Die Kritiker der Macht schweigen
Von Stefan Schocher
Auf den Schock vom Freitag folgte am Samstag gleich ein weiterer. Nachdem am Vortag bereits die Chefs der größten Oppositionspartei des Landes HDP festgenommen wurden, veröffentlichte ein Gericht in Ankara am Samstag Haftbefehle gegen den Chefredakteur der Regimekritischen Zeitung Cumhuriyet Murat Sabucu sowie acht weitere Mitarbeiter des Blattes. Diese waren bereits am Montag festgenommen worden. Und auch gegen die HDP gingen die Behörden weiter vor. Mindestens neun Funktionäre der Partei vor allem auf Provinz- und Bezirksebene wurden am Samstag festgenommen.
Damit setzte sich fort, was sich am Freitag massiv zugespitzt und HDP-Co-Vorsitzender Selahattin Demirtas (er wurde am Freitag festgenommen) in einer Erklärung der Partei als "zivilen Putsch" bezeichnet hatte. In der Türkei jedenfalls ist nach einer steten Eskalation seit dem Putschversuch am 15. Juli jetzt binnen Stunden eine Situation eingetreten, die dazu geführt hat, dass regimekritische Journalisten oder Politologen nicht mehr zitiert werden wollen in ihren Ausführungen – aus Angst vor Konsequenzen. Oder, dass Erdoğan-kritische Analysten, die am Freitag im Ausland waren, ernsthaft überlegten, nicht mehr nach Hause zurück zu kehren. Die Überlegung, das Land dauerhaft zu verlassen, greift um sich in Erdoğan-kritischen Kreisen. Denn es ist vor allem ein Wort, dass in den nicht zu zitierenden Ausführungen immer wieder fällt: "Bürgerkrieg".
Der Kahlschlag des türkischen Präsidenten quer durch kritische Medien, die parlamentarische Opposition und jeglichen Quell möglicher Kritik (Universitäten, Thinktanks u.s.w.), so die Analyse, könne nur eine Folge nach sich ziehen: Dass all jene, die jetzt um ihre Freiheit bangen und im Land blieben letztlich in den Untergrund gezwungen würden. Denn: Eine Opposition gebe es damit nicht mehr. Ein Umstand, der angesichts des schwelenden und zuweilen blutig aufflammenden Konfliktes in der Osttürkei zwischen der Armee und kurdischen Milizen verheerende Folgen haben könnte. Die Hochburgen der HDP liegen im überwiegend kurdischen Osten des Landes – der damit keine politische Vertretung in der Türkei mehr hat.
Aus Sicht der türkischen Führung aber steht die HDP im Bunde mit der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. Das ist auch der Vorwurf, mit dem die inhaftierten HDP-Funktionäre jetzt zu tun haben.
Erdogans Instrument zum Kahlschlag ist dabei der seit dem Putschversuch geltende Ausnahmezustand.
Verhängt worden war er, um Putschisten habhaft werden zu können – laut Darstellung Ankaras allesamt Anhänger des Predigers Fethullah Gülen. Mittlerweile aber dient der Ausnahmezustand dazu, alle Gegner Erdogans dingfest zu machen. Was jetzt passiere sei, so der Abgeordnete Utko Cakirözer von der links-kemalistischen Oppositionspartei CHP, dass Erdoğan vom Putsch profitiere und die Spielregeln ändere.
Die Putschisten vom 15. Juli seien Terroristen, aber die Abertausenden Zivilisten, die festgenommen wurden, könne man nicht zu Opfern machen. Das Vorgehen gegen die HDP nennt er inakzeptabel.