Kurz in Ankara: Intensives Werben um "Partner" Türkei
Von Andreas Schwarz
Sana, die mit ihren beiden Kindern im Wohnzimmer ihres kleinen Hauses an einem Berghang in Ankara sitzt, steht nicht für die typische syrische Flüchtlingsfamilie, die gerade zu Tausenden nach Europa kommt – und dann doch wieder: „Natürlich will ich zurück nach Syrien, damit meine Kinder dort aufwachsen können“, sagt sie Außenminister Sebastian Kurz, der zu Besuch ist in dem Flüchtlingslager in der türkischen Hauptstadt, „aber das wird lange dauern.“ Es geht ihr vergleichsweise gut hier, sie zahlen 50 Euro Miete, und der Große geht zur Schule. Aber arbeiten dürfen die Lehrerin und ihr Mann, ein Anwalt, in der Türkei nicht. Flüchtlinge sind hier nur „Gäste“ ohne Möglichkeit auf Asyl (die Türkei hat eine Ausnahme zur Genfer Konvention). Ihr Mann arbeitet als Hilfsarbeiter am Bau. Ob sie nach Europa wollen? „Wir fühlen uns wohl hier. Aber dort gibt es bessere Jobs – es ist nur so ein Gedanke.“
Andere haben sich längst auf den Weg gemacht. Und die Zahlen verdeutlichen es: Die Türkei ist das Schlüsselland, wenn es um die Eindämmung des immer stärker anschwellenden Flüchtlingsstromes nach Europa geht. 470.000 Flüchtlinge haben im heurigen Jahr auf dem Weg über das Mittelmeer Europa erreicht. In der ersten Jahreshälfte vor allem von Libyen nach Italien, heute vor allem über den Osten, also von der türkischen Küste auf die griechischen Inseln. 87.000 Flüchtlinge haben im August so EU-Boden erreicht.
Kaum noch finanzierbar
Sie kommen zu einem Teil aus der Türkei selbst. Die beherbergt inzwischen 2,2 Millionen registrierte Kriegsflüchtlinge aus Syrien (plus geschätzte zwei Millionen weitere), davon etwa 200.000 in Camps, und kann das alles kaum noch finanzieren. Aus Syrien, aber auch aus dem Libanon und Jordanien machen sich ständig weitere auf den Weg in die Türkei und nach Europa. Dazu kommen durchreisende Flüchtlinge aus dem Irak, aus Pakistan und Afghanistan.
Die EU setzt daher in der Flüchtlingskrise massiv auf die Türkei. Ankara soll finanziell unter die Arme gegriffen werden, damit die Versorgung der Flüchtlinge im Land garantiert ist (7,2 Milliarden Euro hat die Türkei bisher aufgewendet) und sie im Land bleiben – bis irgendwann der Syrienkonflikt Geschichte ist und sie heimkehren können. „Ende der Gewalt in Syrien, Schutzzonen für Flüchtlinge, damit sie in der Region bleiben können, finanzielle Unterstützung für die Türkei“, das waren die drei Botschaften, die Kurz am Samstag zu Gesprächen mit Amtskollegen Feridun Sinirlioğlu und Premier Ahmet Davutoğlu mitbrachte. Die Türkei sei als Partner zu gewinnen, damit die Flüchtlinge nicht weiterziehen müssen. Die EU will mindestens eine Milliarde Euro für das Land locker machen.
Absage für Syrien-Lösung mit Assad
Doch die Türkei soll auch eine tragende Rolle in Sachen Eindämmung oder Beendigung des Bürgerkrieges in Syrien spielen. Ankara ist ja bereits in den Kampf gegen den „Islamischen Staat“ eingestiegen. Die Hoffnung, dass man sich der auch von Kurz vorgebrachten wachsenden Erkenntnis anschließt, dass eine Lösung in Syrien nur mit allen Beteiligten stattfinden kann, dass möglicherweise eine Übergangslösung sogar mit Syriens Präsidenten Assad an der Macht nötig ist (wie nicht nur von Russland gefordert wird), diese Hoffnung machte Außenminister Sinirlioğlu auf KURIER-Nachfrage zunichte: „Er ist die Hauptursache. Er hat den Krieg begonnen. Er ist ein grausiger Diktator und kann nicht Teil einer Lösung sein. In keinster Weise!“
Das europäische Werben um die Türkei – Tags zuvor waren die Außenminister Deutschlands und Luxemburgs, Steinmeier und Asselborn, in Ankara – will sich Ankara auch abkaufen lassen. Schließlich war das beiderseitige Verhältnis in letzter Zeit ja eher getrübt (EU-Beitrittsverhandlungen auf Eis, Kritik am restriktiven innenpolitischen Kurs Präsident Erdogans und seinem Vorgehen gegen die Kurden). Dass EU-Europa jetzt etwas will, verknüpft Ankara daher nicht nur mit der Entgegennahme großzügiger Finanzhilfen, sondern auch mit der Forderung nach Unterstützung für die Einrichtung einer Sicherheitszone im Norden Syriens. Offiziell für syrische Flüchtlinge, wohl aber auch, um ein einheitliches Kurdengebiet im Süden der Türkei und Norden Syriens zu unterbrechen.