Gegen Hartz IV: Schulz demontiert das Erbe Schröders
Von Evelyn Peternel
"Dass ich die SPD glücklich mache, das macht mich glücklich."
Jubel und Gelächter sind groß, als Martin Schulz am Montag diesen Satz auf der Bühne in Bielefeld sagt. Es ist sein x-ter Auftritt seit der Ankündigung seiner Kandidatur, seine Umfragewerte sind in lichten Höhen, und doch ist heute etwas anders: Tags zuvor hat er in einem Interview erstmals klar gemacht, dass er in seinem Wahlkampf an einem Tabu der SPD rütteln will. Er will das bei vielen so verhasste Hartz-IV-System umkrempeln – und wieder sozialer machen.
"Fehler zu machen ist nicht ehrenrührig. Wichtig ist: Wenn Fehler erkannt werden, müssen sie korrigiert werden", sagte Schulz der Bildzeitung; und dieser Satz kommt einem kleinen Erdbeben gleich. Der Fehler, von dem er spricht, stammt nämlich von Gerhard Schröder – dass er Anfang der Nullerjahre die in der Bevölkerung kaum akzeptierte Reform durchpeitschte, die aus Langzeitarbeitslosen schlechter gestellte Hartz-IV-Empfänger machte, kostete ihn nicht nur seine Kanzlerschaft; der SPD brachte es Jahre des Streits – und kostete sie einen Teil ihrer Identität.
Linksruck
Dass Schulz sich nun erlaubt, am größten Projekt Schröders zu rütteln, sogar dessen Grundpfeiler zu demontieren – er will etwa die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes erhöhen und bei der Vermögensanrechnung weniger strikt vorgehen – , hat seinen Grund nicht nur in guten Umfragewerten. Es hat auch mit dem jahrelangen Suchen nach einer neuen sozialdemokratischen Identität zu tun: Wegen Schröders Einschnitten verlor die SPD sowohl Parteimitglieder als auch Wähler an die damals neue Linkspartei – und der linke Flügel verstummte. Schulz, der selbst aus dem rechten Flügel stammt, kann durch seine unbelastete Geschichte deshalb leichter Vergangenheitsbewältigung betreiben: Er war nie in der Bundespolitik tätig – wenn er der SPD ihren linken Kern zurückgeben will, wirkt das sowohl auf Wähler als auch auf Genossen authentisch. Zudem eröffnet es Regierungsperspektiven: Die Linkspartei, die er neben den Grünen als Partner benötigt, hat eine Koalition ohne Umgestaltung des Hartz-IV-Systems stets ausgeschlossen. Die Fokussierung auf Wähler mit kleinem Geldbeutel ist also nicht nur eine Kampfansage an die AfD, sondern vor allem ein Willkommens-Signal an Sahra Wagenknecht und Co.
Die CDU, der nun tatsächlich eine Ablösung durch eine Linkskoalition droht, interpretiert Schulz’ Versprechen deshalb als heftige Attacke. Der Gegenangriff ließ nicht lange auf sich warten: Merkel-Vize Volker Bouffier polterte, Schulz’ Argumente seien "nahezu alle falsch" – weder hätten prekäre Jobs zugenommen, noch sei die Kluft zwischen Arm und Reich gewachsen. Zudem warf er ihm Populismus à la Trump vor: "Mit Stimmungsmache kann man kein Land regieren", so Bouffier – Schulz habe noch nie verraten, wie er sich die Finanzierung all seiner Vorhaben vorstelle.