Einmal Salafismus und retour: "Es hat mich angeekelt"
Von Evelyn Peternel
Mit 17 war Dominic Schmitz ein normaler Jugendlicher, er rauchte, hatte eine Freundin. Dann lernte der heute 28-Jährige Salafisten kennen – und wurde als „Musa“ Teil der radikalen Szene. 2010 stieg der Mönchengladbacher aus.
KURIER: Sie waren selbst sechs Jahre lang Salafist, einige Ihrer Brüder kämpften für den IS. Was geht in deren Köpfen vor?
Dominic Musa Schmitz: Eine Mischung verschiedener Dinge. Da ist purer Hass auf den Westen, der für das Leid der Muslime verantwortlich gemacht wird. Viele treibt der Gedanke an, ihren Geschwistern in Syrien zu helfen, sie erwarten ein Land nach Gottes Gesetz. Statt dem Paradies auf Erden erleben sie aber einen skrupellosen Krieg: Man verroht , wird unter Druck gesetzt – wer hört, dass jeden, der sich gegen uns stellt, der Tod erwartet, entscheidet sich nicht mehr um.
Wie kamen Sie mit den Ideen des Salafismus in Kontakt?
Über einen alten Bekannten, er hat mich in die Moschee eingeladen. Beim ersten Besuch habe ich gleich Salafisten kennengelernt – deshalb war für mich Islam immer gleich Salafismus.
Was hat Sie daran fasziniert?
Für mich war das der Weg. Der Koran war für mich das Wort Gottes – und das musste man so verstehen, wie die Vorfahren es vor 1400 Jahren taten. Es gab positive Nebeneffekte, die Gemeinschaft, das war wie Familienersatz. Dazu Liebe und Anerkennung, das Gefühl auserwählt zu sein, und eine Art von Rebellion, anders zu sein, gegen den Mainstream.
Wie hat Ihr Umfeld reagiert? Sie trugen plötzlich Pluderhosen, hatten einen Bart.
Ganz verschieden. Viele haben sich lustig gemacht, der Freundeskreis ist automatisch auseinandergegangen.Wie kann man sich Ihren Alltag vorstellen? Alles hat sich nur um den Glauben gedreht. Morgens fing es mit dem ersten Gebet an, mittags bin ich in die Moschee, den ganzen Tag bin ich hin und her gependelt. Der Salafismus gab mir eine Anleitung für den Alltag: Wie man schläft, isst, spricht; einfach, wie man lebt. Für jede Situation gab es eine Antwort.
Wie lautete die Antwort in puncto Frauen und Sexualität?
Ich habe mit Frauen nichts mehr zu tun gehabt, ihnen nicht mehr die Hand gegeben, nicht mehr mit ihnen telefoniert oder gechattet, teilweise habe ich sie nicht mal mehr angesehen. Das wurde dann immer schwieriger, weil ich vorher ja ein anderes Leben gewohnt war und auch gewisse Bedürfnisse hatte.
Mit 19 haben Sie dann eine Muslimin geheiratet. Wovon haben Sie gelebt?
Anfangs hab ich ja noch bei meiner Mutter gelebt, als ich dann geheiratet habe, haben wir von Hartz IV gelebt.
Ist es in der Community akzeptiert, vom Staat zu leben?
In der Community schon, im Salafismus eigentlich nicht, da sollte man da Brot mit seinen eigenen Händen verdienen. Allerdings kommen da viele Abers: Wir müssen ja zum Freitagsgebet, wir dürfen nicht mit Frauen zusammenarbeiten, wir dürfen keine Musik hören – da bleibt nicht mehr viel über, was man machen kann.
Was hat Sie letztlich zum Zweifeln veranlasst?
Der Gedanke, dass ich kein Individuum war, nur mehr ein Roboter, der nach Regeln lebt, die nicht nur das Handeln bestimmen, sondern auch das Denken und Fühlen. Dass mir der Salafismus vorschreibt, wen ich lieben und wen ich hassen muss, hat mich irgendwann angeekelt.
Wie haben Ihre Glaubensbrüder auf Ihren Ausstieg reagiert?
Anfangs hat man versucht, mich zurückzuholen. Als ich öffentlich Stellung bezogen habe, standen alte Glaubenskameraden vor der Tür und drohten mir. Heute bin ich aus meinem Heimatort weggezogen, seit mein Buch heraußen ist, habe ich unzählige Nachrichten bekommen; es wird Telefonterror gemacht.
Zweifeln Sie an Ihrem Schritt, an die Öffentlichkeit zu gehen?
Nein, auf gar keinen Fall. Wenn alle schön den Mund halten, dann geht es immer so weiter – das treibt mich an.
Sie waren mit Sven Lau und Pierre Vogel, den bekanntesten Gesichtern der Szene, befreundet. Wie gefährlich sind die beiden?
Sie sind geistige Brandstifter. Sie selbst würden sich nie die Hände schmutzig machen, aber viele aus ihrem Umfeld sind nach Syrien gereist oder hierzulande gewalttätig geworden. Sie propagieren natürlich keine Gewalt gegen "Ungläubige", aber alles, wofür sie stehen, ist Nährboden dafür, gewalttätig zu werden.
Ihren muslimischen Vornamen Musa bekamen Sie ja von Pierre Vogel. Wieso haben sie ihn nicht abgelegt, nach ihrem Ausstieg?
Ja, ich hatte vier Namen zur Auswahl und musste mich entscheiden; er hat mir die Entscheidung abgenommen. Abgelegt habe ich ihn nicht, weil er ja zu mir gehört - er bedeutet eigentlich nur Moses, ist also neutral und hat nichts mit Salafismus und Pierre Vogel zu tun. Aber ich schäme mich nicht dafür. Auch mein Youtube-Kanal läuft unter dem Namen, und der hatte viel mit meinem Gang an die Öffentlichkeit zu tun.
Sie klären auch in Schulen auf. Wie kann man Jugendliche davon abhalten, sich von Salafisten einfangen zu lassen?
Ich versuche, ihnen die richtigen Instrumente zu geben, indem ich an sie appelliere, kritisch zu sein, zu zweifeln und Entscheidungen eigenständig zu treffen – und nicht weil es im Koran steht oder Eltern, Freunde oder Pierre Vogel es ihnen sagen. So lange das gegeben ist, ist mir egal, was ein Mensch glaubt oder nicht, ob eine Frau Minirock oder Kopftuch trägt, sogar, wenn ein Mann Frauen nicht die Hand gibt. Aber wenn er anfängt, andere zu hassen, dann wird es gefährlich.
Dominic Musa Schmitz (28) konvertierte als 17-Jähriger zum Islam und war tief in der deutschen Salafistenszene verankert - er begleitete Pierre Vogel auf Pilgerreisen, war die rechte Hand von Sven Lau. Beide gelten als die bekanntesten Vertreter der deutschen Szene – ein Netzwerk, das rasant wächst: 7500 Personen umfasst die Szene salafistischer Glaubensbrüder laut Verfassungsschutz. Nach seiner Heirat und der Geburt von zwei Kindern stieg Schmitz aus – seither betreibt er einen Youtube-Channel, wo er über die Gefahren des Salafismus aufklärt; kürzlich hat er auch ein Buch über seinen Ausstieg verfasst: „Ich war ein Salafist“, erschienen bei Econ, 18.50 Euro.