Politik/Ausland

Festgefahren im syrischen Sumpf

Es war ein kleines Detail, das mehr als viele andere im Syrien-Konflikt verdeutlicht, wie verfahren und kompliziert die Lage ist: Ein verwackeltes Amateurvideo zeigt, wie amerikanische Special Forces unter den Beschimpfungen lokaler Rebellenkämpfer das Weite suchen. Schauplatz: Nordsyrien. Die Ironie daran: Bei den Rebellenkämpfern handelte es sich um lokale, syrische Verbände der türkischen Interventionstruppe in Syrien – also gewissermaßen um Verbündete der USA.

Auf den beschriebenen Vorfall folgte dann noch einer mit Symbolkraft: Rebellenverbände aus der selben türkischen Allianz sollen in einer kleinen Stadt im Norden Syriens die Fahne der syrischen Revolution abmontiert haben. Sie sei ein Symbol der amerikanischen Ungläubigen, hieß es. Diese Gruppen erhalten aber Waffen von den USA – oder zumindest von engen US-verbündeten in der Region wie Saudi Arabien oder Katar.

Wechselnde Allianzen

Und so setzt sich das syrische Verwirrspiel fort – in ständig wechselnden Konstellationen. Zwischen extremer Feindschaft bis hin zu Zweckbündnissen auf dem Schlachtfeld liegen mitunter gerade einmal Stunden. Da sind etwa Rebellenfraktionen, die hie und da mit der Dschabat Fatah al-Sham (einst Al-Nusra, der syrische Ableger der El Kaida) kooperieren, dann aber wenige Tage später wieder gegen sie kämpfen.

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Genau das macht es auf der einen Seite so kompliziert, zu einer Verhandlungslösung zu kommen. Auf der anderen Seite ermöglicht es der syrischen Führung in Allianz mit dem Iran, der libanesischen Hisbollah sowie Russland, alle Rebellenverbände in einen Topf zu werfen und als Terroristen zu brandmarken.

Dass die USA und Russland zumindest den Dialog wieder aufgenommen haben, ist an sich eine gute Nachricht. Dass mühsam errungene Einigungen – wie auch immer sie aussehen mögen – aber nur mit erheblichen Schwierigkeiten in die syrische Bürgerkriegsrealität durchsickern, hat bereits der zuletzt zwischen Russland und den USA vereinbarte Waffenstillstand gezeigt.

Einige Rebellengruppen wollten die Einigung nicht akzeptieren, weil sie – wie sich im Nachhinein zu Recht zeigte – eine Regruppierung der syrischen Regimekräfte fürchteten. Die Erfahrungen aus dieser zuletzt gescheiterten Waffenruhe machen die Umsetzung einer etwaigen neuerlichen Vereinbarung nicht leichter.

Da ist aber noch ein Punkt, der einer Einigung zum gegenwärtigen Zeitpunkt im Weg steht: Zu viel ist derzeit im Fluss, und zu viele Seiten gehen derzeit davon aus, ihre Ziele militärisch realisieren zu können. Zugleich wird mit jedem Bombardement und jedem Massaker der Raum für Kompromisse kleiner, während die ohnehin lange Liste an offenen Rechnungen länger wird. Die syrische Armee und ihre Verbündeten haben in Aleppo erstmals seit Jahren die Chance auf einen wirklich symbolträchtigen Sieg gegen die Rebellen.

Keine Zugeständnisse

Das Regime-Lager verweigert alle Zugeständnisse an die bewaffnete Opposition – vor allem Sicherheitsgarantien. Mit gutem Grund: Denn ein Kompromiss wäre wohl das Ende Assads, für Russland steht die militärische Präsenz im Mittelmeerraum am Spiel und für den Iran der Einfluss in der Region, vor allem auf den Süd-Libanon, die Hochburg der schiitischen Hisbollah-Miliz.

Die Türkei und ihre Allianz aus syrischen Rebellen wiederum hat ihr Ziel noch nicht realisiert, einen durchgehenden Keil zwischen die kurdischen Kantone in Nordsyrien zu schlagen. Die Kurden halten indes still und fokussieren sich auf den IS.

