Reichsbürger: Der gefährliche Staat im Staat
Von Evelyn Peternel
"Ich werde demnächst meinen Personalausweis zurückgeben", sagt der junge Mann mit der Strickmütze, sie ist schwarz-weiß-rot gekringelt. Nicht schwarz-rot-gold, das ist wichtig; er trägt die Farben des Kaiserreichs und die der NS-Zeit, nicht die der BRD. "Das ist ja alles eine große Lüge", sagt er in belehrendem Ton. "Das deutsche Reich hat nie aufgehört zu bestehen, Kaiser Wilhelm hat niemals kapituliert. Und die "BRD ist eigentlich eine von den USA aus gesteuerte GmbH."
Die Szene stammt aus dem Frühjahr 2016, von einer Demonstration im sächsischen Freital, bei der gut 200 Menschen gegen das Flüchtlingsheim im Ort auf die Straße gingen. Darunter gut erkennbar Neonazis, Menschen, die auch bei Pegida mitmarschieren, und eben - Reichsbürger. Leute, die nicht an die Existenz des Landes glauben, in dem sie leben, und deshalb auch keine Steuern zahlen, die die Behörden boykottieren und für ihren Unglauben an die BRD selbst zur Waffe greifen: Ein Polizist in Franken musste jetzt mit dem Leben zahlen, weil ein Anhänger der Gruppe die Exekutive nicht in sein Haus lassen wollte (mehr dazu hier).
Zurück ins Jahr 1937 - mit Xavier Naidoo
Die selbsternannten Reichsbürger gehen aber noch viel weiter als jene, die der Geschichte ein wenig nachtrauern. Sie erklären die Existenz der BRD für ungültig und schaffen sich ihr eigenes Reich - auch formal: "Ich hole mir jetzt meinen Reichsbürgerausweis", erklärt der junge Sachse, und auf die Frage nach dem Wo hat er eine einfache Antwort: "Aus dem Internet". Im Netz findet sich die Fangemeinde der BRD-Negierer, und dort findet man auch Antworten und Belege für die kruden Theorien - Gesetzesblätter aus der NS- oder Nachkriegs-Zeit, die aus dem Zusammenhang gerissen interpretiert werden. Legitimiert wird dies dann mit Fantasiedokumenten wie selbst gebastelten Führerscheinen und Personalausweisen, die man sich im Netz runterladen kann und die den Behörden das Leben schwer machen: In Rostock wehrte sich ein Reichsbürger vor einiger Zeit gegen eine "illegitime" Führerscheinkontrolle, indem er Gas gab - er fuhr einen Polizisten nieder, der wurde schwer verletzt.
"Diskussionen sind nicht zielführend"
Fälle wie diese häufen sich zuletzt. „Bis vor einigen Jahren waren das nur Spinner, die sich verbal gegen Behörden zur Wehr setzten“, sagt Rechtsextremismus-Experte Dirk Wilking, "in den letzten Monaten gibt es aber zunehmend Fälle, in denen Reichsbürger mit Gewalt gegen Gerichtsvollzieher oder auch Richter vorgehen." Der Verfassungsschutz des Landes Brandenburg hat deshalb unter Wilkings Leitung sogar einen eigenen Leitfaden herausgegeben, für den Umgang mit den Anhängern der Bewegung. "Diskussionen sind nicht zielführend", heißt es etwa als Rat an die Beamten. Die Reichsbürger würden sich nicht nur in Verschwörer-Kreisen bewegen, die auch an Chemtrails glauben, sondern seien im rechtsextremen Spektrum aktiv, das auch Gewaltbereitschaft fördere, so die Auffassung der Experten.
Wie viele dieser Reichsbürger es in Deutschland gibt, ist nicht ganz klar. Die Amadeu-Antonio-Stiftung, die sich mit Rechtsextremismus beschäftigt, glaubt an mehrere Tausend; im Leitfaden des Landes Brandenburg ist die Rede von bisher allein 300 Behördenvorgängen, die mit Reichsbürgern zu tun hatten. Natürlich seien nicht alle dieser Menschen rechtsextrem, urteilt der der Brandenburgische Verfassungsschutz, die Szene sei sehr heterogen: "Die Szene bündelt knallharte Rechtsextremisten, Menschen in wirtschaftlichen oder gar gesundheitlichen Nöten, Frustrierte, Neugierige und solche, die das Milieu als Geschäftsmodell entdeckt haben." Die Szene biete jedenfalls genügend Fläche für rechtsextreme Instrumentalisierung. Je länger man sich im Milieu bewege, desto größer werde die Wahrscheinlichkeit, dass er den dort vorherrschenden rechtsextremistischen Grundton verinnerlicht.
Lug und Trug
Wie man Reichsbürger erreichen kann, darauf haben die Experten derzeit keine praktikable Antwort. "Dieses Milieu lebt in einer Parallelwelt und zimmert sich dort einen internetbezogenen Verschwörungsextremismus zusammen", heißt es in dem Bericht, und "außerhalb der eigenen Parallelwelt herrschen Lug und Trug".
Das sieht auch der junge Mann aus Sachsen so. "Sie glauben mir ohnehin nicht", sagt er am Schluss des Gesprächs. "Dabei müssten Sie nur ein bisschen im Internet recherchieren. Da steht nämlich die Wahrheit."