Politik/Ausland

"Linke Mehrheit bald salonfähig"

KURIER: Hat Sie das Ausmaß des Sieges der Union überrascht?
Edmund Stoiber: Ja, 41,5 Prozent mit so großem Abstand zur SPD, das war so nicht vorstellbar.

Zusammen haben die großen Volksparteien an die 70 Prozent, das ist ungewöhnlich.
Das ist ein Beweis dafür, dass die Volksparteien weiterhin die Chance haben, schichtenübergreifend die Menschen für ihre Vorstellungen zu gewinnen – obwohl es immer neue Parteien gibt und die Gesellschaft immer differenzierter wird. Die Menschen wählen nicht mehr wie früher wegen ihrer Gesinnung, die Einzelfragen werden immer wichtiger.

Deutschland ist jetzt „Merkel-Land“, schreibt zähneknirschend der Spiegel – aber de facto gibt es gesellschaftspolitisch eine linke Mehrheit. Ist das nicht ein schwieriger Spagat für Merkel?
Das ist richtig, und das ist eine Herausforderung. Zumal das in Zukunft ohnehin ein Problem wird: Die Ablehnung der SPD, mit den Linken eine Koalition zu bilden, hängt ja nicht nur von den irrealen Forderung der Linken ab, sondern von deren Geschichte.

Sie meinen die SED-Vergangenheit?
Ja, SED, PDS, aber auch Lafontaine. Nur: Die Geschichte wird älter ...

Das heißt, auf Dauer lässt sich die Ausgrenzung der Linken nicht halten?
Nein, das wird nicht halten. Dass Gysi aus der SED kommt, wird ihm jetzt schon nicht mehr angelastet, Lafontaine ist auch irgendwann Geschichte. Das No-go wird sich also verflüchtigen, auch weil sie die linke Zusammenarbeit ja in vielen europäischen Ländern haben.

Im Moment schließt die SPD eine Koalition Rot-Rot-Grün aber aus.
Aber es ist immer ein Drohpotenzial in einer allfälligen Großen Koalition vorhanden nach dem Motto: Ich kann ja auch anders.

Stichwort Koalition: Schwarz-Grün kommt aus inhaltlichen Differenzen nicht in Frage, bei Schwarz-Rot ziert sich die SPD, weil sie sich nicht noch einmal erdrücken lassen will.
Natürlich überlegt die SPD, ob eine Koalition ähnliche Auswirkungen haben kann wie die letzte, wo sie 2005 dann bei 23 Prozent endete. Aber die muss auch an ihre Verantwortung für das Land und Europa denken.

Die Union mit den Grünen geht gar nicht?
Die Unvereinbarkeit der Positionen und der Personen ist da zu groß.

Aber die Grünen wechseln ihr Spitzenpersonal ja gerade aus.
Wenn der Kurs der Grünen sich von der einer Linkspartei, die ja links von der SPD steht, wieder hin zu Grün entwickelt, dann ändert sich die Ausgangslage.

Wenn sich das in den nächsten Wochen abzeichnet gilt das auch jetzt schon?
Ja sicher, aber da müssen sich die Grünen klar ändern. Die Vorbehalte in der CSU gegenüber den Grünen sind für mich gegenwärtig kaum überwindbar.

CSU-Chef Seehofer sagte gerade, es gibt nur eine Schwarz-rote Option – ist das geschickt am Beginn des Koalitionspokerns?
Das ist eben die eindeutige Präferenz der CSU. Wir brauchen ja die SPD auch in unserem Zwei-Kammern-System: Sie hat im Bundesrat eine starke Stellung und kann alles, was eine Regierung ohne SPD-Beteiligung beschließt, blockieren – wie erst vor ein paar Tagen eine Entscheidung über die Höhe von Managergehältern. Was hab’ ich davon?

Zurück noch einmal zum Erdrücken: Die CSU hat sich von Merkel noch nicht erdrücken lassen, aber in Sachen Autobahnmaut für Ausländer gibt es einen Konflikt: Die CSU macht sie zur Regierungsbedingung, Merkel sagt nein.
Es wird nicht so bleiben, wie es ist.

Heißt?
Es wird irgendetwas in Richtung Maut kommen. Für mich ist das eine Frage der europäischen Gerechtigkeit. Wir zahlen auch überall. In einer Koalition muss man auch nachgeben, wir tun das auch.

Und wenn Merkel nicht nachgibt?
Sie wird einen Kompromiss geben, sie weiß, wo die Schmerzgrenze der CSU ist und was sie an uns hat.

Wie schade ist es, dass die FDP aus dem Bundestag geflogen ist?
Im Gegensatz zu vielen anderen bedaure ich das. Die CSU ist ja auch in einer Grundsäule liberal. Aber weniger Staat und mehr bürgerliche Freiheiten, mehr Verantwortung für den Einzelnen, nicht alles regulieren, das ist ein richtiger Ansatz, für den die FDP steht bzw. stehen müsste – SPD und Union greifen ja sehr stark regulierend in den Markt ein, werden auch dazu gedrängt, Verbraucherschutz, Lebensmittelrecht, Umwelt, immer neue Gesetze, die den Menschen zu irgendwelchen Verhalten zwingen. Das wurde von der FDP immer wieder grundsätzlich in Frage gestellt.

