Politik/Ausland

Fall Yücel: Türkischer Botschafter in Berlin ins Außenamt zitiert

Schon die Entscheidung, Deniz Yücel in Polizeigewahrsam zu nehmen, sorgte europaweit für Empörung. Dass gegen den deutschen Journalisten nach 13 Tagen nun auch Untersuchungshaft verhängt wurde, bringt aber das Fass zum Überlaufen.

Am Dienstagabend ist deshalb auch der türkische Botschafter in Deutschland, Kemal Aydin, ins Auswärtige Amt zitiert worden. Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) sagte, Staatsminister Walter Lindner habe in seinem Auftrag mit dem Botschafter ein Gespräch geführt. Gabriel sieht die deutsch-türkischen Beziehungen durch die Inhaftierung des Welt-Korrespondenten Yücel massiv belastet. Das Verhältnis beider Länder "steht gerade vor einer der größten Belastungsproben in der Gegenwart", sagte er in Berlin.

Auch in Österreich sorgt die jüngste Entwicklung im Fall Yücel für heftige Kritik. "Die Verhängung der U-Haft stellt eine dramatische Wende in der Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei dar", sagt Franz C. Bauer, Chef der österreichischen Journalistengewerkschaft, zum KURIER. Als Zeichen der Solidarität mit Deniz Yücel war in Wien für den späten Nachmittag ein Autokorso geplant.

Die Untersuchungshaft, in die Yücel nach 13 Tagen im Polizeigewahrsam genommen wurde, kann fünf Jahre dauern, bis es zur Freilassung oder zu einem Prozess kommt, in dem die Schuldfrage geklärt wird. Dem 43-jährigen Korrespondenten werden der Welt zufolge "Propaganda für eine terroristische Vereinigung und Aufwiegelung der Bevölkerung" vorgeworfen.

"Es ist unglaublich, was passiert"

Yücel ist der erste deutsche Korrespondent, der seit Regierungsübernahme der islamisch-konservativen AKP des heutigen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan im Jahr 2002 in Untersuchungshaft kommt. "Wir Journalisten sind ja bloß die Speerspitze der Meinungsfreiheit, in Wahrheit geht es darum, dem ganzen Land einen Maulkorb umzuhängen. Alles läuft darauf hinaus, eine Präsidialdiktatur unter Erdogan zu errichten", sagt Bauer.

Auch die Chefin von Reporter ohne Grenzen in Österreich, Rubina Möhring, zeigt sich gegenüber dem KURIER empört. "Es ist unglaublich, was passiert, jegliche Hemmschwelle scheint gefallen zu sein", sagt Möhring, die eine "scharfen Brief an die türkische Regierung" ankündigt.

Merkel: Maßnahme ist "unverhältnismäßig hart"

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel nannte die Anordnung der Untersuchungshaft "bitter und enttäuschend" und erklärte: "Diese Maßnahme ist unverhältnismäßig hart, zumal Deniz Yücel sich der türkischen Justiz freiwillig gestellt und für die Ermittlungen zur Verfügung gestellt hat." Die Bundesregierung erwarte, dass die türkische Justiz im Fall Yücel "den hohen Wert der Pressefreiheit für jede demokratische Gesellschaft" berücksichtige. "Wir (...) hoffen, dass er bald seine Freiheit zurückerlangt."

Der deutsche Justizminister Heiko Maas nannte den Umgang mit dem Journalisten sei "völlig unverhältnismäßig". Kritische Berichterstattung sei "fundamentaler Bestandteil demokratischer Willensbildung", sagte der SPD-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. "Das Wegsperren von missliebigen Journalisten ist mit unserem Verständnis von Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit unvereinbar." Wenn sich die Türkei nicht an die europäischen Grundwerte halte, "wird eine Annäherung an die EU immer schwieriger bis unmöglich".

Franz C. Bauer appeliert gegenüber dem KURIER auch an die EU und die OSZE, deren Vorsitz Österreich derzeit hat, für die Durchsetzung der europäischen Werte aufzustehen.

