Politik/Ausland

Schwere Krawalle in Kiew

Heiß her ging es um eine Parlamentsdebatte in Kiew am Montag: Auf der Tagesordnung der Abgeordneten in der Höchsten Rada stand eine Abstimmung in erster Lesung über die Dezentralisierung – eine umfassende Verwaltungsreform, durch die Regionen und Gemeinden mehr politische und budgetäre Rechte erhalten. Vor dem Parlament demonstrierten Tausende dagegen und versuchten, das Abgeordnetenhaus zu stürmen. Es kam zu Ausschreitungen, im Zuge derer auch eine Handgranate explodierte. Eine Person starb, 50 wurden verletzt. Es gab 30 Festnahmen, weitere Granaten sowie ein Raketenwerfer wurden sichergestellt.

Minsk-Deal

Einen "traurigen Tag" nennt es der Abgeordnete Sergij Leschtschenko von der Fraktion von Präsident Poroschenko. Die Reform wurde mit Gegenstimmen aus dem Regierungslager letztlich angenommen – nachdem Abgeordnete kurz das Podium im Plenarsaal blockiert hatten.

Es ist ein emotionales Thema, fordert Moskau von Kiew doch im Zuge des Kriegs in der Ostukraine wiederholt eine "Föderalisierung". Im Minsk-Abkommen zwischen Ukraine, Russland, Deutschland und Frankreich sind dahingehende Maßnahmen daher auch enthalten.

Die jetzt beschlossene Reform, die dezidiert nicht "Föderalisierung" sondern "Dezentralisierung" genannt wird, gilt ausdrücklich für das gesamte Land. "Ein Sonderstatus für die umkämpften Gebiete Lugansk und Donezk ist nicht vorgesehen", betont Leschtschenko. Lediglich "Besonderheiten" bei der Verwaltung einzelner lokaler Regionen Lugansks und Donezks werden erwähnt. Damit sieht das Poroschenko-Lager die Minsk-Vereinbarung von seiner Seite erfüllt.

Gegner aber sehen gerade im Passus der Sonderverwaltungen einen Fehler. Oleksij Skrypnyk von der liberal-konservativen Partei Samopomitsch, die in der Regierung vertreten ist, nennt die Dezentralisierung an sich gut, den Passus über Sonderverwaltungen aber inakzeptabel. "Wenn man in einen riesen Topf von Köstlichkeiten einen Löffel Scheiße wirft, hat man einen riesigen Topf Scheiße", sagt er. Erfahrungen mit solchen Verwaltungen habe man in Sewastopol und auf der Krim gemacht. Resultat: diese Regionen sind außer Kiews Kontrolle. Die Ukraine sei nicht in der Bringschuld, angesichts ausländischer Aggression seine Gesetzte zu ändern. Fünf Mandatare der Samopomitsch hatten für die Reform gestimmt und wurden aus der Partei ausgeschlossen. Skrypnyk sagt, jetzt werde in der Partei debattiert, ob man in Opposition gehe. Die Regierung ist damit in Gefahr.

Zuletzt hatten sich auch eine Reihe ukrainischer Intellektueller in einem offenen Brief gegen die Reform ausgesprochen. Sie verlangten ein Moratorium, bis ausländische Truppen abgezogen und Milizen aufgelöst sind und die Kontrolle über die Grenze wiederhergestellt ist.

Vor allem aber hat das Gesetz neben dem Minsk-Plan eine zweite Ebene. Bei der Verteilung von Budgetgeld war gerade die Schnittstelle zu Regionalregierungen notorisch korruptionsanfällig. Das soll sich durch lokale Budgetverantwortung ändern.

Das Votum in Kiew kam dabei zu einem heiklen Zeitpunkt. Am Dienstag, zu Schulbeginn, soll eine Waffenruhe (die bisherige hält nicht) in Kraft treten. Das war in der Vorwoche vereinbart worden.