Politik/Ausland

Flüchtlingspolitik: Merkel setzt auf Kompromiss

Minutenlang dauert der Applaus, die Delegierten stehen: Angela Merkel wird von ihrer Partei gefeiert, kein Wort der Kritik nach ihrer Rede. Im Gegenteil: "Die perfekte Kanzlerin" wird Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen Merkel nach dem Parteitag 2014 nennen.

Auf solche Lobreden braucht die deutsche Kanzlerin am Montag in Karlsruhe nicht zu warten. Wenn die CDU ihre 1001 Delegierten zum jährlichen Treffen bittet, wird die Stimmung kühler sein. Die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin, ihr "Wir schaffen das", hat einen Keil in die Partei getrieben: Weil Merkel seit Langem einen anderen Kurs als ihre Gefolgschaft eingeschlagen hat, forderten im Vorfeld nicht nur die CSU, sondern auch drei der fünf CDU-Verbände einen anderen Ton.

Entgegenkommen

Gewünscht wurde ein Signal, ein "Stopp", das laut genug ist, um über die Grenze zu wirken. Erst vor ein paar Tagen hat der millionste Flüchtling diese überquert, viele Gemeinden wissen nicht mehr, wie sie die Menschen unterbringen sollen. Vor allem sie würden gern das Wörtchen Obergrenze aus Merkels Mund hören, ebenso wie die CDU-Mittelständler.

Jedoch: Auch die Kritiker wissen, dass eine Obergrenze juristisch wie praktisch kaum machbar ist. Es geht ihnen schlicht um ein Entgegenkommen - das hat auch die Parteispitze verstanden. Am Sonntag vor dem Parteitag hat man sich deshalb auf eine Kompromissformel mit den parteiinternen Kritikern geeinigt, die am Montag zur Abstimmung gestellt wird. Im Leitantrag, über den Merkel abstimmen lässt, kommt zwar das Wort Obergrenze nicht vor, aber zumindest die Wendung, dass die CDU entschlossen sei, den Zuzug von Asylbewerbern und Flüchtlingen durch wirksame Maßnahmen spürbar zu verringern.

Kein Putsch

Gefahrlos ist die Abstimmung für Merkel dennoch nicht. Votieren die Delegierten gegen sie, kommt das einem Misstrauensvotum gleich, das auch die Glaubwürdigkeit der CDU in der Koalition beschädigt. Das ist auch der Grund, weshalb Beobachter keinen Putsch erwarten: "Das sind ja keine Spontis", sagt der Berliner Politologe Werner Weidenfeld. Er sieht auch niemanden, der es ernsthaft mit Merkel aufnehmen will, zumal sich ihre Umfragewerte wieder verbessert haben. Selbst Finanzminister Schäuble, dem gerne nachgesagt wird, sich als "Reserve-Kanzler" zu sehen, wolle sie nicht stürzen. "So blöd ist er nicht", sagt Weidenfeld.

Das gilt auch für CSU-Chef Seehofer, sagt der Forscher. Seine Stimmungsmache gegen Merkel interpretiert er als "Inszenierung von Machtspielchen", die davon ablenken, dass es an Essenziellem fehle – einer Strategie. "Die Kanzlerin versteht sich auf situatives Krisenmanagement, hat aber keine strategische Perspektive", sagt Weidenfeld – das sei auf Dauer problematischer als die interne Debatte. Wenn die Regierung weiterhin so agiere wie bisher, räche sich das bei den Wahlen: "Gäbe es noch 80 Prozent Stammwähler wie im Jahr 2002, dann gäbe es kein Problem", sagt Weidenfeld – jetzt sind 90 Prozent Wechselwähler. Dauerten die Reibereien an, würden viele zur AfD schwenken.

Retourkutsche

Seehofers Gastauftritt beim Parteitag wird dennoch mit Spannung erwartet – er darf einen Tag nach der Kanzlerin sprechen. Dass Merkel ihm die Freude machen wird, so zu tun, als hätte sie seine Demütigung vom CSU-Parteitag vergessen, glaubt niemand. „Sie hat ein Elefantengedächtnis“, sagt Weidenfeld. Dass Seehofer sie wie ein Schulmädchen vorgeführt hat, wird für ein „hartes Rückspiel“ haben, und auf das warten viele. Vielleicht erntet Merkel ja dann dafür großen Applaus.