"Ohne Frieden ist alles nichts": SPD-Legende Egon Bahr ist tot
Von Evelyn Peternel
Er war Brückenbauer, politischer Architekt und kritischer Geist mit linken Idealen: Der SPD-Politiker Egon Bahr ist tot. Der Thüringer starb im Alter von 93 Jahren an einem Herzinfarkt.
Der eine ohne den anderen nicht zu denken – so zeichneten Beobachter Bahr und seinen enigmatischen Chef Willy Brandt: Brandt, anfangs Bürgermeister der geteilten Stadt Berlin, später Außenminister und schlussendlich der große Kanzler der Sozialdemokratie, hatte Bahr zunächst als Pressesprecher an seiner Seite, später als enger Berater und Freund. Gemeinsam gestalteten sie in der Zeit des Kalten Krieges ihre sozialliberale Ostpolitik.
Die "Politik der kleinen Schritte" und den "Wandel durch Annäherung", die damals die Agenda beherrschten, waren Bahrs Grundsätze. "Es wuchs zu einem Verhältnis, in dem wir oft nicht mehr miteinander reden mussten, um zu wissen, was der andere wollte", sagte Bahr.
Die Mauer als Triebfeder
Der Frieden war sein größtes Anliegen, gewachsen durch den Nationalsozialismus und seine Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg: Wegen seiner jüdischen Großmutter hatte er nicht studieren dürfen, war aber wohl zum Kriegsdienst eingezogen worden - so wurde der Satz, dass "ohne Frieden alles nichts ist", zu Bahrs oberster Maxime.
Als Mann des Westens war er getreu diesem Motto viel im Osten unterwegs, als Unterhändler und Diplomat. Er verhandelte dabei viele wichtige Verträge, die zuletzt zu einer Entspannung zwischen den beiden Blöcken führen sollten - und auch zum wiedervereinigten Deutschland. Den Tag, als Berlin mit der Mauer geteilt worden war, nannte er die "eigentliche Geburtsstunde der Entspannungspolitik": Dass er selbst täglich an der Seite Brandts im Schöneberger Rathaus die schrecklichen Folgen der Teilung miterleben musste, war für ihn die "größte Triebfeder".
"Er hat zahlreiche Ehrungen für sein politisches Lebenswerk erhalten, seine größte Belohnung jedoch war der Fall der Mauer im November 1989", sagt der heutige SPD-Chef Sigmar Gabriel über ihn.
Bis 1990 saß der gebürtige Thüringer in Bundestag, war unter Helmut Schmidt später auch Bundesminister – er blieb noch lange aktiv, nachdem sein Weggefährte Willy Brandt abdanken hatte müssen. Die Szene, die sich beim Rücktritt Brandts 1974 in der Abgeordnetenkammer abspielte, blieb für Bahrs Bild nach außen lange prägend: Er schlug vor laufenden Kameras die Hände vors Gesicht, bekam einen Weinkrampf – weil ein Parteikollege, der Brandts Abgang massiv forciert hatte, dem scheidenden Kanzler "Willy, Du weißt, wir lieben Dich" nachgerufen hatte. Einen "unfassbaren Gipfel von Heuchelei" nannte Bahr das Jahre später.
Abrüstung der Worte
Auch später in seinem politischen Lebenlauf widmete sich Bahr der Frage der Wiederannäherung an Russland, der Abrüstung und der Verankerung Deutschlands als Zivilmacht – er vertrat sehr linke Positionen, auch in der SPD. Nicht selten wurde er dafür kritisiert: Erst Ende Juli war er noch in Moskau gewesen, hatte sich dort zusammen mit Michail Gorbatschow für ein Ende der Entfremdung zwischen Deutschland und Russland ausgesprochen. Als er zuletzt gemeinsam mit anderen aus der SPD dazu aufrief, im Ukraine-Konflikt neben der nötigen Kritik an Russland auch die eigene Mitverantwortung einzugestehen, warf man ihm Naivität vor.
Nichtsdestotrotz wurde seine Stimme gehört, bis zuletzt. „Wir werden seine analytische Brillanz, seine Rationalität und Leidenschaft, aber auch sein Temperament und seinen liebenswürdigen Humor sehr vermissen“, sagte Sigmar Gabriel. "Ich bin unendlich traurig, mit ihm einen Freund verloren zu haben, der mir in vielen Gesprächen mit seinen überragenden Kenntnissen und großen historischen Erfahrungen Rat gab."