Politik/Ausland

Was uns trennt, ist die Sprache – oder?

Adieu, Paradeiser! Hallo, Tomate!

Die Wien-Sicht von Georg Leyrer:

Als gelernter Österreicher erbte man einst das Parteibuch; je nach gesellschaftlichem Stand entweder ein Philharmoniker-Abo oder einen Schrebergarten; und die Idee, dass man die Deutschen nicht mögen soll. Genetisch festgeschrieben ist, dass "Paradeiser" richtig ist und nicht "Tomate", dass "lecker" das Schlimmste ist und "Tschüss" ein Verbrechen.

Es war einer der Gründungsmythen der österreichischen Identität, dass man anders sei als die Piefkes, vor allem kulturell: Dort die humorlosen Effizienzmaschinen, hier die balkannahen, gemütlichen Einedrahrer, die sich unterlegen fühlen und das als Vorteil auslegen.

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Und wir haben einmal im Fußball gegen sie gewonnen! Und tschüss! Nüchtern betrachtet muss man inzwischen aber sagen: Je weiter Cordoba in die Vergangenheit rückt, desto ferner wird auch der Kulturkampf an der Weißwurstäquator-Front. Die schönen neuen Kommunikationsmittel haben den Österreichern schmerzlich bewusst gemacht, dass schon jenseits der Enns niemand mehr "Paradeiser" sagt; dass die gefühlte Homogenität des Österreichischen als Abgrenzungskriterium zum Piefkonischen somit wenig geeignet ist.

Einstige sprachliche Tabus haben sich überhaupt erledigt: Man schenke dem nächstgelegenen Teenager ein Ohr; die Chance, dass er ungeniert "Tschüss" und "lecker" sagt, ist hoch. Selbst am Burgtheater redet man Deutschdeutschdeutsch (ja, dreifach). Und in der Clubkultur herrscht überhaupt schon Eintracht. Das mit der Sprache, die uns trennt, löst sich wohl in Wohlgefallen auf.

Aber, zur Beruhigung: Es gibt in dieser Kulturschlacht keinen klaren Sieger. Als Ausgleich für gewisse Niederlagen im Sprachwettbewerb – der süße Kindercomic "Peppa Pig" heißt auf deutsch "Peppa Wutz!" – hat Österreich zuletzt populärmusikalische Erfolge erzielt, indem wir nach Christl Stürmer und DJ Ötzi sowohl Wanda und Bilderbuch als auch Andreas Gabalier auf Siegeszug nach Deutschland schickten.

Unentschieden

Sonst gilt: Es hat alles Vor- und Nachteile. Die Österreicher sind neidig auf den Wirtschaftserfolg der Deutschen, die wiederum wünschten, sie hätten unser Pensionssystem. Die Österreicher sind immer noch schlecht im Fußball, die Deutschen dafür im Kabarett (und im Film). Beide Länder haben ihren Platz in der EU gefunden: Deutschland als rücksichtsloser Wirtschaftsmotor und als Unikum im Umgang mit Flüchtlingen; Österreich als Kommentator von der Seitenlinie, der die Deutschen bei jeder Gelegenheit gerne auflaufen lässt. Deutsche Führungskräfte und deutsche Studenten und deutsche Touristen in Österreich wissen das.

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Wenigstens sind wir keine Bayern

Die Berlin-Sicht von Evelyn Peternel:

Es gibt da eine wunderbare Skulptur von Franz West. Pappmaschee in Haufenform, grau-braun-bunt, und oben ragt ein Besenstiel raus. Der Titel: Deutscher Humor. "Das nehmen wir natürlich nicht persönlich", urteilte die FAZ über das Werk des Wieners, und merkte nicht, dass sie auf ihn reingefallen war: Deutscher Humor und österreichischer, das ist wie mit der Sprache. Man versteht einander, was der andere aber genau sagen will, weiß man nicht.

Beispiel gefällig? Eine Freundin, frisch in Berlin, ließ sich ihre Waschmaschine liefern; das Trumm war riesig, die Wohnung hoch oben. Obwohl die Freundin stakkatoartig "das geht sich net aus!", schrie, schoben die Helfer das Ding in den Lift – und blieben damit stecken. Als ihr der Vermieter dann noch sagte, "ich hätte gern mehr Abstand von Ihnen" dachte sie eher an einen Witz – einen typisch deutschen freilich–, als an die Frechheit, die die Forderung eigentlich darstellte.

Als Exil-Ösi lernt man: In Deutschland geht sich nichts nicht aus, sondern es passt nicht, man schafft es nicht, und im schlechtesten Fall geht es einfach nicht. Den Abstand zahlt man statt der Ablöse, und wer versucht, Missverständnisse mit Ironie auszubügeln, landet im Niemandsland deutschen Humors: "Das ist aber lustig", sagte die Freundin, als sie bemerkte, dass ihre Waschmaschine einem Sprachdilemma zum Opfer gefallen war. Der Vermieter darauf: "Was soll daran bitte lustig sein?"
Schrippe oder Weck?

Eine Kulturschlacht daraus zu stricken, ist aber ebenso überzogen wie zu sagen, na geh, Unterschiede gibt’s eh keine mehr. Vor allem darum, weil der Deutsche sprachlich ja auch kein homogenes Wesen ist: Die Missverständnisse, die zwischen einem Saarländer und einem Berliner allein beim Semmel-Kauf entstehen, ergeben für einen Österreicher ja auch keinen Sinn. Der eine sagt "Weck", der andere fragt, "’ne Schrippe, wa?", und beide einigen sich, dass sie Brötchen meinen (allerdings nur ein deutsches; wer österreichische Brötchen mit Belag will, muss aufs französische Kanapee ausweichen).

Dadurch versteht man als Zugereister auch, wieso die Sprachfrage in Deutschland kaum wen interessiert: Als Österreicher wird man in Norddeutschland ohnehin ständig für einen Bayern gehalten, und auf die Entrüstung, dass einen von Bayern ja Sprache wie Grenze trennt, folgt meist Aufatmen: "Na wenigstens kein Bayer".

Im Stolz verletzt sollte man sich darum aber nicht fühlen. Denn mit vermeintlichen Minderwertigkeitskomplexen von uns "Schluchtenscheißern" hat das wenig zu tun: Was der kleine Bruder im Süden über den großen denkt, das ist vielleicht in politisch zugespitzten Zeiten spannend, aber sonst ist es dem Bundesdeutschen recht blunzn. Und das ist auch gut so, denn das lässt Raum für Leerstelle und Missverständnisse – Sprache ist nun mal wichtig für die Identität, auch wenn man das am Ende erst merkt, wenn sie fehlt.