Merkel schafft es - auch in der CDU
Von Evelyn Peternel
Als Arnold Vaatz auf der Bühne sagt, "ich werde nicht für Merkels Antrag stimmen!", klatscht kaum wer. Der Sachse ist gleich nach der Kanzlerin dran, und er ist der Typ CDU-Politiker, die im Vorfeld des Parteitags am lautesten zu hören waren: die Kritiker Merkels, die einen Kurswechsel in der Flüchtlingsfrage von ihr fordern.
Am Montag in Karlsruhe ist es aber plötzlich still um sie. Umso lauter ist der Applaus, der Angela Merkel entgegendonnert, als sie am Ende ihrer Rede ihren Lieblingssatz wiederholt: "Wir schaffen das!", sagt sie. Die Kanzlerin hat den Satz in ihrer Ansprache nicht nur einmal verwendet. Zwei Stunden lang hat sie die gut 1000 Delegierten beschwört, emotional und launig, mit "ihrer besten Rede seit langem", sagen viele Delegierte später.
"Humanitärer Imperativ"
Ihre Worte sind gut vorbereitet. Sie sind präzise, eine Mischung aus Werben und Zugeständnissen. Ein "humanitärer Imperativ" sei es gewesen, vor Monaten die Grenzen zu öffnen sagt sie, der Applaus dafür ist laut. Dass die Aufgabe, die danach auf Deutschland zugekommen sei, eine "riesige" gewesen sei, lässt die Delegierten nicken, jubeln und johlen lässt sie der Satz, der danach folgt: Dass das alles nur durch den Einsatz der CDU schaffbar gewesen sei. Das Christliche, das Menschliche in der Partei seien der Grund, warum Deutschland so gut dastehe – vor den Flüchtlingen ebenso wie jetzt mit ihnen.
Lob den Kritikern
Es ist die Menschenwürde, mit der Merkel ihre Delegierten erreicht. Die Erinnerung an Kohl und Adenauer, die vor ähnlich schwierigen Aufgaben standen, die immer für "ihr Deutschland" kämpften. "Ich möchte, dass das in 25 Jahren auch noch mein Deutschland ist", sagt sie. Und dafür brauche sie mehr Zeit als nur vier Monate, lässt sie ihre Kritiker wissen.
Lob an ihre Kritiker
Die sitzen vornehmlich hinter ihr am Podium. Wolfgang Schäuble, Thomas de Maiziere, Julia Klöckner – sie alle adressiert Merkel persönlich. Sie umarmt sie geradezu; und die Taktik geht auf: Ihr Dank für die geäußerte Kritik, dazu Sätze wie "Multikulti bleibt eine Lebenslüge" oder "unsere Gesetze stehen über Stammesregeln" – das freut selbst die konservativsten Herzen. Dass sie danach hinzufügt, Abschottung sei im 21. Jahrhundert keine Option, weist gleich danach alle in die Schranken, die eine Obergrenze von ihr fordern.
Die gibt es mit ihr nicht, das hat sie schon am Vortag klar gemacht. Ein so großes Zugeständnis muss aber gar nicht sein. Den Delegierten reicht es, kleine Änderungen von ihrer Chefin zu bekommen. Ihren Leitantrag zur Flüchtlingspolitik hat sie nur um die Worte "spürbare Reduzierung des Flüchtlingszuzugs" und um die Einschränkung, dass "ein Andauern des Zuzugs Deutschland überfordern würde", erweitert. Die Delegierten votierten mit nur zwei Gegenstimmen für Merkels Politik.
Standing Ovations
Sie selbst scheint fast gerührt über das Ergebnis. Die Delegierten stehen alle auf, als sie die Bühne verlässt, beinahe neun Minuten dauert der Applaus – mehr noch als im Vorjahr, als ihre Position deutlich unumstrittener war als jetzt. Als es zu viel zu werden droht, geht sie nochmals ans Pult. "Jetzt wieder ran an die Arbeit!", sagt sie. Lacher im Publikum folgen.
Auch bei ihr selbst scheint die Botschaft angekommen: Sie hat der Partei klargemacht, dass es zu ihr derzeit keine Alternative gibt – sie hat sich eine Atempause verschafft. Die Kritiker haben es nun schwerer: Wenn CSU-Chef Horst Seehofer am Dienstag spricht, ist er nicht zu beneiden. Aber zumindest Arnold Vaatz wird ihm Beifall klatschen.
"Mama Merkel" stand auf Schildern, die die Flüchtlinge in Ungarn in der Hand hielten. Das war vor vier Monaten, kurz nachdem die deutsche Kanzlerin beschlossen hatte, die Grenzen für sie zu öffnen. Die Kunde, dass Deutschland keine Syrer abschiebt, hatte dafür gesorgt, dass das Land zum Sehnsuchtsort geworden war – nicht nur für Syrer, sondern auch für viele Menschen vom Westbalkan.
Jetzt, knapp vier Monate später, ist die Realpolitik in Deutschland eine andere. Seit Innenminister de Maizière nur acht Tage nach der Öffnung die Grenzen wieder kontrollieren ließ, wurde das Asylrecht vor allem auf Betreiben von CDU und CSU Schritt für Schritt verschärft: Mit dem ersten Paket erweiterte man den Katalog der sicheren Herkunftsstaaten um den Westbalkan, seither werden Asylwerber beinahe ohne Einschränkung zurückgeschickt. Seit Kurzem schiebt man auch nach Afghanistan ab, ungeachtet der Tatsache, dass Deutschland gerade den Bundeswehr-Einsatz dort verlängert hat. Auch syrische Asylwerber werden nicht mehr ohne Prüfung aufgenommen.
NGOs üben seit Langem daran Kritik, sie sprechen von den massivsten Verschärfungen seit Jahren. Auch aus der SPD kommen nun kritische Stimmen – beim letzten Schritt spießt es sich deshalb auch: Die Verschlechterung der Bedingungen für Asylwerber ohne Bleibe-Perspektive will die SPD nämlich so nicht mittragen.