"Deniz Yücel hat seinen Job gemacht, nichts anderes"

VÖZ-Präsident Thomas Kralinger erinnert gegenüber dem KURIER daran, dass die türkische Verfassung eigentlich die Freiheit der Presse und die Meinungsfreiheit garantieren würde. "Die Türkei unterzeichnete die UN-Menschenrechtskonvention, die in Artikel 19 das Recht jedes Menschen auf freie Meinungsäußerung einschließlich des Rechts, seine Meinung zu verbreiten und die Meinungen anderer zu hören, garantiert. Artikel 19 verbietet eine staatliche Zensur. Denis Yüzel hat seinen Job als Journalist gemacht, nichts Anderes." In den letzten Jahren habe sich die Arbeitssituation der Journalisten in der Türkei und seit 2014 auch der ausländischen Korrespondenten jedoch ständig verschlechtert. "Mit der Verhaftung von Deniz Yüzel ist ein neuer und nicht mehr tolerabler Tiefpunkt erreicht."

#FreeDeniz

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International bezeichnete den Haftbefehl gegen Yücel als "inakzeptabel". "Es sieht nach einem anderen Fall aus, in dem erneut ein Journalist wegen kritischer Artikel und unter Anwendung der Terrorgesetze beschuldigt wird", sagte der Türkeiexperte Andrew Gardner.

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Auch in Deutschland sind weitere Proteste geplant. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Özcan Mutlu kündigte eine Kundgebung für diesen Dienstag vor der türkischen Botschaft in Berlin unter dem Motto #FreeDeniz an. Mutlu sagte: "Wenn die Türkei zeigen will, dass sie eine Demokratie ist, dann muss diese Farce endlich beendet und die Presse- und Meinungsfreiheit geschützt werden."

Bereits in den vergangenen Tagen kam es in Deutschland zu mehreren Protestaktionen und Solidaritätsbekundungen. Auch heute wird es in Frankfurt zu einem Autokorso kommen, in Berlin ist eine Kundgebung mit dem Grünen-Chef Cem Özdemir geplant

Yücel hatte sich selbst bei Polizei gemeldet

Unter dem derzeit geltenden Ausnahmezustand in der Türkei können Verdächtige bis zu 14 Tage in Gewahrsam gehalten werden. Spätestens an diesem Dienstag hätte Yücel einem Haftrichter vorgeführt oder freigelassen werden müssen. Bereits der lange Polizeigewahrsam für Yücel war in Deutschland auf Kritik gestoßen.

Yücel hatte sich am 14. Februar bei der Polizei in Istanbul gemeldet, weil nach ihm gefahndet wurde, und war festgenommen worden. Der "Welt"-Chefredakteur Ulf Poschardt hatte danach an die Behörden appelliert, keine Untersuchungshaft zu verhängen.

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Yücel hatte seine Bedingungen im Polizeigewahrsam - vermittelt über seinen Anwalt - in der Welt am Sonntag als schwierig bezeichnet. Er hatte aber auch hinzugefügt: "Mir geht es ganz gut." Yücel teilte sich demnach mit meist ein bis zwei Mitgefangenen eine Sieben-Quadratmeter-Zelle. Gewalt habe er nicht erfahren oder mitbekommen. Die Polizisten seien manchmal grob im Ton, aber nicht ausfallend und im Rahmen der Vorschriften meistens auch hilfsbereit.

Berichte über Erdogans Schwiegersohn

Der 43-Jährige hatte wie andere Korrespondenten über gehackte E-Mails von Energieminister Berat Albayrak berichtet. Darin ging es auch um eine Beeinflussung der Öffentlichkeit etwa durch falsche Twitter-Nachrichten. Albayrak ist ein Schwiegersohn von Präsident Recep Tayyip Erdogan.

Der Original-Link zu der Geschichte ist hier abrufbar

Yücel ist seit Mai 2015 Türkei-Korrespondent der Welt. Die Regierung hatte ihm eine Akkreditierung verweigert. Da er auch türkischer Staatsbürger ist, konnte er dennoch legal im Land arbeiten. Zahlreiche türkische Journalisten sind nicht von der Regierung akkreditiert. Bei ausländischen Korrespondenten ist die Akkreditierung Voraussetzung für die Aufenthaltsgenehmigung.

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Pressefreiheit hat keinen hohen Wert

Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen lag die Türkei schon vor dem im Juli 2016 verhängten Ausnahmezustand auf Platz 151 von 180 Staaten. Dutzende regierungskritische türkische Journalisten sitzen in Haft. Im Dezember war ein amerikanischer Korrespondent des Wall Street Journals vorübergehend festgenommen worden, er verließ anschließend das Land.