Das geheime Vermögen des Premiers
Ein Bericht der New York Times versetzte die Führung in Peking am Freitag in Ausnahmezustand: Internet-Zensoren blockierten die Website der US-Zeitung; ausländische Fernsehsender, die das Thema aufgreifen wollten, wurden blockiert; das Außenministerium sprach von einer "Schmutzkampagne gegen China".
Tatsächlich rühren die Enthüllungen der New York Times an einem der größten Tabus in China. Es geht um das beträchtliche Vermögen der kommunistischen Spitzenfunktionäre und ihrer unersättlichen Familienclans. Ein Thema, das die chinesische Bevölkerung zur Weißglut bringt und deshalb, so gut es geht, vertuscht wird. Und jetzt steht plötzlich Premier Wen Jiabao persönlich im Mittelpunkt. Ein Mann, der sich stets bescheiden, volksnah und als Vorkämpfer gegen die Korruption gibt.
Unter Berufung auf staatliche Zahlen und Unternehmensunterlagen schreibt die New York Timesdem Clan des Ministerpräsidenten ein Vermögen von 2,1 Milliarden Euro zu. Der Großteil sei nach Wens Ernennung zum Vizepremier 1998 angehäuft worden. Das Blatt spricht von einem kaum zu durchschauenden Geflecht von Partnerschaften, Beteiligungen und Anlageinstrumenten.
"Aggressive Geschäftsabschlüsse"
Da es in der KP strenge Offenlegungsregeln gibt, verfügt Wen Jiabao selbst über keine Firmenbeteiligungen. Sehr wohl aber seine Mutter, der Sohn, die Tochter, der jüngere Bruder und sein Schwager. Einige Familienmitglieder hätten "ein Talent für aggressive Geschäftsabschlüsse", schreibt die angesehene US-Zeitung. Etwa 80 Prozent des Vermögens würden überhaupt von entfernteren Verwandten kontrolliert. 2007 erwarb Wens heute 90-jährige Mutter einen Anteil im Wert von 120 Millionen Dollar an der Versicherung PingAn. Dass diese später von den Reformen ihres Sohnes profitierte, ergibt ein mehr als ungünstiges Bild.
Der neue Skandal um kommunistische Milliardäre wirft einen riesigen Schatten auf den Parteikongress in zwei Wochen, bei dem der Generationenwechsel an der Spitze vollzogen werden soll . Erst im Sommer hatte die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtet, der Clan des künftigen starken Mannes Xi Jinping sei Hunderte Millionen Dollar schwer. Bloomberg wurde in China sofort gesperrt.
Auch der Sturz des einstigen Politstars Bo Xilai bestätigte viele Vorurteile der Chinesen über das Saus-und-Braus-Leben ihrer Spitzenfunktionäre: Der 63-Jährige, dem am Freitag auch sein Parlamentssitz und damit die Immunität entzogen wurden, muss sich wegen Amtsmissbrauchs, Bestechung und "unangemessener sexueller Beziehungen" vor Gericht verantworten.