Fruchtbarer Boden für den Islamischen Staat
Von Stefan Schocher
Wenn die Propaganda-Kraken des IS nach ausländischen Kämpfern suchen, dann tun sie das bekanntermaßen in Europa. Auch in Europa. Es war im August, da in Usbekistans Hauptstadt Taschkent das schwarze Banner des IS auf einer Brücke gehisst wurde – mit einem Schreibfehler, aber immerhin. Nur kurz hing es, ehe es abmontiert wurde. In den zentralasiatischen Staaten aber werden die Umtriebe des IS mehr und mehr als potenziell existenzbedrohend angesehen. Da sind zum einen lokale Organisationen, die dem IS die Gefolgschaft erklären. Und dann sind da eben die Rekrutierungsbemühungen des IS, die in Zentralasien auf besonders fruchtbaren Boden fallen.
Keine genauen Daten
Genaue Daten, wie viele Menschen aus Ländern wie Tadschikistan, Usbekistan oder Turkmenistan in Syrien und dem Irak für den IS kämpfen, gibt es nicht. Nur so viel: Es sind viele; sehr viele. Belegt sind einige Hundert. Geschätzt sind es Tausende, wie Deirdre Tynan, Zentralasien-Koordinatorin der International Crisis Group sagt.
Die Umtriebe des IS heizen dabei eine ohnehin explosive Gemengelage zusätzlich an: Hohe Arbeitslosigkeit, Abwanderung und Arbeitsmigration (was die Beobachtung der Lage massiv erschwert), bestehende islamistische Subkulturen, und all das inmitten korrupter autokratische Regime. Hinzu kommt der Abzug der NATO-Truppe ISAF aus Afghanistan, wodurch zusätzliche Unruhe befürchtet wird.
"Was wir derzeit beobachten ist, dass der IS massiv rekrutiert, was wir aber noch nicht in großem Maß sehen, ist eine Heimkehrbewegung", so Deirdre Tynan. Sie spricht von Staaten, in denen Sozialsysteme praktisch inexistent sind, von schwachen Staaten, von sozialem Vakuum. Islamische Organisationen – nicht zwingend radikale – würden dieses Vakuum nutzen. Und eben auch radikale Gruppen.
Radikalisiert wird dabei an vielen Fronten. Die Islamische Bewegung Usbekistans IMU, eine mit der El Kaida verbündete Organisation, die dem IS die Gefolgschaft erklärt hat, ist dabei besonders aktiv und trainiert Syrien-Kämpfer in Pakistan und Afghanistan. Die IMU rekrutiert dabei vor allem auch in Pakistan. Und auch in Moskau, Ziel vieler Arbeitsmigranten aus Zentralasien, wird rekrutiert und radikalisiert. Tätig sind hier vor allem IS-Ableger kaukasischen Ursprungs.
Der Punkt sei, so Deirdre Tynan, viele Menschen in Zentralasien hätten nichts zu verlieren, "haben nichts, was sie hinter sich lassen könnten." Und so sind es zum Teil ganze Familien, auf die die IS-Propaganda abzielt. Eines der Hauptprobleme, so Deirdre Tynan, sei zudem die leichte Erreichbarkeit Syriens über die Türkei: "Wenn die Leute in Pakistan oder Afghanistan kämpfen wollen, so bereitet das einem wirklich Kopfzerbrechen, sie brauchen ein Visum, die Einreise ist kompliziert; Syrien ist über die Türkei sehr leicht und billig zu erreichen."
Kampfgruppen
Und so gibt es in den IS-Rängen usbekische, tadschikische oder kasachische Kampfgruppen – neben dagestanischen oder tschetschenischen. Der Emir der symbolträchtigen "Hauptstadt" des IS, Al Rakka, ist Tadschike. Und laut der Videobotschaft eines usbekischen Kämpfers soll der IS bereits einen Emir für Usbekistan ernannt haben.
In die Gegenrichtung wiederum bieten zahlreiche Organisation in Pakistan, Afghanistan oder Zentralasien dem IS die Gefolgschaft an: Ein Sprecher der Taliban deutete an, einer Kooperation offen gegenüber zu stehen. Das pakistanische Haqqani-Netzwerk ebenso wie die afghanische Hizb-i-Islami – beide unterhalten Beziehungen zu zentralasiatischen Staaten – ließen Interesse an einer solchen durchblicken.
Der kritische Punkt werde kommen, so Deirdre Tynan, wenn die IS-Kämpfer zurückkehren. Sie spricht von einem möglichen "großen destabilisierenden Effekt". Und die Frage wird sein, welche Gegebenheiten die Syrien-Kämpfer vorfinden werden.
Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) verliert in der umkämpften syrischen Kurdenstadt Kobane (arabisch: Ayn al-Arab) weiter an Boden. Koordinierte Angriffe der kurdischen Volksschutzeinheiten (YPG) und der internationalen Allianz gegen den IS würden die IS-Kämpfer zurückdrängen, berichtete die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Samstag.
"Es gab in der letzten Woche enge Absprachen zwischen beiden Seiten", sagte Rami Abdel Rahman, der Leiter der Beobachtungsstelle, der dpa. "Die Allianz war so in der Lage, mehr direkte Treffer gegen IS-Stellungen in Kobane zu landen." So habe das von den USA geführte Bündnis anhand von YPG-Informationen in der Nacht zwei gezielte Luftschläge gegen den IS im Osten von Kobane geflogen. YPG-Einheiten hätten sich zugleich schwere Gefechte im Nordosten nahe des Grenzübergangs zur Türkei sowie im Süden der umzingelten Stadt geliefert. Acht Jihadisten seien getötet worden.
Nach Angaben des kurdischen Aktivisten Farhad Shami, der sich in Kobane aufhält, hat die YPG in beiden Gefechtszonen "Schlüsselpositionen" zurückerobert. "Ohne Zweifel war das durch die Luftschläge möglich", sagte Shami der dpa.
Belagerung
Kobane wird seit über einem Monat von IS-Kämpfern belagert. Der Ort an der Grenze zur Türkei wird von einer unabhängigen kurdischen Regierung verwaltet; YPG-Einheiten verteidigen die Stadt. Nach Angaben der syrischen Beobachtungsstelle hat die IS-Miliz am Samstag Truppen aus dem ostsyrischen Al-Rakka und dem umkämpften Aleppo im Westen abgezogen, um Kobane weiter unter Druck zu setzen. Jihadisten würden den Grenzübergang zur Türkei immer wieder mit Mörsergranaten beschießen.
Augenzeugen zufolge soll der IS Piloten an erbeuteten Kampfflugzeugen ausbilden. Aktivisten berichteten, Augenzeugen hätten mindestens ein Flugzeug im Tiefflug gesehen. Das US-Außenministerium erklärte dazu: "Uns ist nicht bekannt, dass IS irgendwelche Kampfjets aus dem Irak erbeutet hat."
Allerdings waren dem IS in Syrien mehrere Kampfflugzeuge sowjetischer Bauart - MiG 21 und MiG 23 - in die Hand gefallen. Im August hatte der IS den Fliegerhorst bei Al-Rakka nach heftigen Kämpfen gegen die Truppen des Präsidenten Bashar al-Assad erobert. Danach zeigten die Jihadisten im Internet ihre Kriegsbeute - darunter Kampfjets. Experten bezweifelten damals, dass die Maschinen flugtauglich seien. Die defekten oder wegen Wartungsarbeiten nicht flugfähigen MiGs könnten von ehemaligen irakischen Offizieren und Technikern in den Reihen der Sunnitenmiliz instand gesetzt worden sein.