Linken-Ikone Gysi überlässt Dietmar Bartsch und seinem einstigen Feindbild Sahra Wagenknecht das Feld.
Was er vermissen wird? Das Streiten mit der Kanzlerin, das wird ihm fehlen. Das konnte er auch wie kaum ein anderer.
Gregor Gysi macht Ernst, jetzt wirklich. Der 67-Jährige nimmt seinen Hut als Fraktionsvorsitzender, er zieht sich zurück auf die Hinterbank des deutschen Bundestages, will nur mehr "Gesellschaftspolitiker" sein, wie er sagt. Ob er das kann, fragen sich viele. Zehn Jahre lang war der Ostberliner Wortführer der Linken, einmal ausgleichender Mediator, dann scharfzüngiger Intellektueller, stets aber sendungsbewusst – und mit Witz.
"Nicht wenige von Ihnen haben es mir in den vergangenen zehn Jahren schwer gemacht", sagte er bei seiner Abschiedsrede. Dass das nur an seine Konkurrenz gerichtet war, kann man gern bezweifeln. Denn leicht hatte es der Polit-Süchtige, wie Weggefährten ihn nennen, mit seiner Partei nie. Drei Herzinfarkte und zwei Scheidungen sprechen eine deutliche Sprache.
Politisch sozialisiert wurde Gysi schon in der DDR. Er war der eloquente Anwalt, der Systemkritiker vertrat, der eine der emotionalsten Rede bei den Alexanderplatz-Demos hielt – sie machte ihn im Wendejahr auch zum SED-Nachlassverwalter, der die Ost-Partei zur PDS umkrempelte. Dass er sie 2005 dann mit Oskar Lafontaines linkem West-Bündnis fusionierte, sicherte ihm einen Eintrag im Geschichtsbuch der Einheit. Getrübt wird all das nur durch die Fußnote, er habe möglicherweise Mandanten an die Stasi verraten. Ein Vorwurf, dem er vehement widerspricht – bis heute.
Geblieben ist auch die Trennlinie, die von Anfang an zwischen ihm und Lafontaine bestand. Gysi, der reformorientierte und regierungswillige Pragmatiker, und Lafontaine, der immer oppositionelle Polterer, der stets auf Konfrontation mit der SPD war – das funktionierte zwar bei
Wahlen, aber nach innen hin nie. 2012 kam es zum Bruch zwischen den beiden Charismatikern, Lafontaine zog sich ganz in seine Heimat, das Saarland, zurück. Gysi aber blieb – und versuchte zu kitten. Doch das Bündnis zwischen Ost- und West-Linken, aus Realo-Linken und Sozial-Radikalen blieb ein Pakt der Schmerzen. Den Hass, von dem Gysi beim Eklat vor drei Jahren sprach, hat auch der Seelenklempner der Partei nie ganz wegtherapieren können.
Umso mehr Ansage steckt in seinem Abschied. Er macht den Weg frei für zwei, die wie Galionsfiguren für die Flügel stehen – und die Gysi selbst viel politische Substanz gekostet haben. Seinem Realo-Weggefährten Dietmar Bartsch stellt er Sahra Wagenknecht zur Seite – das intellektuelle Enfant terrible der Partei war mit einer der Gründe, wieso es zum Bruch zwischen Gysi und Lafontaine kam, schließlich ist die 46-Jährige mit dem "Napoleon von der Saar" verheiratet. Seit dessen Rückzug füllte sie die vakante Rolle des Gysi-Gegenparts, ebenso kantig wie ihr Mann. Dem Traum vom Mitregieren erteilte sie etwa im Frühjahr folgende Absage: In der "trüben Brühe" wolle sie nicht mitschwimmen, so Wagenknecht.
Beliebt macht sie sich damit nicht gerade überall.Ob das gut gehen kann? Gysi ist selbst nicht sicher. "Sie müssen sich bemühen", sagte er vor seinem Abschied stets. Die beiden Neuen betonten am Dienstag, die Gräben von 2013 seien überwunden. Allein, in der Partei ist man nicht ganz überzeugt. Nur knapp 79 Prozent votierten für Wagenknecht, 92 für Bartsch.
Ob Gysi, gelingt das Experiment nicht, zurückkehren will? "Nein. Aber ich habe ja nicht die Absicht, die Erde zu verlassen", sagte er lachend, bevor er zu seiner Abschiedsparty aufbrach. Eingeladen war übrigens auch Angela Merkel – zum Streiten, vermutlich.