Kiew und Moskau im Clinch
Von Stefan Schocher
Es geht Schlag auf Schlag dieser Tage: Moskau und Kiew kündigen einander Freihandelsabkommen auf, Moskau fordert massiv die ultimative Rückzahlung eines Drei-Milliarden-Dollar-Kredits von Kiew und droht mit Klage, Kiew legalisiert de facto die Blockade der Krim durch tatarische und nationalistische Aktivisten. Und bei seiner Pressekonferenz in Moskau spricht Russlands Präsident Putin erstmals zumindest im Ansatz aus, was seit Beginn des Krieges in der Ostukraine vor knapp zwei Jahren an sich klar war. Auf die Frage eines Moskau-Korrespondenten der ukrainischen Nachrichtenagentur UNIAN bezüglich zweier auf ukrainischem Gebiet festgenommener russischer Militärangehöriger antwortete er: "Wir haben nie behauptet, dass dort (in der Ukraine, Anm.) keine Leute waren, die gewisse Aufgaben ausgeführt haben, auch auf militärischem Gebiet." Will heißen: Putin gesteht die Präsenz russischer Sonderkommandos in der Ostukraine ein, betonte aber zugleich, dass das etwas anderes sei als eine Stationierung regulärer Truppen.
Dass zwischen Kiew und Moskau gerade jetzt wieder einmal die Wogen hochgehen, hat wohl mit der bevorstehenden Jahreswende zu tun. Denn mit dieser tritt – zumindest lautet so der Plan – ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und der Ukraine in Kraft. Das Abkommen ist Teil des vereinbarten Assoziierungsabkommens. Und auch lange versprochene Visaerleichterungen sollen endlich umgesetzt werden. Abhängig ist das zwar noch von einem Fortschrittsbericht, EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn äußerte sich zuletzt aber jedenfalls zuversichtlich, dass die Visapflicht für Ukrainer (vorgesehen ist scheinbar ein erlaubter Aufenthalt von drei Monaten im Zeitraum von sechs Monaten) demnächst fallen werde.
Damit würden aus der Sicht der Ukraine zwei wesentliche Versprechen der EU erfüllt. Vor allem aber die Visaerleichterungen wären gegenüber der zunehmend frustrierten Wählerschaft die tatsächlich wohl erste wirklich sichtbare Verbesserung seit der Revolution 2013/2014. An der Umsetzung des Freihandelsabkommens wiederum hängt die fiskale Überlebensfähigkeit des wirtschaftlich schwer angeschlagenen Landes. Und: Aus der Sicht der Regierung in Kiew sind beide Abkommen die ersten echt greifbaren außenpolitischen Ergebnisse.
Die Zerwürfnisse zwischen der Ukraine und Russland werden dabei bei einem trilateralen Gipfel in Brüssel am kommenden Montag Thema seien. EU-Kommissionspräsident Juncker nannte das Treffen die ultimativ "letzte Chance" der beiden Staaten, bei dem Thema eine "gemeinsame Basis" zu finden. In Kiew wiederum wird befürchtet, dass Moskau die Umsetzung des Abkommens in letzter Sekunde torpediert.
Bei seiner Pressekonferenz in Moskau stellte Putin am Donnerstag klar, dass es ab 1. Jänner keinen Handel mit der Ukraine als Mitglied der GIS (Gemeinschaft Unabhängiger Staaten; Nachfolgebund der Sowjetunion, der eine Freihandelszone umfasst) geben werde. Faktisch sind die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Ukraine und Russland aber bereits jetzt weit eingeschränkt, gewisse Güter werden nicht mehr zwischen beiden Staaten gehandelt. Sanktionen aber, so Putin, werde man nicht gegen die Ukraine verhängen. Laut der Agentur TASS werden ab 2016 je nach transportiertem Gut Standard-Zölle zwischen 3 und 10 Prozent gelten.
Streit ist aber vorprogrammiert: Etwa, wenn es um die umfangreichen Kohle-Exporte der abtrünnigen Gebiete in der Ostukraine geht. Moskau betrachtet diese an sich bisher als Teil der Ukraine. Theoretisch müsste Moskau dann für diese Importe Zölle verlangen. Zolleinnahmen der Ukraine aus diesem Grenzgebiet müssten wiederum an Kiew fließen.