Politik/Ausland

Die "Löwinnen" gegen die Islamisten

Der alte Markt der nordirakischen Stadt Shingal ist ein Trümmerhaufen. Am Ende der langen Straße, wo die völlig zerstörte Altstadt beginnt, eine Barrikade. Heute ist sie verlassen. Aber das war die Position der jesidischen Einheit YBS, die mit der kurdischen Arbeiterpartei PKK verbündet ist. Über mehr als ein Jahr hatte die Einheit hier von Haus zu Haus gekämpft. Und gehalten hatten diese Position überwiegend Frauen. Zehn Selbstmordattentäter hatte der Islamische Staat geschickt, um diese eine Barrikade zu durchbrechen – ohne Erfolg. Ein Soldat der jesidischen Peschmerga (reguläre Einheiten der kurdischen Regionalregierung), der heute, vier Monate nach der Befreiung Shingals vom IS, in dem Markt nach Minen sucht, zollt dieser Einheit höchsten Respekt. "Löwinnen" nennt er sie.

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Havala Jekbun sitzt am Boden im Esszimmer eines Hauses in einem etwas weniger zerstörten Teil der Stadt. Sie raucht und stemmt den Arm in die Hüfte. An der Wand hängen die Bilder zweier junger Männer. "Märtyrer" nennt sie eine Kämpferin. Gefallene im Kampf gegen den IS. In der Ecke ein Porträt Abdullah Öcalans – der in der Türkei inhaftierte Chef-Ideologe der Kurdischen Arbeiterpartei PKK. Havala Jekbun ist Kommandantin der YBS-Fraueneinheit in Shingal und hat viele Schlachten geschlagen – in der Türkei, in Syrien, im Nordirak. Auf ihre politische Agenda angesprochen antwortet sie routiniert. Da fallen Worte wie "Selbstbestimmung" und "Gleichberechtigung" von Mann und Frau. Hier aber kämpfe man nicht "um eine Nation oder politische Dinge". Die ganze Welt werde "von Religion oder Nationalstaaten diktiert" – hier kämpfe man um "Menschlichkeit". Sie ist Kurdin aus Nordkurdistan, wie sie sagt, womit sie die Osttürkei meint. Havala Jekbun leitet so quasi die weibliche Filiale der PKK in Shingal. Und sie sagt: "Ich bin Jesidin, ich war immer Jesidin."

Schließlich sind die allermeisten Frauen in ihrer Einheit Jesidinnen. Nur zwei kommen aus der Türkei. Einige sind aus Syrien.

Es ist vor allem das tiefsitzende Misstrauen der Jesiden hier in Shingal gegenüber den überwiegend muslimischen Peschmerga, das der PKK-nahen Gruppe YBS hohes Ansehen verschafft. Denn sehr viele Jesiden machen diese Einheiten indirekt für den Massenmord an ihrer Volks- und Religionsgruppe durch den IS verantwortlich, der durch den übereilten Abzug der Peschmerga aus Shingal ermöglicht worden sei. Das prägt. Auch, wenn in der Stadt heute großteils jesidische Perschmerga stationiert sind. Aber die stehen unter dem Kommando von Regionalpräsident Masud Barzani. Havala Jekbun nennt Barzani knapp und trocken zwischen zwei raschen Zügen von einer Zigarette "keine gute Option".

Dabei gesteht sie durchaus Schwierigkeiten bei der eigenen Arbeit ein. Vor allem bei der Rekrutierung der Kämpferinnen, für die es in den allermeisten Fällen die Zustimmung der Familien benötigt. Und schließlich arbeite auch Barzani bei der Rekrutierung gegen sie. "Würden wir nach Duhok (nächstgelegene Großstadt im Norden der irakischen Region Kurdistan, Anm.) fahren, würden wir festgenommen", sagt Havala Jekbun. Eine formell legale Basis, hat die YBS nicht, sie existiert also auf Basis von Duldung.

Einen offenen Konflikt mit der vielfach respektierten PKK kann sich die Regierung in Erbil aber zumindest derzeit nicht leisten. Zwischenmenschlich scheint es keinerlei Probleme zwischen Kämpfern der PKK und jesidischen Peschmergas zu geben. Kommandanten beider Lager lassen aber dann doch einigermaßen Ärger über die jeweils andere Fraktion und zum Teil auch offene Sorge durchblicken, dass die Rivalitäten eines Tages eskalieren könnten. Derzeit ist alles ruhig. Die Hauptquartiere von Peschmerga und YBS in Shingal sind kaum fünf Gehminuten voneinander entfernt.

"Haben Angst vor uns"

Havala Jekbun sagt: "Wir sind hier, für den Fall, dass die Peschmerga wieder abziehen." Und sie nennt es ihr Ziel, die jesidischen Frauen dahin zu bringen, sich selbst verteidigen und wehren zu können.

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"Wir können uns vereidigen", sagt Hezda, eine Subkomandantin. Die junge Frau ist 19 Jahre alt und trägt eine alte Kalaschnikow, wirkt völlig entspannt, wenn es in der Nähe oder Ferne kracht. Sie spricht sanft und in einem Ton völligen Selbstverständnisses – als wäre all das hier, die zerschossenen Häuser, das Leben in einem bewaffneten Frauenverband, der Umgang mit Waffen und die Front keine zwei Kilometer entfernt, wie Schuhe zubinden. Hezda lächelt viel. "Sie", und damit meint die Frau die Kämpfer des IS, "haben Angst vor uns – weil wir bis zum Tod kämpfen; und weil sie glauben, in die Hölle zu kommen, wenn sie von einer Frau getötet werden." Eine Kameradin lacht. Hezda sagt all das ohne Pathos. Denn eines ist völlig klar hier: Diese Einheit ist ein Kampfverband. Diese Frauen haben nicht nur gelernt zu töten, sie haben es auch schon getan. Hezda kommt aus Shingal, hat den Massenmord an den Jesiden selbst miterlebt. "Wir haben von den Morden gehört und sind in die Berge gerannt", erzählt sie. Es hat nicht allzu lange gedauert, bis sie umgekehrt ist, eine Waffe genommen und zu kämpfen begonnen hat: eine Woche. Seither ist sie in der YBS. Ihre Familie sei stolz auf sie, sagt sie. Dabei ist Hezdas Biografie eine wie so viele. Andere Kämpferinnen haben Angehörige verloren, die vor ihren Augen erschossen oder verschleppt wurden.
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Sie kämpfe, damit alles so werde, wie es einmal war, sagt Hezda. Damit alle Jesiden nach Shingal zurückkommen könnten – eine Stadt, die in Trümmern liegt. Dass das noch sehr lange dauern wird, ist ihr klar – und, dass es nach dem Gemetzel des IS nie wieder so sein werde, wie es einmal war, weiß sie sehr genau.

Hezdas Angehörige sind in einem Lager bei Duhok. Ihre Einheit sei heute ihre Familie. Familie im klassischen Sinn werde sie nie wieder haben. Und sie betont ganz ruhig: "Niemals." Nicht aus ideologischen Gründen, wie sie sagt, sondern weil ihr Weg ein anderer sei. Ihr Leben werde sie in ihrer Einheit verbringen.