Politik/Ausland

"Wir sind ein wenig Avantgarde"

Ich hab mir keinen Flüchtling gewünscht", sagt Martin Patzelt. Seine Stimme ist fest, die Ärmel hochgekrempelt. Patzelt ist Pragmatiker, und der Satz – er ist nicht negativ gemeint: Die zwei jungen Männer, die der CDU-Abgeordnete aus Brandenburg seit Kurzem bei sich beherbergt, sind ihm offensichtlich ans Herz gewachsen.

"Meine Hausfreunde"

Seit Juli wohnen Haben und Awet bei ihm. Kennengelernt hat er die zwei Männer aus Eritrea über die Kirche. "Da gehen die Flüchtlinge hin, wenn sie Kontakt mit Deutschen haben wollen." In Briesen, einer 2000-Seelen-Gemeinde nahe der polnischen Grenze, hat man wenig Erfahrung mit Asylwerbern, nur wenige sind in der Region untergebracht. Aber man kennt Martin Patzelt, den ehemaligen Oberbürgermeister von Frankfurt an der Oder. Jetzt ist er der Mann, der zwei junge Afrikaner bei sich aufgenommen hat. "Meine Hausfreunde" nennt er sie.

Auf die Idee kam Patzelt angesichts der überquellenden Massenunterkünfte, die es in ganz Deutschland gibt. "Die Menschen werden dort völlig demoralisiert", erzählt der 68-Jährige. "Sie können sich nicht bewegen, haben keine Beschäftigung." Gerade im Osten Deutschlands würde enorm viel Wohnraum leer stehen, den man nützen könnte. Ich musste mit gutem Beispiel vorangehen."

Auch Awed (25) und Haben (19) waren bis zu ihrem Umzug in einem solchen Heim untergebracht, seit einem Jahr warteten die beiden dort mit Hunderten anderen auf ihre Asylentscheidung. Jetzt leben sie stattdessen in familiärer Umgebung – und haben eine Beschäftigung: Haben hilft als Regalschlichter in einem Supermarkt aus, Awet arbeitet ehrenamtlich im Gemeindezentrum. Zudem erhalten die beiden Sprachunterricht von einer pensionierten Deutschlehrerin. "Die war anfangs sehr zögerlich. Jetzt würde sie am liebsten jeden Tag kommen", sagt Patzelt. Er lacht dabei. Abends, nach der Arbeit, bestehen die beiden darauf, dass gemeinsam gegessen wird. "Das rührt mich."

Kritik von Kollegen

Schmerzlich hingegen war die Reaktion, die Patzelt aus der eigenen Partei zu spüren bekam. "Dich wird nie mehr jemand wählen, hörte ich da", sagt Patzelt, er rückt sich die Brille zurecht. "Die Kollegen waren verunsichert, was ich ihnen für eine Diskussion beschere." Dass ihm die Entscheidung Probleme bereiten würde, wundert den CDU-Politiker nachbetrachtet nicht. "Wir sind ein wenig Avantgarde", sagt er ein bisschen trotzig.

Nicht gerechnet hat Patzelt aber mit der Welle an Negativem, die ihm aus der Bevölkerung entgegenschlug. Noch immer trudeln Hass-Mails bei ihm ein, auch Morddrohungen sind darunter. "Ich bin als Politiker nun mal Projektionsfläche." Sein Alltag, sagt der Politiker, habe sich dennoch nicht stark geändert. Zwar habe das Bundeskriminalamt seiner Familie angeboten, sie zu schützen, "das habe ich aber abgelehnt. Meine Frau und die Kinder sehen das gelassen." Auch hier ist er Pragmatiker.

Angst mache ihm nur, dass sich der Hass weiter ausbreiten könnte. Denn obwohl es eine wachsende Zahl an Menschen gebe, die sich für Flüchtlinge engagieren, sei die Mehrheit der Bevölkerung ambivalent. "Und die Gefahr, dass das kippt, ist groß." Dem müsse man aktiv etwas entgegensetzen.

In seinem Heimatort Briesen hat Patzelt das offenbar schon geschafft. Dort hat man sich schon an Haben und Awet gewöhnt. "So viel Winken, so viele kleine Gespräche", sagt Patzelt. Er strahlt.

143 Euro Taschengeld im Monat beziehen Asylwerber in Deutschland – für Bayerns CSU-Innenminister Joachim Herrmann zu viel: Er schlug im Gespräch mit der Welt vor, die Summe für Asylwerber vom Balkan drastisch zu kürzen. "Die Zuwendungen für diese Gruppe sind eine Zumutung für die deutschen Steuerzahler", polterte er. Sie seien ein Anreiz, "nach Deutschland zu kommen und das Geld mit nach Hause zu nehmen."

Schon seit geraumer Zeit wird darüber diskutiert, wie der Zustrom an Asylwerbern vom Balkan einzudämmen sei; auch Innenminister Thomas de Maizière schlug zuletzt eine Kürzung vor. Wie auch er muss sich Herrmann nun Schelte gefallen lassen: Linke und Grüne werfen ihm Rechtspopulismus vor, die SPD lehnt den Vorschlag gänzlich ab , NGOs sehen ihn gar als illegal an. Ähnliche Kritik hörte die CSU, als sie kürzlich beschloss, Westbalkan-Flüchtlinge in gesonderten Lagern unterzubringen – zwei solche Unterbringungen werden nun eröffnet.