„Die Angst zieht mit den Flüchtlingen in alle Teile des Irak“
Von Stefan Schocher
Jede Zeit, so Haifa Zangana, habe ihre „Marken“. Nach der US-Invasion 2003 waren es die Gefolgsleute Saddam Husseins, die zu Feinden stilisiert worden seien, dann die El Kaida, dann alle Araber und Sunniten sowie der IS und jetzt eben die Kurden. Haifa Zangana ist Schriftstellerin, Künstlerin, Aktivistin mit Wohnsitz Großbritannien. Das ist heute. Früher war sie politisch aktiv, saß unter Saddam Hussein in Haft, sollte exekutiert werden, überlebte aber.
Am Dienstag war sie auf Einladung des VIDC (Vienna Institute for International Dialogue and Cooperation) in Wien. „Wir leben seit Jahren mit der Gewalt“, sagt sie. Aus ihrer Haltung, dass der Irak als Gesamtstaat erhalten werden soll, macht sie dabei keinen Hehl. Aber ebenso wenig aus Ihrer kritischen Position gegenüber der irakischen Führung. Die sei „gescheitert“, sagt Haifa Zangana.
Gerade dieser Tage und Wochen sieht der Irak aus, als stehe er vor dem Zerfall. Irakische Verbände kämpfen gegen Truppen der kurdischen Autonomieregionen (Peschmerga). Und diese irakische Verbände unter dem Kommando der schiitisch dominierten Regierung in Bagdad stützen sich vor allem auf schiitische Milizen, die materiell, finanziell und ideologisch vom Iran unterstützt werden. Die Terrormiliz „Islamischer Staat“ ist praktisch besiegt.
„Kein Dialog, keine Demokratie.“
Der Krieg gegen den IS, so sagt Haifa Zangana , habe vor allem eines getan: Andere interne Konflikte überdeckt. Jetzt liegen sich Kurden und Bagdad in den Haaren. „Wirklich konkrete Schritte, um für Frieden, Dialog und Demokratie zu arbeiten, die gibt es nicht“, sagt Haifa Zangana. Der Grund allen Übels im Irak, wie sie meint: „Kein Dialog, keine Demokratie.“ Und: Korruption. „Korruption ist riesig im Irak mit all dem Geld aus de Öl-Geschäft. Die Folge: Politische Parteien halten sich Milizen. Und das führt zu Terrorismus.“ Ein Begriff, mit dem sie die eskalierende Verrohung im Allgemeinen meint.
Dabei ist sie überzeugt, dass es so etwas wie eine irakische Identität nach wie vor gibt – ausgehend von ihrer eigenen mit schiitischen, sunnitischen, kurdischen Vorfahren. Man müsse differenzieren zwischen dem, was auf politischer Ebene gespielt werde und den tatsächlichen Leben der Menschen, in denen ethnische Zugehörigkeit oder Religion eine weitaus geringere Rolle spiele. Als Beispiel nennt sie die Zahl gemischter Ehen zwischen Sunniten, Schiiten oder Korden, die in den vergangenen Jahren gestiegen sei – trotz von Politikern aufgewiegelter Feindbilder.
Aber sie gibt durchaus zu: Es werde immer schwieriger für die Menschen, miteinander auszukommen. Sobald Menschen getötet werden, würden die Hinterbliebenen nach Schuldigen suchen. „Die Kluft“, so sagt sie, „wird tiefer.“ Ein Gefühl der Rache mache sich breit, ein Gefühl des Misstrauens. Das gepaart mit dem Umstand, dass fünf Millionen Menschen im Irak intern vertrieben wurden und das damit bleibende demografische Veränderungen herbeigeführt wurden. „Die Angst“, so sagt Haifa Zangana, „zieht mit den Flüchtlingen in alle Teile des Irak.“