Palästinenser werden Vollmitglied in Den Haag
Die Palästinensergebiete werden heute das 123. Vollmitglied des Internationalen Strafgerichtshofs. An der Aufnahmezeremonie in Den Haag nimmt der palästinensische Außenminister Riad al-Malki teil. Ab sofort können die Palästinenser dem Gerichtshof in Den Haag Fälle vorlegen, in denen auf ihrem Territorium Delikte gegen das Völkerstrafrecht begangen wurden.
Ihre Absicht ist, Verfahren gegen Verantwortliche in Israel in Gang zu setzen. Dabei geht es um den Gaza-Krieg im vergangenen Sommer, aber auch um die Folgen der seit 1967 andauernden Besiedlung des besetzten Westjordanlands durch Israel. Ermittlungen könnten sich nun aber auch gegen extremistische Palästinenser richten, die israelische Zivilisten mit Raketen beschießen.
Politische Folgen unklar
Die möglichen juristischen und politischen Folgen bleiben aber ungewiss. Es gilt als unwahrscheinlich, dass sich israelische Regierungsmitglieder jemals in Den Haag werden verantworten müssen. Zugleich werden direkte Verhandlungen zur Lösung des Nahostkonflikts künftig noch schwieriger. Doch die desillusionierten Palästinenser haben nichts mehr zu verlieren.
Nach Jahrzehnten ergebnisloser Friedensgespräche mit Israel und ohne reelle Aussichten, einvernehmlich die volle Etablierung eines souveränen Palästinenserstaates zu erreichen, verficht die Palästinenserführung ihre Anliegen nun verstärkt in der großen Weltarena. Seit dem Scheitern der von US-Außenminister John Kerry vermittelten Verhandlungen vor einem Jahr läuft die Kampagne zur Internationalisierung des Nahostkonflikts.
Am 2. Jänner traten die Palästinensergebiete, die Ende 2012 als UNO-Beobachterstaat anerkannt wurden, dem Römischen Statut bei. Dieses bildet die Grundlage des IStGH, der Delikte des Völkerstrafrechts ahndet, sofern die nationale Gerichtsbarkeit dies nicht selbst ausreichend gewährleistet. Nach Ablauf der üblichen Frist können die Palästinenser dem Gerichtshof ab dem 1. April konkrete Fälle von mutmaßlichen Kriegsverbrechen oder anderen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vortragen, die auf ihrem Territorium begangen wurden - wobei der IStGH grundsätzlich nur über Individuen, nicht über Staaten richtet.
Zweischneidige Methoden
Der palästinensische Chefunterhändler Sajeb Erakat, zugleich Leiter eines Komitees, das für Den Haag bestimmte Fälle dokumentiert, bekräftigte am Dienstag noch einmal den eingeschlagenen Kurs: "Unser internationaler Rechtsstatus als okkupierter Staat ähnelt dem von Belgien, Frankreich, Korea oder den Philippinen unter der Besatzung durch Deutschland und Japan", sagte Erakat. "Palästina wird weiter alle legitimen Mittel einsetzen, um sich gegen die israelische Kolonisierung und andere Verletzungen des internationalen Rechts zu verteidigen."
Die Einschaltung internationaler Gerichte und die angedrohte Beendigung der Sicherheitskooperation der Palästinensischen Autonomiebehörde mit Israel gelten als die schärfsten, wenn auch zugleich zweischneidigen Waffen der Palästinenser. Die Aussicht, dass eines Tages israelische Befehlshaber oder Mitglieder des Sicherheitskabinetts Vorladungen nach Den Haag erhalten könnten, erzeugten in Israel wütende Reaktionen. Ministerpräsident Benjamin Netanyahu beschuldigte die palästinensische Einheitsregierung, diese "manipuliere" den Strafgerichtshof, während sie sich zugleich "auf die terroristische Hamas stützt".
Geheimer Deal?
Als Vergeltung für den IStGH-Beitritt blockierte die israelische Regierung Anfang Januar die Steuereinnahmen, die der palästinensischen Selbstverwaltung zustehen und zwei Drittel ihres Budgets ausmachen. Dass diese seitdem auf mehrere hundert Millionen Euro angewachsenen Finanzmittel nun in den nächsten Tagen freigegeben werden sollen, sei Teil eines heimlichen Deals, berichten einige israelische Medien.
Die Palästinenserführung habe im Gegenzug zugesichert, anders als angekündigt zunächst keine neuen Fälle in Den Haag vorzulegen. "Das ist eine riesige Lüge; diese Verfahren sind doch schon auf dem Weg", dementiert Erakats Sprecher Xavier Abu Eid. Dennoch wird die Vollmitgliedschaft am 1. April vornehmlich zeremoniell und nicht-öffentlich begangen. Der palästinensische Außenminister Riad al-Malki erhält dabei in Den Haag aus den Händen der Chefermittlerin Fatou Bensouda eine Kopie des Römischen Statuts.
Erste Vorermittlungen, insbesondere zum Gaza-Krieg des vergangenen Sommers, hatte Bensouda schon am 16. Jänner eingeleitet. Denn parallel zum Beitrittsgesuch zum IStGH hatte Präsident Mahmoud Abbas förmlich die Zuständigkeit des Gerichtshofs für alle Völkerrechtsdelikte anerkannt, die seit dem 13. Juni 2014 in den Palästinensergebieten begangen wurden. An diesem Tag war das Verschwinden von drei entführten und kurz darauf ermordeten jüdischen Schülern bemerkt worden.
Das löste eine Eskalation aus Massenverhaftungen im Westjordanland und Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen aus. die schließlich im Krieg endete. Bestimmte Militäreinsätze, die zu zahlreichen zivilen Opfern führten, könnten nun in Den Haag verhandelt werden, wenn die israelische Justiz ihnen nicht selbst ausreichend nachgeht.