führen Iraker die Organisation. Deren Name "Islamischer Staat im Irak und der Levante" verdeutlicht den Anspruch, einen sunnitischen Großstaat zwischen Mittelmeer und Euphrat zu errichten.

Konflikt mit Al-Nusra-Front

An Macht gewann die ISIL, als sie sich im Frühjahr 2013 in den syrischen Bürgerkrieg einmischte. Dort überwarf sie sich mit der aus syrischen Salafisten bestehenden Al-Nusra-Front, obwohl beide Gruppen damals dem Terrornetzwerk Al-Kaida nahestanden.

Vor allem im Nordosten Syriens greift ISIL syrisch-kurdische Städte an und massakriert die Zivilbevölkerung. Im Irak profitiert die ISIL vom Streit der von Schiiten dominierten irakischen Regierung unter Nuri al-Maliki mit den sunnitischen Parteien des Landes.

Spenden aus den Golfstaaten

ISIL finanziert sich vor allem durch Spenden aus den Golfstaaten Katar und Saudi-Arabien, aber auch durch Wegzölle entlang der Grenzen zwischen Irak und Syrien. In den Reihen der Gruppe kämpfen internationale Brigaden, darunter Muslime aus Nordafrika und den arabischen Golfstaaten sowie Konvertiten aus Europa und Nordamerika.

Mossul

Die Handels- und Wirtschaftsmetropole rund 400 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt Bagdad am Ufer des Tigris hat nach unterschiedlichen Angaben 1,5 bis 2,8 Millionen Einwohner. Neben großen Erdölraffinerien ist auch die Textilverarbeitung von Bedeutung. Schon in seiner frühen Geschichte war das bedeutende Zentrum auf der Handelsroute zwischen Indien, Persien und dem Mittelmeer bekannt für feine Baumwollstoffe und Lederprodukte - der Stoff Musselin ist nach Mossul benannt. Heute ist Mossul ein wichtiger Handelsort zwischen der Türkei und dem Irak.

In der multiethnischen Hauptstadt der Provinz Ninive leben Araber, Kurden, Turkmenen und Assyrer. Viele Angehörige der früher bedeutenden christlichen Minderheit sind nach dem Sturz Saddam Husseins 2003 vor Krieg und Terror aus Mossul geflohen. Einst war die Stadt nahe der bis zu 3.500 Jahre alten Ruinen des assyrischen Ninive ein Zentrum des irakischen Tourismus. Neben Palästen, Kirchen und Klöstern zeugt das erhaltene Minarett der 640 gebauten Umayyaden-Moschee von der reichen Geschichte Mossuls.

Trikit

Die Geburtsstadt Saddam Husseins liegt etwa 175 Kilometer nördlich von Bagdad. Der vorher bescheiden von Ackerbau und Handel lebende Ort wurde unter dem früheren Machthaber zur modernen Hauptstadt der Provinz Salah ad-Din (Salahedin/Saladin) mit 260.000 Einwohnern (2003) ausgebaut. Heute leben Schätzungen zufolge noch 100.000 Menschen in Tikrit.

In den vergangenen Jahren war die Stadt mehrfach Schauplatz verheerender Terroranschläge. 2011 wurden bei einer Geiselnahme im Provinzparlament und der anschließenden Befreiungsaktion 65 Menschen getötet, darunter Dutzende Abgeordnete. Für die muslimische Welt hat Tikrit große Bedeutung als Geburtsort von Sultan Saladin im 12. Jahrhundert, der die Kreuzritter besiegte und Jerusalem eroberte.