Dieses Gegengewicht fehlt jetzt.
Ja, das ist im Parlament nicht mehr vorhanden.

Die „Alternative für Deutschland“ ist die neue FDP?
Nein. Aber man muss sie ernst nehmen und entgegenhalten. Die wollen den Euro verändern, schwache Südländer rauswerfen, selbst aus dem Euro gehen – das mag dem einen oder anderem im Bierzelt gefallen, nur das ist eine Harakiri-Forderung für das Exportland Deutschland. Aber eine europafeindliche partei hat in Deutschland letztlich ohnehin keine Chance.

Merkel hat Ihnen 2002 den Vortritt bei der Bundestagswahl gelassen – wusste sie, dass die Zeit für sie noch nicht reif ist?
Das war die Mehrheitsmeinung in ihrer Partei.

Sind sie wehmütig, dass sie damals zur Hochzeit Schröders gegen ihn verloren und Merkel 2005 gewann?
Mein Gott, wehmütig ... für mich war das damals eine tolle Herausforderung. Wir lagen bis 14 Tage vor der Wahl eindeutig vorne, und dann kamen Ereignisse wie der Irak-Krieg und das Hochwasser, das hat Schröder für sich genutzt. Nein, alles hat seine Zeit, es geht ja nicht um die Befriedigung eigener Machtansprüche.

Wie beschreiben Sie das „Phänomen Merkel“?
Die Menschen identifizieren sich mit ihr, weil sie uneitel, unendlich sachlich und durchsetzungsstark ist. Und sie ist affärenlos: Mit ihr bringt man das negative Bild, das viele Politiker in der Öffentlichkeit haben, nicht in Zusammenhang. Und sie hat die Krise gut bewältigt, in Deutschland und auch mit ihrem Krisenmanagement in Europa.

Stichwort Europa: Ohne Merkel geht in Europa gar nichts, heißt es. Aber die europäische Regierung, von der immer wieder die Rede ist, früher auch seitens Merkels, ist weiter entfernt denn je. Hat man keine Vision mehr?
Wir brauchen sicher eine größere Abstimmung in der Wirtschafts-, in der Steuer-, in der Sozialpolitik in Europa. Aber weil die nationale Umsetzung in den Krisenländern so schwierig ist, will sie das jetzt einmal über den Europäischen Rat. Über die Kommission und das Europäische Parlament sind die schmerzlichen Entscheidungen, die es braucht, nicht erzwingbar. Die sind nur möglich, wenn die betroffenen Regierungen mit dabei sind. In dieser noch nicht gelösten Krisensituation haben große Visionen von mehr Kompetenzen in Europa keine gute Konjunktur.

Sie sind zu den Medientagen in Wien: Maßgebliche Medien wie der Spiegel und die Süddeutsche Zeitung haben Merkel vor der Wahl ordentlich Gegenwind gegeben, sie triumphierte dennoch. Ist der Einfluss der Medien auf politische Entscheidungen kleiner geworden?
Er ist weiter stark, aber er ist geringer geworden durch die unendliche Kommunikationsvielfalt im Netz. Und im Fall Merkels durch die unmittelbare Begegnung mit der Kanzlerin abseits von Wahlveranstaltungen. Die Townhall-Meetings, die Arena, da musste sie zu Detailfragen und -problemen sprechen, eine niedrige Rente da, hohe Energiekosten dort, da konnten sich die Menschen einen direkten Eindruck von der Frau verschaffen, die viele Details kennt, aber auch unprätentiös zugibt, etwas nicht zu wissen. Da ist es schwierig, jemanden runterzuschreiben, der noch dazu immer darauf verweisen kann, dass es Deutschland gut geht, die Arbeitslosenzahl von fünf unter drei Millionen gedrückt wurde.

Stichwort neue Medien: Ich finde Sie nicht auf Twitter, außer auf zwei Fake-Seiten in ihrem Namen – warum nicht?
Mir reicht es, wie ich mich auf meiner Homepage darstellen kann. Ich bin ja kein aktiver Politiker mehr, der auf allen Kanälen werben muss.

Wie verändern die neuen Medien das mediale und politische Geschäft?
Langfristig gewaltig. Es wird alles direkter, unmittelbarer. Ein immer größerer Kreis kommuniziert unverblümt über Facebook, Twitter, wird auch direkt beeinflusst von den Antworten. Und was die Zukunft der Printmedien betrifft: Die müssen Qualitätsjournalismus im Internet über die Bezahlschiene anbieten. Die Printmedien werden immer ihren Leserkreis finden, aber die Verlage müssen aufhören, ihre Inhalte kostenlos herzugeben – das war ein großer Fehler der Verlage.