Politik/Ausland

Der Traum von der Wiedervereinigung

Dass Nordirland nicht Teil der Republik Irland ist, bietet dem 25-jährigen Dubliner Robbie Byrne einige praktische Vorteile. "Für größere Einkäufe lohnt sich die eineinhalbstündige Fahrt in die Stadt Newry im Norden. Dort ist fast alles deutlich billiger." Die meisten seiner Freunde haben ihre Gebrauchtwagen in Nordirland gekauft. "Wegen des schwachen britischen Pfunds haben sie sich beim Autokauf einige tausend Euro erspart."

Dennoch hofft der Angestellte einer Internetfirma wie die meisten seiner Landsleute auf eine Wiedervereinigung der Republik Irland und des zu Großbritannien gehörenden Nordirland. "Die Insel sollte ein Land sein. Die Integration beider Teile wäre sicher schwierig. Doch langfristig wäre es richtig und würde sich auch wirtschaftlich lohnen", ist Byrne überzeugt.

Der Brexit hat das Thema Wiedervereinigung auf beiden Seiten der inner-irischen Grenze wieder aufs Tapet gebracht. 55 Prozent der Nordiren stimmten beim Referendum im Juni 2016 gegen den Austritt Großbritanniens aus der EU. Doch sie wurden von Engländern und Walisern überstimmt und müssen nun im März 2019 die EU verlassen. Die britische Regierung strebt einen harten Brexit an. Sie will den Binnenmarkt und die Zollunion verlassen.

Damit könnte die seit Jahren unsichtbare Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland wieder zu einer echten physischen Trennlinie mit Zöllnern und Grenzschützern werden.

Das sorgt für Unmut unter den pro-irischen Republikanern in Nordirland, aber auch bei vielen pro-britischen Unionisten, die dort noch eine knappe Mehrheit stellen. Eine harte Grenze würde die Wirtschaft auf beiden Seiten hart treffen, darunter die Holzfirma Balcas im nordirischen Enniskillen. Die Firma hat 342 Mitarbeiter. Rund 23.000 Mal im Jahr überqueren ihre Lkw die Grenze nach Irland. Erzeugnisse werden nach Irland und Großbritannien verkauft – dank der EU barrierefrei. "Eine neue Grenze würde Verwaltungs- und Zeitaufwand bedeuten. Wir müssten 15 neue Mitarbeiter einstellen", erklärt Balcas-Chef Brian Murphy.

75 Prozent der Nordiren wünschen sich einer Umfrage zufolge, dass derzeit geltende EU-Standards nach dem Brexit in Nordirland weiter gelten. Das würde eine physische Grenze obsolet machen. Die britische Regierung beteuert, dass sie eine solche ohnehin nicht wolle. Wie das mit dem von ihr angestrebten harten Brexit vereinbar sein soll, ist allerdings unklar. Sollte es zu diesem kommen, wünschen sich 48 Prozent der Nordiren eine Wiedervereinigung mit Irland. Der Anteil soll weiter steigen, sobald die Folgen des Brexit spürbar werden.

Nur knappe Mehrheit

Irische Nationalisten, aber auch die Mitte-Rechts-Regierung in Dublin, wittern die Chance, die Teilung zu überwinden. "Ich würde mir wünschen, ein vereinigtes Irland noch erleben zu können", sagte Außenminister Simon Coveney kürzlich.

Laut Umfragen wünscht sich derzeit nur eine knappe Mehrheit der Südiren die Wiedervereinigung. Viele fürchten, dass radikale pro-britische Unionisten mit Gewalt reagieren könnten. So wie einst die pro-irische IRA die britische Herrschaft in Nordirland mit Terror bekämpfte. Bei dem jahrzehntelangen Bürgerkrieg kamen 3600 Menschen ums Leben. Das Karfreitags-Friedensabkommen von 1998 und die EU-Integration beider Staaten trugen maßgeblich zur Aussöhnung bei.

Auch wirtschaftliche Gründe machen viele Südiren skeptisch. Bei der Teilung 1922 war Nordirland deutlich wohlhabender als der Rest der Insel. 80 Prozent der Industrieproduktion kamen aus dem Norden. Belfast war größer als Dublin.

95 Jahre später hat sich das Blatt dramatisch gewendet. Die Wirtschaftsleistung der Republik ist vier Mal größer als die Nordirlands, der Durchschnittslohn im Süden 50 Prozent höher. Dublin ist drei Mal so groß wie Belfast.

Abhängig von London

Nordirland ist von Milliarden-Subventionen aus London abhängig. Die wollen viele Südiren nicht übernehmen. "Es ist wie bei der deutschen Wiedervereinigung. Eine große Belastung für die Republik, den Norden zu integrieren", so Ökonom David McWilliams.

Daher ist auch die in Dublin lebende Engländerin Caroline Molloy gegen die Wiedervereinigung. "Wir könnten uns das nicht leisten." Die Geldflüsse nach Nordirland würden auch von vielen Briten als Belastung gesehen, weiß Molloy. "Ich habe noch keinen einzigen Engländer getroffen, der Nordirland behalten möchte."