Ex-Innenminister begnadigt
Von Stefan Schocher
Nicht, dass jemals Ruhe eingekehrt wäre im politischen Leben der Ukraine. Aber die routinierte Unruhe in der Führung des Landes ist vorerst einmal dahin. Darüber kann auch eine Entscheidung von Präsident Viktor Janukowitsch am Sonntag nicht hinwegtäuschen: Per Dekret begnadigte er sechs Verurteilte. Darunter zwei Prominente: Juri Luzenko, einst Innenminister, und Georgi Filiptschuk, Ex-Umweltminister. Beide hatte dem Kabinett Julia Timoschenkos angehört, die weiter in Haft verbleibt und an deren baldige Freilassung niemand glaubt.
Nach der Präsidentschaftswahl 2010 war Luzenko als erster führender Oppositionspolitiker ins Visier der nun von Janukowitschs Partei der Regionen kontrollierten Justiz geraten. Ende 2010 wurde er verhaftet. Zu einem Zeitpunkt, als von einer Strafverfolgung Timoschenkos noch keine Rede war. Verurteilt wurde er schließlich 2012 zu vier Jahren Haft wegen Amtsmissbrauchs. Er habe seinem Chauffeur eine Dienstwohnung und durch eine Beförderung eine höhere Pension zugeschanzt, lautete der Vorwurf. Auch Filiptschuk wurde wegen Amtsmissbrauchs verurteilt. Allerdings auf Bewährung.
Politisches Kalkül
Vor allem durch die Begnadigung Luzenkos erhofft sich Präsident Janukowitsch wohl Luft zu verschaffen. Die EU hatte wiederholt Luzenkos Verurteilung als politisch motiviert kritisiert und seine Freilassung gefordert. Und immer wurde die Kritik seitens der EU an der Aburteilung politischer Gegner der Regierung in einem Atemzug mit dem anstehenden Abschluss eines Assoziierungsabkommens genannt. Janukowitsch braucht dieses Abkommen – nicht zuletzt, um seine Position in den ebenso anstehenden Verhandlungen mit Russland über eine Zollunion zu stärken.
Zugleich steht hinter der Freilassung wohl aber auch das innenpolitische Kalkül, der Opposition mit der Freilassung eines ihrer Helden Wind aus den Segeln zu nehmen. Und Luzenkos Amnestie birgt beschränkte Risiken – er ist schwer krank. Das alles in Zeiten, da die Arbeit im Parlament in Kiew völlig still steht. Die Opposition blockiert das Parlament, hält es besetzt, fordert die Amtsenthebung des Präsidenten. Vergangene Woche beschlossen die Mandatare der Regierung (Partei der Regionen, Kommunisten), eine Sitzung an einem anderen Ort abzuhalten – was die Opposition aus Timoschenkos Vaterlandspartei, der rechtsextremen Swoboda und der UDAR von Vitali Klitschko als Putsch bewertete. Aber wichtige Beschlüsse stehen an. Darunter ein Gesetzespaket, das die Grundlage für den Abschluss des Assoziierungsabkommens darstellt. Und weder Opposition noch Regierung wollen sich nachsagen lassen müssen, dieses Abkommen blockiert zu haben.
Nach dem Wahlsieg Viktor Janukowitschs bei den Präsidentenwahlen 2010 begann die Justiz massiv damit, gegen Anhänger der abgesetzten Premierministerin Timoschenko vorzugehen. Es gab Dutzende Verhaftungen und noch mehr Anklagen. EU und USA kritisierten dieses Vorgehen als politisch manipuliert, was die ukrainische Justiz freilich zurückwies.