Geheimbericht: "Keine Rolle" Gülens bei Putschversuch
Für die türkische Regierung war der Schuldige am Putschversuch im vergangenen Juli schnell ausgemacht: Die Gülen-Bewegung habe den Aufstand orchestriert, heißt es bis heute. An der Spitze: Fethullah Gülen, Anführer der islamischen Bewegung, bis zum Bruch der vergangenen Jahre auch Weggefährte des heutigen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan im Kampf gegen das säkulare, kemalistische System der Türkei. Gülen lebt inzwischen im Exil in den USA.
Auf den Putschversuch folgte eine umfassende Säuberungswelle in der Verwaltung. Wie ein von der Presse erhaltener Geheimbericht der geheimdienstlichen Analyseabteilung des EU-Außenamts (EUINTCEN) nun nahelegt, könnte Gülen selbst allerdings unbeteiligt gewesen sein.
Putschisten aus verschiedenen Lagern
Es sei "höchst unwahrscheinlich", dass Gülen "eine Rolle bei dem Putschversuch gespielt" habe, heißt es laut Presse in dem Bericht. Nicht ausschließlich Gülenisten hätten den Putschversuch geplant, sondern auch säkulare Kemalisten, "Opportunisten sowie generell Gegner der Regierungspartei AKP".
Die Verfasser des Berichts, der sich auf nachrichtendienstliche Quellen stützt, halten demnach nicht den Wunsch nach Wandel, sondern die Angst vor dem Gefängnis für den Auslöser des Umsturzversuchs. Der türkische Geheimdienst MIT habe für August 2016 eine große Säuberungswelle geplant gehabt. Erste Verhaftungen seien bereits für den 16. Juli vorgesehen gewesen. Der Putschversuch startete in der Nacht auf den 16. Juli.
Der Verhaftung zuvorgekommen
Teile des Militärs hätten dieser Einschätzung zufolge versucht, ihrer eigenen Verhaftung zuvorzukommen. Ein weiteres Indiz für diese These ist die Beobachtung, dass die Säuberung in der Türkei überraschend schnell in die Gänge kam und Berichte, dass Namenslisten von zu Verhaftenden bereits vorbereitet waren. Weit über 10.000 Personen wurden verhaftet oder festgenommen, darunter Beamte, Journalisten, Künstler und Lehrer.
Mit den Säuberungen entfernte Staatspräsident in großem Stil unliebsame Stimmen aus dem Staatsapparat und MIlitär. Der Putschversuch erleichterte auch die umfassende Verfassungsreform, die Erdogan gerade vom Parlament abstimmen lässt. Sie sieht unter anderem die Erweiterung der Befugnisse des Staatspräsidenten vor.
Das Präsidialsystem würde Erdogan deutlich mehr Macht verleihen und das Parlament schwächen. Erdogan würde zugleich Staats- und Regierungschef und könnte weitgehend per Dekret regieren. Theoretisch könnte er nach der Reform bis zum Jahr 2034 im Amt bleiben.