Politik/Ausland

Erneut Hunderte Massengräber von Kindern in Kanada entdeckt

Auf einem Gelände in der Nähe eines früheren katholischen Internats für Kinder von Ureinwohnern sind erneut mehr als 750 anonyme Gräber entdeckt worden. Dies teilte der Chef der indigenen Gemeinschaft Cowessess, Cadmus Delorme, am Donnerstag mit.

Ende Mai waren bereits auf dem Gelände des früheren katholischen Internats nahe der Kleinstadt Kamloops in der Provinz British Columbia die sterblichen Überreste von 215 indigenen Kindern entdeckt worden. Dies sorgte landesweit für Erschütterung, UNO-Menschenrechtsexperten forderten eine umfassende Aufklärung der Hintergründe. Es sei eine sehr schmerzhafte Nachricht, die alte Wunden offenlege, schrieb Perry Bellegarde, der oberste Vertreter der indigenen Völker des Landes, am Wochenende auf Twitter.

Das Internat in Kamloops war zwischen 1890 und 1978 in Betrieb und diente als sogenannte Residential School – als eine Art Umerziehungscamp für die Söhne und Töchter kanadischer Ureinwohner. Die Kinder galten offiziell als vermisst, doch die Menschen, die in der Gegend nahe der Stadt Kamloops in der Provinz British Columbia leben, hatten seit Jahren das Schlimmste befürchtet.

 "Niemand sprach darüber, aber wir alle ahnten, was geschehen war", sagte Rosanne Casimir, die Leiterin der in Kamloops beheimateten indigenen Gruppe, am Wochenende in einer Pressekonferenz. "Diese Ahnung hat sich nun bestätigt." Der Tod der Buben und Mädchen sei ein "unvorstellbarer Verlust". Einige von ihnen wurden laut Casimir nur drei Jahre alt. Woran und wann sie starben, sei noch unklar.

„Anpassung“ der Kultur

Es handelt sich um eines der dunkelsten Kapitel in der Geschichte Kanadas: Ab 1874, über einen Zeitraum von mehr als 100 Jahren entriss die Regierung fast 150.000 Kinder von Ureinwohnern oder gemischten Paaren ihren Familien und steckte sie in Internate. Dort sollten sie ihre Kultur vergessen – ihre Feste, Lieder, Sprache, Religion – und die Traditionen der europäischen Einwanderer erlernen. Gewalt, Zwangsarbeit und sexueller Missbrauch waren dabei an der Tagesordnung. Nach bisherigen Angaben starben mindestens 3.200 dieser Kinder, die meisten an Tuberkulose. Forderungen an den Vatikan, sich zu entschuldigen und alle Dokumente zu den Vorgängen herauszugeben, blieben zunächst unbeantwortet.

Vom 17. Jahrhundert bis in die 1990er wurden die als „residential schools“ bekannten Einrichtungen von der Regierung verwaltet und finanziert. Betreiber waren größtenteils Kirchen und religiöse Organisationen.

"Bricht mein Herz"

Der Fund im Mai löste in der kanadischen Politik eine Welle von Beileidsbekundungen aus. "Die Nachricht bricht mein Herz", schrieb Premierminister Justin Trudeau auf Twitter. Carolyn Bennett, Ministerin für die Beziehungen zu den Ureinwohnern, sprach in einer Mitteilung von einem "tragischen und beschämenden Teil" der Geschichte ihres Landes. "Tausende Kinder wurden in diese Schulen geschickt und kehrten nie zu ihren Familien zurück."

Trudeau hatte sich im Jahr 2017 unter Tränen bei den indigenen Völkern entschuldigt. Dem Verband IRSSS, der Überlebende der Residential Schools vertritt, genügt das nicht. Co-Chef Rick Alec wandte sich am Wochenende an die katholische Kirche, die viele der berüchtigten Internate betrieb. Der Papst müsse die Frage beantworten, warum man den kanadischen Ureinwohnern so etwas angetan habe, sagte Alec dem TV-Sender CBC.

Im Jahr 2015 veröffentlichte eine kanadische Regierungskommission einen Bericht, der das Leid in den Internaten detailliert beschrieb. Darin finden sich auch Erfahrungsberichte aus Kamloops. "Jeder Schüler roch nach Hunger", wird ein Überlebender zitiert. Zudem wird die Einrichtung als extrem unhygienisch beschrieben. Viele Kinder, heißt es, seien an Masern, Tuberkulose oder Grippe gestorben. Insgesamt verloren in den Residential Schools dem Report zufolge mehr als 6.000 Buben und Mädchen ihr Leben.