Die verschiedensten Rebellen-Gruppen wiederum können sich, wenn auch auf fast gar nichts, so doch auf eines einigen: Den Sturz Assads als gemeinsames Ziel.

Bei allen Niederlagen in und um Aleppo konnten diese Gruppen zuletzt doch vor allem um die Stadt Hama erhebliche Geländegewinne gegen die Armee erzielen. Ohne Sicherheitsgarantien haben sie zudem nichts zu verlieren – und damit einen guten Grund, weiterzukämpfen.

Nicht zuletzt besteht der Unsicherheitsfaktor Islamischer Staat. Er ist derzeit an allen Fronten erheblichem militärischen Druck ausgesetzt, kontrolliert aber gut ein Drittel des syrischen Territoriums – und dabei vor allem sunnitische Gebiete. Gesetzt den Fall, dieses Gebilde würde kollabieren, wer füllt dieses Vakuum? Dass das die alawitische Elite um Assad sein wird, scheint aus derzeitiger Sicht eher ausgeschlossen.

Neue Syrien-Beratungen der USA und Russlands mit mehreren Staaten der Region sind am Samstagabend in Lausanne nach gut fünf Stunden beendet worden. Über konkrete Ergebnisse wurde zunächst nichts bekannt. Die russische Nachrichtenagentur Interfax zitierte den russischen Außenminister Sergej Lawrow jedoch mit der Aussage, die Teilnehmer wollten "die Kontakte in den nächsten Tagen fortsetzen".

Ob damit weitere Treffen oder lediglich telefonische Kontakte gemeint sind, ließ Lawrow offen. Bei dem Treffen seien zahlreiche "interessante Ideen" diskutiert worden, fügte der russische Außenminister hinzu. Zudem solle soll bald als möglich ein politischer Prozess zur Beilegung des syrischen Bürgerkrieges begonnen werden, erklärte er, ohne weitere Details zu nennen.

Kerry erklärte kurze Zeit später, es habe sich um "ein sehr offenes Brainstorming" gehandelt. Dabei habe es "neue Ideen" gegeben, aber auch "schwierige Momente voller Spannungen". Auch er sprach von Konsens "vieler Staaten bei Schlüsselfragen", vor allem darin, dass der Konflikt beendet werden solle. Man wolle nun möglichst schnell die noch verbleibenden "Lücken füllen", was zu einer "Roadmap für politische Gespräche" führten könnte.

Zahlreiche andere Teilnehmer verließen den Tagungsort ohne sich gegenüber den wartenden Journalisten zu äußern. Bereits im Vorfeld waren kaum Erwartungen in das Treffen gesetzt worden. Vor dem Hintergrund der russischen Bombardements auf Aleppo, die in den vergangenen Tagen Hunderte zivile Opfer gefordert hatten, war es bereits als Fortschritt gewertet worden, dass sich die Außenminister der USA und Russlands vor Beginn der Gespräche in größerer Runde, überhaupt bilateral trafen.

In den Gesprächen hätten auch Chancen für eine zumindest zeitweilige Feuerpause zur Versorgung notleidender Zivilisten in Aleppo ausgelotet werden sollen, hier gab es aber offenbar keine Fortschritte. Mehrere westliche Staaten haben Moskau wegen der massiven Luftangriffe auf Wohngebiete und Krankenhäuser "Kriegsverbrechen" vorgeworfen.

Kerry und Lawrow hatten Mitte September eine landesweite Feuerpause zwischen Rebellen und Regierungstruppen ausgehandelt, doch war diese nach nur wenigen Tagen wieder zerbrochen. Am 22. September starteten die syrischen Regierungstruppen mit Unterstützung der russischen Luftwaffe eine neue Offensive in Aleppo, um die seit Jahren geteilte Großstadt wieder vollständig unter ihre Kontrolle zu bringen.

An den Beratungen in einem Hotel am Genfer See nahmen neben Lawrow und Kerry auch die Spitzendiplomaten Katars, der Türkei, Saudi-Arabien, des Irans, Ägyptens, des Iraks sowie Jordaniens teil. Die USA, die Türkei, Saudi-Arabien und Katar unterstützen Rebellengruppen in Syrien, der Iran sowie Russland gelten hingegen als wichtigste Stützen des syrischen Machthabers Bashar al-Assad.