Deutschland: Eintrag für drittes Geschlecht muss kommen
Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat ein drittes Geschlecht für den Eintrag im Geburtenregister gefordert. Intersexuellen Menschen, die weder männlich noch weiblich sind, solle damit ermöglicht werden ihre geschlechtliche Identität "positiv" eintragen zu lassen, entschieden die Karlsruher Richter in einem am Mittwoch veröffentlichten Beschluss.
Zur Begründung verwies das Gericht auf das im Grundgesetz geschützte Persönlichkeitsrecht (Az. 1 BvR 2019/16). Der Gesetzgeber muss nun laut Karlsruhe bis Ende 2018 eine Neuregelung schaffen, in die als drittes Geschlecht neben "männlich" und "weiblich" noch etwa "inter", "divers" oder eine andere "positive Bezeichnung des Geschlechts" aufgenommen wird.
Im Ausgangsfall hatte ein intersexueller Mensch den Antrag auf Änderung seines Geschlechts auf "inter" oder "divers" im Geburtenregister gestellt. Er war als Mädchen eingetragen worden. Laut einer vorgelegten Chromosomenanalyse ist er weder Frau noch Mann. Die Klage scheiterte zuvor in sämtlichen Instanzen, zuletzt vor dem Bundesgerichtshof.
Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat neben "männlich" und "weiblich" einen weiteren Geschlechtseintrag im Geburtenregister wie etwa "divers" gefordert, um der geschlechtlichen Identität von Intersexuellen gerecht zu werden. Intersexuelle sind Menschen, die sich genetisch, hormonell oder anatomisch nicht eindeutig dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zuordnen lassen.
VARIATIONEN IM CHROMOSOMENSATZ
Häufige Ursachen für Intersexualität oder auch sogenannte Zwischengeschlechtlichkeit sind Variationen im Chromosomensatz. Eine weibliche Geschlechtsidentität wird bestimmt durch zwei X-Chromosomen, eine männliche Identität durch die Kombination von einem X- mit einem Y-Chromosom. Uneindeutig wird das Körpergeschlecht dagegen, wenn etwa nur ein einziges X-Chromosom vorhanden ist.
Dieses sogenannte Turner-Syndrom führt zu einem äußeren weiblichen Erscheinungsbild und gilt als eine der häufigsten Ursache von Intersexualität. Es gibt aber auch die Variante von XXY-Chromosomen, dem sogenannten Klinefelter-Syndrom, mit einer äußerlich männlichen Geschlechtsausprägung. Daneben sind auch Variationen bei Geschlechtshormonen bekannt, die zu Intersexualität führen können.
NICHT MIT TRANSSEXUALITÄT VERWECHSELN
Im Gegensatz zu intersexuellen Menschen sind Transsexuelle in ihrem biologischen Geschlecht eindeutig bestimmt. Diese biologischen Männer oder Frauen fühlen sich aber dem jeweils anderen psychischen Geschlecht zugehörig und streben teils über eine chirurgische oder hormonelle Therapie die Anpassung ihres Körpers an ihr psychisches Geschlecht an.
Eine körperliche oder seelische geschlechtsbezogene Zwischenstellung nehmen Transsexuelle in der Regel nicht ein. Es geht bei ihnen laut einer Stellungnahme des Deutschen Ethikrats aus dem Jahr 2012 um die "Zugehörigkeit zum männlichen oder weiblichen Pol, bei den Intersexuellen hingegen um eine Zwischenstufe".
DISKRIMINIERUNG, BENACHTEILIGUNG UND GEWALT
Der Stellungnahme zufolge ist die Lebensqualität von Intersexuellen im Alltag reduziert. "Diskriminierungs-, Benachteiligungs- und Gewalterfahrungen" spielten dabei eine wichtige Rolle. Zudem beklagten Intersexuelle eine fehlende Aufklärung und Verwechslung mit Transsexualität, falsche medizinische Behandlung sowie Spott und Beleidigung. Es werde auch bemängelt, dass intersexuelle Menschen keinen Minderheitenschutz in der Gesellschaft genössen und sich als schutz- und würdelos erlebten.
Der Prozess um ein "Drittes Geschlecht" ist nicht nur Neuland für Juristen, auch die Berichterstattung steht vor einem ungewohnten Problem: Wie nennt man jemanden, der weder Mann noch Frau ist? Die deutsche Sprache kennt hier keine Lösung, wie man sie beispielsweise in Schweden schon gefunden hat. Kläger Alex Jürgen will am liebsten mit "Herm" angesprochen werden.
"Im Alltag ist es für mich OK, wenn jemand Herr sagt und es ist okay, wenn jemand Frau sagt", hat sich der offen intersexuell lebende Oberösterreicher mit dem sprachlichen Dilemma offenbar teilweise abgefunden, hätte aber eine Lösung parat: "Wenn mich jemand höflich ansprechen will, dann mit Herm Alex" (von Hermaphrodit, Anm.), sagt er. Er?, sie? - "Es ist beides okay, weil beides falsch ist", meint Anwalt Helmut Graupner. Ein geeignetes Pronomen fehlt aber. Während die einige Länder bereits die juristische Geschlechtsbezeichnung "X" kennen, hinkt die Sprache hinterher. Dabei sind laut Alex Jürgen 1,7 Prozent der Weltbevölkerung intersexuell.
In Schweden wurde das sprachliche Dilemma schon vor einigen Jahren gelöst. Allerdings unter anderen Voraussetzungen: Denn die schwedische Grammatik kennt grundsätzlich kein "männlich" und "weiblich" für Substantive. Dinge sind entweder sächlich, also "neutrum" - oder nicht, was grammatikalisch als "utrum" (gemeinsames Geschlecht, genus commune) bezeichnet wird.
Für Personen gibt es freilich entsprechende Fürworter: "hon" (sie) und "han" (er). Und seit neuestem ein drittes, nämlich "hen" - zum geschlechtsneutralen Formulieren, aber auch geeignet für Menschen unbestimmten Geschlechts. Ohne Debatten verlief diese Neuerung nicht. Sie wurde aber 2015 in die Wörterliste der Schwedischen Akademie aufgenommen und somit von höchster Stelle abgesegneter, offizieller Sprachgebrauch. Man habe durchaus Zweifel gehabt, sagte damals der Hauptverantwortliche in der Akademie, aber festgestellt, dass sich das Wort im Schwedischen etabliert habe.