Politik/Ausland

Türkei: Sammeln für die "Wahrheit"

Tag sechs der Proteste in der Türkei. Noch immer setzt die Polizei im Istanbuler Gezi-Park Wasserwerfer und Tränengäs ein, noch immer geht die Polizei gegen die Demonstranten vor, die in Richtung der Büros von Regierungschef Recep Tayyip Erdogan bewegen. Die Demonstranten lassen sich davon nicht irritieren: Sie versammeln sich weiterhin zu Tausenden, vor allem auf dem Taksim-Platz in Istanbul skandieren sie ihre Parolen gegen die Regierung.

Jetzt bekommen die türkischen Demonstranten Unterstützung von der anderen Seite der Welt: Oltac Unsal, Duygu Atacan und Murat Aktihanoglu aus den USA haben eine Initiative ins Leben gerufen, um dem Protest eine Stimme in internationalen Medien zu geben: Sie rufen auf der Crowdfunding-Plattform Indiegogo dazu auf, zu spenden – um ganzseitige Inserate in einflussreichen Medien wie der New York Times zu schalten. Mit durchschlagendem Erfolg. Knapp zwei Tage nach Start der Kampagne haben die Initiatoren bereits knapp 90.000 Dollar gesammelt; mehr als genug für die Anzeige.

„Wir wollten den Menschen zeigen, was in der Türkei passiert“, sagt Murat Aktihanoglu in einem Interview mit dem Sender MSNBC. „Wenn die ganze Welt zuschaut, muss die Erdogan-Regierung sich vielleicht anpassen.“ Spätestens Donnerstag soll die Anzeige erscheinen; auch beim Sujet konnte die Öffentlichkeit mitbestimmen.

Damit will man den Protest auf eine neue Ebene hieven - und die eigene "Wahrheit" verbreiten. Bislang spielte sich das mediale Aufbegehren unter dem Hashtag #occupygezi nämlich vor allem im Netz ab. In den Medien ist deshalb bereits die Rede von einer "Hashtag-Armee" - denn sowohl über Twitter als auch andere soziale Plattformen verbreitet sich die Kunde von den Protesten in Sekundenschnelle. Premier Erdogan ist die Bedrohung dadurch offenbar durchaus bewusst: In einem Interview mit dem Guardian ließ er sich über die sozailen Netzwerke aus. "Es gibt jetzt eine Bedrohung namens Twitter. (...) Für mich sind die sozialen Medien die schlimmste Bedrohung der Gesellschaft." Jedem seine eigene "Wahrheit", also.

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Twitter-User werden polizeilich verfolgt

Auch innerhalb der Türkei findet der Protest, bei dem bereits zwei Menschen ihr Leben verloren haben, seine Unterstützer nicht nur auf der Straße, sondern auch in öffentlichen Gebäuden: So hat sich der Gemeinderat der Touristenstadt Antalya geweigert, die Polizei mit Wasser für die Wasserwerfer zu versorgen, berichtet die Zeitung Hürriyet. Die Oppositionsabgeordnete Aylin Nazliaka demonstrierte ihren Protest, indem sie dem türkischen Innenminister Muammer Güler eine aus einem Tränengaskanister gefertigte Vase mit Nelken überreichte – eine Reminiszenz an jenen 22-Jährigen, der in der Provinz Hatay ums Leben gekommen war, als ein explodierender Tränengaskanister ihn am Kopf getroffen hatte.

Güler wird als Hauptverantwortlicher für das exzessive Vorgehen der Exekutive gegen die Demonstranten gesehen. Seine Suche nach den „Verantwortlichen“ erstreckt sich jetzt auch auf das Internet: 25 Personen wurden jetzt festgenommen, weil sie via Twitter "irreführende und beleidigende Informationen" verbreitet hätten, berichtet die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu Ajansi. Der Hintergrund: Die Twitter-User hatten schlicht dazu aufgerufen, sich den Protesten anzuschließen.

Anonymous hackt Accounts in Erdogan-Nähe

Die Antwort aus den Netz folgte auf dem Fuße: Wie Reuters berichtet, hat Anonymous Turkey die Mailaccounts von Erdogan-Mitarbeitern gehackt. Man werde allerdings keine Telefonnummern oder vertrauliche Inhalte preisgeben, vermeldeten die Aktivisten - offenbar ging es nur darum, ein Zeichen zu setzen.