Politik/Ausland

Fall-Skripal: Spuren in die tiefsten Kellergewölbe des Kreml

Der Fall Skripal könnte sich für den Kreml zu einem veritablen Eigentor entwickeln – hatte der Anschlag doch die größte Massenausweisung von Diplomaten sowie Sanktionen nach sich gezogen. Politische Isolation mag den Kreml nicht stören, lässt sich diese doch dem eigenen Volk sehr wirkungsvoll als ausländisch Böswilligkeit  verkaufen. Das funktioniert aber nur, solange  alle innerhalb der Grenzen die Geschichte kaufen. Und hier fangen die  Probleme an: Denn das Interview, das zwei von Großbritannien im Fall Skripal beschuldigte russische Staatsbürger dem russischen Auslandsorgan Russia Today gaben, hat auch in Russland selbst vor allem Spott und Hohn nach sich gezogen. Fazit: Eine schlechte Geschichte, unglaubwürdig serviert und garniert mit handfesten Details, die einem im Hals stecken bleiben. Nicht zu reden vom Ausland: Ein Sprecher der britischen Premierministerin Theresa May nannte die Darstellung eine "Beleidigung der öffentlichen Intelligenz".

Die Rechercheplattformen Bellingcat und The Insider haben sich die Pässe der beiden Tatverdächtigen Alexaner Petrow und Ruslan Boshirow vorgenommen. Ausgestellt wurden diese demnach nahezu Zeitgleich im Jahr 2009. Im russischen Pass-Register, in dem auch interne Dokumente aufgelistet werden,  finden sich für die beiden vor 2009 aber keinerlei Einträge, so der Bericht. Das ist vor allem unüblich, nachdem  jeder russische Staatsbürger im Alte von 14 Jahren einen Inlandspass erhält in dem Wohnadresse und andere Daten aufgelistet sind. Ein solcher Pass sowie abgelaufene oder verlustig gegangene Dokumente müssten vermerkt sein, sind sie aber nicht. Auf Alexander Petrow wurde allerdings ein Interner Pass ausgestellt: Im November 2009. In seinem Reisepass ist allerdings das Geburtsdatum13. Juli 1979 angeführt – 2009 war er also 30 Jahre alt. Im Pass-Akt von Alexander Petrow findet sich zudem der Eintrag „Keine Informationen weitergeben“ zusammen mit handschriftlichen Anmerkungen, die darauf hindeuten, dass es sich um eine von Behördenseite ausgegebene falsche Identität handelt.

Kreml sucht Distanz

25 Minuten hatten sich Alexander Petrow und Ruslan Boshirow durch das interview mit Russia Today gequält – und sich dabei um Kopf und Kragen geredet. Aus freien Stücken hätten sie sich zu dem Interview entschlossen, sagen sie. Dabei hatte Russlands Präsident Wladimir Putin nur wenige Stunden zuvor die beiden von London gesuchten „Bürger“ dazu aufgerufen, vor die Medien zu treten, um die Anschuldigungen zu klären. Die Verteidigungslinie des Kreml: es handle sich um Bürger, über deren Tun man keine Kontrolle habe. London sagt: Es  handle sich um Agenten des russischen Militärgeheimdienstes GRU, für den auch Sergej Skripal gearbeitet hatte, bevor er als Doppelagent (Zweitarbeitgeber war der britische MI6) aufflog.

  London untermauert seine These mit einer durch Überwachungsbilder schlüssig dokumentierten Chronologie der Reise der beiden Beschuldigten: Ankunft in London am Freitag den 2. März, Fahrt ins Hotel (wo Spuren des verwendeten Gifts Nowitschok gefunden wurden), ein Kurztrip nach Salisburry am Samstag, ein zweiter am Sonntag, Rückreise nach London, Abflug noch am selben Abend.

Petrow und Boshirow sagen in dem Interview: Bei dem Trip habe sich alles um die Kathedrale von Salisbury gedreht, die hätten sie unbedingt sehen wollen. Beide wirken verstört.

Dabei müssten sie bei ihrer Mission davon ausgegangen sein, früher oder später identifiziert zu werden. Großbritannien ist weltbekannt für sein dichtes Netz der Videoüberwachung in Paarung mit modernster Software zur Erkennung. Betrachtet man die von den britischen Ermittlern vorgelegten Daten, wirkt es geradezu, als hätten die beiden bewusst Spuren hinterlassen.

Die Botschaft lautet: Wir kriegen euch

Das passt an sich zur Vorgehenseise russischer Dienste: Auch beim Mordanschlag auf den Putin-Kritiker Alexander Litwinenko 2006 hatten die Täter ein extravagantes Gift (die radioaktive Substanz Polonium) angewandt und haufenweise Spuren hinterlassen. Einer der Täter bekleidet heute ein politisches Amt in Moskau.

Putin selbst hat seine Karriere im KGB begonnen. Er kennt die Regeln dieses Business. Vor allem aber: Er kennt den Ehrenkodex dieser Branche. "Verrätern blüht meist ein böses Ende“ hatte er gesagt, als Skripal 2010 im Rahmen eines der größten Agentenaustauschs der Zeit nach dem Kalten Krieg ausgehändigt wurde. Damals war Putin Premierminister.

Jener russische Spion, der damals zehn russische Spione in den USA auffliegen ließ, nachdem er ins Ausland geflohen war, starb 2016. "Spione leben nach ihrem eigenen Gesetz und die sind allen Geheimdiensten gut bekannt", hatte Putin auch gesagt. Und eines dieser Gesetzte besagt, dass auf Verrat der Tod steht. Die Botschaft von Anschlägen wie auf Litwinenko oder Skripal also lautet vor allem derart: Wir kriegen euch und wir müssen uns dazu nicht einmal verstecken.