Chodorkowski beantragt Visum für die Schweiz
Viel Zeit verliert der freigelassene Kreml-Kritiker Michail Chodorkowski nicht: Am Dienstag hat er ein Visum für die Schweiz beantragt. Wie das Außenministerium in Bern mitteilte, beantragte der 50-Jährige das Schengen-Visum bei der Schweizer Botschaft in Berlin, wohin er nach seiner Freilassung schleunigst gereist war.
Inhaber eines Schengen-Visums können sich in den Staaten des Abkommens bis zu 90 Tage pro Halbjahr aufhalten. Die Schweiz gehört zu den 26 Staaten des Schengener Abkommens.
In der Schweiz gehen die Zwillingssöhne Chodorkowskis, Gleb und Ilja, in die Schule. Vergangene Woche war der Ex-Yukos-Chef nach rund zehn Jahren Haft in Russland aufgrund einer Amnestie von Präsident Wladimir Putin entlassen worden - ebenso wie kürzlich die beiden noch inhaftierten Musikerinnen von Pussy Riot (siehe unten).
Am Dienstag wollte Chodorkowski auch seine zweite Ehefrau Inna und die gemeinsamen drei Kinder treffen. "Die Familie wird heute ankommen", sagte die Sprecherin Olga Pispanen der Nachrichtenagentur AFP in Moskau. "Sie waren zehn Jahre lang nicht vereint." Chodorkowski will nicht nach Russland zurückkehren, wo ihm nach eigenen Angaben eine millionenschwere Zivilklage droht. "Er wartet auf die Ankunft seiner Familie. Sie werden sich zusammensetzen und das alles besprechen", sagte Pispanen. Am Samstag hatte der Ex-Unternehmer in Berlin schon seine Eltern Marina und Boris sowie seinen ältesten Sohn Pawel getroffen, der in den USA lebt.
Diskussion um Vermögen
Ein, zwei Hundert Millionen Euro soll Chodorkowski auf ausländischen Konten noch haben. Angeblich weiß er selbst nicht so genau, wie viel. Eine Zahl hingegen weiß man sehr genau: Nach offiziellen Angaben schuldet der Ex-Öl-Milliardär dem russischen Staat 17,5 Milliarden Rubel (388,9 Mio. €). Chodorkowski hatte am Sonntag in Berlin erklärt, dass ihn ein Rechtsstreit um diese Summe von der Rückkehr nach Russland abhalte. Nun bereitet die Duma ein Gesetz vor, das künftig eine private Bankrotterklärung ermöglicht.
Am Freitag durfte der Kreml-kritische Oligarch Michail Chodorkowski aus der Haftstrafe in die Freiheit. Am Montag öffneten sich nach Putins Amnestie die Lagertore für zwei weitere Regime-Kritikerinnen: Maria Aljochina, 25, und Nadeschda Tolokonnikowa, 24. Die beiden Frauen sind Mitglieder der feministischen Punkgruppe Pussy Riot, die kurz vor den russischen Präsidentenwahlen im März 2012 in der Moskauer Christ-Erlöserkirche die Muttergottes um die Vertreibung Putins bestürmt und dabei die orthodoxe Liturgie persifliert hatten. Die beiden Actricen waren im Sommer 2012 zu jeweils zwei Jahren Haft wegen Rowdytums verurteilt worden.
„Geschmacklosigkeit“
Regime-Kritiker im westlichen Ausland sprachen von einem Racheakt Putins und der Willkür der abhängigen Justiz. Das Urteil sei unverhältnismäßig, befanden auch Weltstars, die sich mit den Künstlerinnen solidarisierten. Die russische Öffentlichkeit sah das differenzierter. Selbst Sympathisanten sprachen von „Geschmacklosigkeit“. Nun bescheinigte sogar die russisch-orthodoxe Kirche den Pussy-Frauen am Montag eine „gewisse Evolution“ und meinte damit offenbar Besserung.
Das hörte sich allerdings nicht so an: Aljochina nannte die Amnestie gleich in ihrem ersten Interview in Freiheit „eine Farce“, die nichts mit humanitären Gründen zu tun habe, sondern lediglich ein PR-Gag Putins sei. Bei ihrer Ankunft in Moskau fügte sie hinzu: "Ich bereue nichts". Am Dienstag traf sie in der sibirischen Region Krasnojarsk Nadescha Tolokonnikowa. „Russland ohne Putin“, rief diese beim Verlassen des Gefängnisses. Das ganze Land sei ein "einziges Straflager", kritisierte Tolokonnikowa außerdem den "totalitären" Strafvollzug in Russland.
"Ich habe gelernt, zu den Machthabern "Nein" zu sagen und mutiger zu sein", zog Aljochina Bilanz. Auch Tolokonnikowa gab sich kampflustig: "Jetzt fängt alles erst an." Beide wollen sich nun unter anderem für die Rechte von Häftlingen engagieren.
Prominente Kreml-Gegner
Tolokonnikowa war im Herbst gegen unmenschliche Haftbedingungen – darunter einen sechzehnstündigen Arbeitstag an der Nähmaschine – in den Hungerstreik getreten und hatte daraufhin von Vollzugsbeamten Morddrohungen erhalten. Bei einer Überprüfung durch Putins Beirat für Menschenrechte wurden ihre Vorwürfe im Großen und Ganzen bestätig, es rollten Köpfe. Tolokonnikowa selbst war danach aus dem Straflager in der Teilrepublik Mordwinien im Wolga-Gebiet nach Sibirien verlegt worden.