EU stoppt Beitritts-Gespräche mit der Türkei
Die EU will eine für kommenden Mittwoch geplante Beitrittskonferenz mit der Türkei wegen der jüngsten Gewalteskalation in Ankara platzen lassen. Nach Beratungen der 27 EU-Staaten in Brüssel ließ Deutschland erkennen, dass es wegen des aktuellen politischen Klimas in der Türkei der nächsten Beitrittsrunde nicht zustimmen wolle. Auch die Niederlande äußerten Vorbehalt.
Sollte sich die deutsche Haltung nicht ändern, werde es nur eine politische Diskussion der EU-Außenminister über die aktuelle Lage in der Türkei geben, hieß es. Jeder Schritt in EU-Beitrittsgesprächen muss einstimmig beschlossen werden.
Die Beitrittskonferenz hätte eigentlich einen Durchbruch nach einem mehr als zwei Jahre dauernden Stillstand in den EU-Beitrittsgesprächen mit Ankara bringen sollen. Vorgesehen war die Eröffnung eines weiteren von 35 Verhandlungskapiteln, nämlich zur EU-Regionalpolitik.
Erdogan im Out
Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat wegen des harten Vorgehens gegen die Protestbewegung die Kritik von Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel, aber auch anderer Regierungschefs auf sich gezogen. Mehrere Politiker nannten die Türkei nicht EU-tauglich. Erdogan bezeichnet die Demonstranten als Terroristen und Gesindel. Die Polizei, die Tränengas und Wasserwerfer gegen Tausende Menschen einsetzte, hat seiner Ansicht nach „den Demokratietest bestanden“.
Österreichs Außenminister Michael Spindelegger sagte am Donnerstag im Rahmen eines Gipfels der Europäischen Volkspartei (siehe unten), der Fortgang der Beitrittsverhandlungen hänge "sehr davon ab, wie die türkische Regierung mit den Demonstranten umgeht". Außerdem erinnerte er an die Präferenz Deutschlands und Österreichs für eine "privilegierte Partnerschaft" mit der Türkei anstelle einer EU-Vollmitgliedschaft.
Der Türkei war im Jahr 1999 der Status eines EU-Kandidatenlandes erteilt worden, die Beitrittsgespräche wurden im Jahr 2005 eröffnet. Österreich hatte damals eine Verschärfung der Verhandlungsbedingungen erzwungen und sich zugleich auf eine Volksabstimmung über den EU-Beitritt der Türkei festgelegt. In den vergangenen Jahren wurden die Verhandlungen vor allem vom Zypern-Konflikt überschattet. Brüssel legte mehrere Verhandlungskapitel auf Eis, weil Ankara sich weigert, die griechisch-zypriotische Regierung anzuerkennen.
Anhaltende Proteste
Die Türkei reagierte ungerührt auf die jüngste Kritik aus der Europäischen Union. Minister Egemen Bagis sagte, die Türkei sei nicht auf die Europäische Union angewiesen. "Wenn nötig können wir ihnen sagen: Bursche, zieh Leine", sagte Bagis.
Die Proteste gingen unterdessen weiter. Auf dem Taksim-Platz in Istanbul setzten am Donnerstag mehrere Dutzend Demonstranten ihren stillen Protest gegen die Regierung fort. Die Polizei war stark präsent und hatte Wasserwerfer in Bereitschaft. In Izmir nahmen Anti-Terror-Einheiten 14 Beschuldigte in Gewahrsam, denen Sachbeschädigung und Anstachelung zu Unruhen vorgeworfen werde.
Bilder: Die Stehenden vom Taksim-Platz
Vor dem Kursalon Hübner in der Wiener City demonstrieren Aktivisten der spanischen Bewegung „Juventud sin futuro“ (Jugend ohne Zukunft). „Europa macht nichts für uns“, klagt ein Student aus Madrid. Die arbeitslose IT-Expertin aus Valencia gibt die Schuld Angela Merkel: „Sie will nur sparen.“
Sechs Millionen junger Menschen sind in der EU arbeitslos, in Griechenland und Spanien haben knapp 60 Prozent der 15- bis 25-Jährigen keinen Job.
Diese Zahlen rüttelten Donnerstagnachmittag die Spitzen der Europäischen Volkspartei (EVP) auf. Sie tauschten Ideen aus, wie den Arbeitslosen geholfen werden könnte. „Mit dem österreichischen Modell“, sagte Gastgeber Vizekanzler Michael Spindelegger. „Wirtschaft entfesseln, Hindernisse und Bürokratie abbauen, Unternehmen fördern, aber bitte keine neuen Steuern.“
In einer Erklärung schworen Europas konservative und christlich-soziale Regierungschefs ihre Länder auf sparen ein: Nachhaltige Investitionen seien nicht mit „verantwortungslosem Schuldenmachen“ vereinbar.
Den Appell von Bundeskanzler Werner Faymann, Spindelegger möge sich in der EVP für die Finanztransaktionssteuer stark machen, wies der Vizekanzler zurück. „Faymann selbst trägt die Verantwortung für die Umsetzung der Abgabe“.
Das EVP-Treffen in Wien, darunter zahlreiche Regierungschefs wie Bundeskanzlerin Angela Merkel, hatte in Wirklichkeit einen Sinn: „Wir bereiten die EU-Wahlen 2014 vor“, bestätigte Lettlands Premier Valdis Dombrovskis dem KURIER. „Mehr Wettbewerb, Wachstum und Jobs sind unser Wahl-Manifest.“ Es ging aber auch um den EVP-Spitzenkandidaten für den Kommissionspräsidenten. Keine Frage, José Manuel Barroso will eine dritte Amtszeit. Die Konkurrenz für ihn ist aber groß.
Spindelegger hatte mit Merkel noch ein Vieraugen-Gespräch: Die Integration der Balkan-Länder und die Türkei waren ein Thema. Serbien dürfte beim EU-Gipfel ein Datum für Beitrittsverhandlungen bekommen. Die Gespräche mit der Türkei lässt die EU platzen.
Nach drei Stunden endete das EVP-Treffen. Merkel kam später und reiste früher ab, ein Kurzbesuch.