Politik/Ausland

"Libyen ist ein zerfetztes Land"

Der Krisenstab im Außenministerium steht vor einer "Mission Impossible". Denn kaum ein Land in Nordafrika ist so instabil und zerrissen wie Libyen. Seit dem Sturz des Gaddafi-Clans ist das Land zersplittert. Hier einen Verhandler zu finden, um den entführten Österreicher aus der Gewalt der IS-Terroristen zu befreien, ist mehr als schwer. Einer, der in Libyen während und auch nach der Gaddafi-Ära lebte, ist David Bachmann. Der ehemalige Handelsdelegierte der Wirtschaftskammer arbeitete sechs Jahre in Tripolis und kooperiert auch mit dem Krisenstab des Außenministeriums.

KURIER: Herr Bachmann, war es fahrlässig, dass das österreichische Unternehmen die Mannschaft trotz der Köpfung von 21 Kopten in Libyen vom Ölfeld noch nicht abgezogen hatte?

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David Bachmann:Mit der Köpfung der koptischen Christen hat die Gewalt in Libyen eine neue Dimension bekommen. Ich war bis Sommer 2013 in Tripolis, da war die Situation schon an der Kippe. Früher wusste jeder Ausländer, die Gewalt spielt sich unter den Libyern ab, richtete sich aber nicht gegen die Ausländer. Auch in Tripolis gab es regelmäßig Scharmützel unter den Milizen, in Benghazi wurden Angehörige des Militärs ermordet, als Ausländer fühlte man sich trotzdem sicher. Das hatte einen einfachen Grund: Libyen sitzt auf der gigantischen Summe von 40 Milliarden Barrel Öl. Das Land braucht aber das westliche Know-how, um das Öl zu fördern.

Bis jetzt gibt es noch keine Lösegeld-Forderung für den entführten Österreicher. Existiert noch Hoffnung für den Linzer?

Manchmal dauerte es bei einer Entführung monatelang, bis es zu einer Forderungen kommt. Man darf auch nicht vergessen, das Land ist eigentlich zerfetzt. Die Libyer sind sehr mit sich selbst beschäftigt. Es verläuft eine Front zwischen Ost und West. Tripolis wird von den Zintani bombardiert. Benghazi kämpft gegen die Islamisten. Derna wiederum ist die Scharia-Hochburg, wo IS-Milizen regieren. Es lässt sich auch nicht genau definieren, welchem Machthaber das Ölfeld zugeordnet werden soll. Das macht mögliche Verhandlungen sehr schwierig.

Das Ölfeld ist in der Nähe von Sirte. Im Februar gab es Meldungen, dass Sirte von IS-Terroristen erobert wurde. Wie ist die Lage in dieser Stadt?

Die Stadt Sirte war die Heimat von Gaddafi. Hier lebten die Loyalisten des Clans. Nach der Revolution wurde Sirte als Rache sich komplett selbst überlassen. Nichts wurde wieder aufgebaut, keine Straßen, keine Häuser. Die Unzufriedenheit vor allem unter den jungen Bewohnern der Stadt war sehr groß. Es ist eine Stadt ohne Zukunft. In Sirte passierte Ähnliches wie im Irak, wo die Sunniten komplett von der Gesellschaft ausgeschlossen wurden und sich dann der IS-Terror breitmachen konnte.

Der Sturz des Gaddafi-Clans wurde weltweit gefeiert. Jetzt ist Libyen unberechenbarer als in der Ära Gaddafi und vollkommen zersplittert. Warum ist der arabische Frühling gescheitert?

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Libyen ist mit Sicherheit in Nordafrika das schwierigste Land. Es gab 40 Jahre lang keine Presse, keine verankerten Strukturen. Auch schon vor Gaddafi gab es jahrhundertelang keine Staatsstrukturen. Tripolis war ein Piratenhafen. Das Land war stets von Stammeskämpfen dominiert. Erst Gaddafi hat das Land geeint, aber es war eben keine natürliche Einigung. Nach seinem Sturz entstand ein Machtvakuum. Im November 2011 war Catherine Ashton eine der ersten internationalen Politikerinnen, die eine Vertretung der EU in Tripolis eröffnete, weil sie den Libyern signalisieren wollte, dass die EU sie nicht im Stich lässt. Die EU dachte, sie kann hier nach dem Muster von Somalia Strukturen aufbauen. Das Projekt scheiterte, denn Libyen ist ein Land, das man verstehen muss.

Was hat die EU in Libyen falsch eingeschätzt?

Mustafa Dschalil war das Gesicht der Revolution. Er machte den Westen glauben, dass die Opposition im Land geeint ist. Nach der Revolution hat sich schnell herausgestellt, dass das nicht stimmte. Es war nur der gemeinsame Feind Gaddafi, der die Opposition vereinte.

Jetzt gibt es zwei Parlamente. Wer hat die Macht in Libyen?

Das lässt sich nicht genau sagen. Jede der beiden Regierungen beansprucht die Macht für sich. Im Juni 2014 wurde ein neues, säkular ausgerichtetes Parlament gewählt, das schon im August aus der Hauptstadt Tripolis in das an der Grenze zu Ägypten gelegene Tobruk im Osten des Landes fliehen musste, weil die Islamisten die neue Regierung nicht anerkannten. Das Parlament tagt nun auf einer Fähre. Jetzt gibt es zwei Parlamente, zwei Regierungen und zwei Premiers im Land. Das war der Anfang vom Ende. Dazu kommen die Tuaregs und die Berber in den Bergen, die auch für ihre Rechte kämpfen.

Saif Gaddafi, der Sohn des Ex-Diktators, warnte während der Revolution in einer Rede: "Wenn ihr die Revolution haben wollt, dann wird in Libyen kein Öl mehr fließen, es wird einen langen Bürgerkrieg geben, und El Kaida wird die Macht übernehmen...

Wir waren damals alle sehr schockiert, als Saif Gaddafi diese Rede am dritten Tag der Revolution hielt. Aber er sollte leider recht behalten. Diese Sätze sind zur traurigen Wirklichkeit geworden.

Saif Gaddafi wartet auf seinen Prozess. Wo und wann wird der Prozess stattfinden?

Der Prozess ist eine regelrechte Farce. Saif wird in der Stadt Zintan gefangen gehalten. Die Kleinstadt südwestlich von Tripolis spielte während des Aufstandes gegen Gaddafi eine wichtige Rolle. Von hier aus erfolgte der Vorstoß der Rebellen auf die Hauptstadt. Milizen aus Zintan besetzten neuralgische Punkte in Tripolis. Doch dann wurden die Zintanis aus Tripolis zurückgedrängt. Der Prozess sollte Saif Gaddafi in Tripolis gemacht werden. Es wurde sogar ein eigenes Gefängnis für ihn gebaut. Aber nun verweigern die Zintanis, Saif nach Tripolis zu transportieren. Alle paar Wochen wird ein Gerichtstermin festgesetzt, der nicht stattfindet.