Bundestag: Massaker an Armeniern war Völkermord
Ungeachtet deutlicher Warnungen der türkischen Regierung hat der Bundestag am Donnerstag die seit Wochen diskutierte Armenien-Resolution nahezu einstimmig verabschiedet. In der von Union, SPD und Grünen getragenen Erklärung wird die Ermordung von bis zu 1,5 Millionen Armeniern während des Ersten Weltkrieges als Völkermord bezeichnet. Nur ein Abgeordneter des Parlaments stimmte gegen die Entschließung, ein weiterer enthielt sich. Bundestagspräsident Norbert Lammert sprach anschließend von einer "bemerkenswerten Mehrheit".
Die türkische Regierung hatte gewarnt, dass die Genozid-Bezeichnung für den Massenmord an Armeniern vor 101 Jahren die Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland beschädigen könnte. Die Aufarbeitung des heiklen Themas belastet noch heute das Verhältnis der Türkei zu Armenien sowie etlichen westlichen Staaten.
Merkel, Steinmeier & Gabriel verhindert
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sowie Vizekanzler und SPD-Chef Sigmar Gabriel nahmen an der Abstimmung nicht teil, weil sie wegen anderer Termine verhindert waren.
In der Resolution wird auch die Bundesregierung aufgefordert "weiterhin zu einer breiten öffentlichen Auseinandersetzung mit der Vertreibung und fast vollständigen Vernichtung der Armenier 1915/1916 sowie der Rolle des Deutschen Reiches beizutragen".
Zudem wird angemerkt, bis heute bestreite die Türkei "entgegen der Faktenlage, dass der Vertreibung, Verfolgung und Ermordung der Armenier eine Planmäßigkeit zugrunde gelegen habe".
Türkei protestiert
Aus Protest ruft die Türkei laut Medienberichten ihren Botschafter aus Berlin zurück. Botschafter Hüsein Avni Karslioglu werde noch am Donnerstagnachmittag ins Flugzeug nach Ankara besteigen, meldete die regierungsnahe Zeitung "Yeni Safak" auf ihrer Internetseite.
Die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei seien ernsthaft beschädigt worden, sagte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am Donnerstag während einer Reise in Kenia. Nach der Rückkehr des türkischen Botschafters aus Deutschland würden Schritte diskutiert, mit denen auf die Resolution reagiert werden sollte. Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte dagegen, die Beziehungen seien freundschaftlich und gut.
Die wichtigsten Textpassagen
Der genaue Titel der Resolution lautet: "Erinnerung und Gedenken an den Völkermord an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten in den Jahren 1915 und 1916" und behandelt:
VÖLKERMORD: "Im Auftrag des damaligen jungtürkischen Regimes begann am 24. April 1915 im osmanischen Konstantinopel die planmäßige Vertreibung und Vernichtung von über einer Million ethnischer Armenier. Ihr Schicksal steht beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen, ja der Völkermorde, von denen das 20. Jahrhundert auf so schreckliche Weise gezeichnet ist. Dabei wissen wir um die Einzigartigkeit des Holocaust, für den Deutschland Schuld und Verantwortung trägt."
DEUTSCHE MITSCHULD: "Der Bundestag bedauert die unrühmliche Rolle des Deutschen Reiches, das als militärischer Hauptverbündeter des Osmanischen Reichs trotz eindeutiger Informationen auch von Seiten deutscher Diplomaten und Missionare über die organisierte Vertreibung und Vernichtung der Armenier nicht versucht hat, diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu stoppen."
DIMENSION VON VERTREIBUNG UND MASSAKERN: "Den Deportationen und Massenmorden fielen nach unabhängigen Berechnungen über eine Million Armenier zum Opfer." (Begründungstext der Resolution)
ZUR TÜRKISCHEN LESART: "Bis heute bestreitet die Türkei entgegen der Faktenlage, dass der Vertreibung, Verfolgung und Ermordung der Armenier eine Planmäßigkeit zugrunde gelegen hätte bzw. dass das Massensterben während der Umsiedlungstrecks und die verübten Massaker von der osmanischen Regierung gewollt waren." (Begründungstext)
EINWIRKEN AUF DIE TÜRKEI: "Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf (...) die türkische Seite zu ermutigen, sich mit den damaligen Vertreibungen und Massakern offen auseinanderzusetzen, um damit den notwendigen Grundstein zu einer Versöhnung mit dem armenischen Volk zu legen, (...)"