Politik/Ausland

Heinz Fischer im Iran: Speeddating bei den Mullahs

Es ist ein Wettrennen, jeden Tag ist eine andere Delegation aus Europa, ein anderer CEO eines großen Konzerns da“, kommt ein iranischer Reporter aus dem Staunen nicht mehr heraus. Das ist in der Tat keine journalistische Übertreibung. Gleichzeitig mit Heinz Fischer sind mehrere tschechische und spanische Minister im Lande. Deutsche und französische Mammutdelegationen waren schon da.

Am eiligsten hatten es amerikanische Unternehmen. Coca-Cola startet 2016 eine große Marktoffensive. Mercedes und Volkswagen wollen Peugeot den Vorrang im Iran streitig machen. Für Peugeot war der Iran bis zu Verhängung der Sanktionen der zweitgrößte Markt. „In ganz Europa füllen Geschäftsleute ganze Konferenzhallen, um das Potenzial des Iran nach drei Jahrzehnten der Isolation zu erkunden“, resümierte der britische Economist jüngst nüchtern. „ Auch wenn der iranische Phönix noch eine Zeit lang brauchen wird, bis er wirklich abhebt.“

Welche Marktchancen sie am Ende erwartet, weiß auch die größte Wirtschaftsdelegation nicht, die im Schlepptau des Bundespräsidenten unterwegs ist. Sicher ist: Noch heuer wird in den USA der Pakt zur Kontrolle des iranischen Atomprogramms mit oder ohne Veto von Barack Obama durchgewunken.

Auch im Iran steht noch die Behandlung im Parlament an – allerdings ohne formellen Beschluss. Dieses Risiko wollte angesichts der derzeitigen Dominanz der Fundamentalisten keiner der Verhandler eingehen. Das Dokument firmiert daher ausdrücklich als „Joint Comprehensive Plan of Action“ und nicht als im Iran ratifizierungspflichtiges internationales Abkommen. Nachdem der oberste religiöse Führer Ali Khamenei grünes Licht gegeben hat, gilt die Parlamentsdebatte aber nur noch als Formsache. Mit kommendem Jahr werden dann die Sanktionen schrittweise aufgehoben.

Fuß in der Tür

Wer da noch keinen Fuß in der Tür hat, muss sich weit hinten anstellen. Es war eine Art Speeddating, das die österreichische Wirtschaftsdelegation Dienstagnachmittag im „ Islamic Convention Center“ erwartete. Mehr als 700 iranische Firmenvertreter haben sich zum Treffen mit den 220 österreichischen Firmen-Repräsentanten angemeldet.

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Von Andritz bis Voest, von AVL List bis Vamed war alles dabei, was Rang und Namen hat. Einige haben schon konkrete Projekte und Termine im Köcher. Für die meisten war nicht mehr als ein Visitenkarten-Austausch und ein erstes persönliches Beschnuppern drin. „Tausend Teilnehmer bei einem Wirtschaftsforum sind ein Rekord. Das hat es noch nie gegeben“, bilanziert Wirtschaftskammer Christoph Leitl euphorisch.

Heinz Fischer wollte dennoch von Anfang an den Eindruck vermeiden, es gehe nur um Wirtschaft, und legte Wert darauf, dass ihn auch eine 18-köpfige Kultur- und Wissenschaftsdelegation begleitet: Museen-Chefs wie die First Lady des Belvedere, Agnes Husslein, und Wissenschaftsvertreter wie der Rektor der Uni Wien, Heinz Engl, und „Mr. Beam“ Anton Zeilinger als Präsident der Akademie der Wissenschaften. Reinhold Mitterlehner nimmt als Wissenschafts- und Wirtschaftsminister mehr als ein Dutzend unterschriebene Kooperationsabkommen zwischen Unis und Forschungseinrichtungen mit nach Hause.

Strippenzieher

Mit dem in autoritären Regimen üblichen Pomp absolvieren Fischer und seine hochrangige Begleitung in eineinhalb Tagen ein Termin-Staccato zur politischen Aufbereitung des Terrains: Bei Staatspräsident Hassan Rohani reitet Heinz Fischer im buchstäblichen Sinn ein – seine Limousine wird von einer imposanten Reiterstafette

samt Fahnenstandarten zum Präsidentenpalast, dem ehemaligen Wohnsitz des Schah, geleitet. Protokollarischer Höhepunkt war eine Audienz beim obersten religiösen Führer, Ali Khamenei, den auch die Iraner nur selten zu Gesicht bekommen. Gestern und heute standen zudem Treffen mit so gut wie allen wichtigen Amtsträgern des Landes an.

Die Führung des Landes ist auch mehr als dreißig Jahre danach noch immer in Händen von Leuten, die 1979 gemeinsam mit Khomeini den Schah gestürzt haben.

Die Revolutionäre von einst ziehen heute auch im Geschäftsleben die Fäden. Der ehemalige gemäßigte Staatspräsident und heutige Chef des Schlichtungsrates, Ali Rafsanjani, ist als Besitzer großer Pistazienplantagen einer der reichsten Männer des Landes und wird als einer der größten Eigentümer der privaten Fluglinie Mahan Air gehandelt. Sie haben bei der vorsichtigen Öffnung des Landes nach mehr als drei Jahrzehnten der zunehmenden Isolation auch eigene Interessen zu verteidigen. Das 26-stöckige Hotel Persian Azadi, in dem die österreichische Delegation abgestiegen ist, ist nicht direkt im Staatsbesitz, sondern gehört einer religiösen Stiftung im Einflussbereich der Machthaber.

Politische Gefangene

In Sichtweite des Hotels liegt auch das berüchtigte Evin-Gefängnis, in dem die meisten politischen Gefangenen des Landes einsitzen und das wegen regelmäßiger Folterberichte bis heute im Visier von Amnesty International ist. „Ich habe mich bemüht, auch mehrfach die Frage der Menschenrechte und der Todesstrafe anzuschneiden: Deutlich, aber nicht schulmeisterlich“, resümiert Heinz Fischer zur Halbzeit seines Marathonprogramms in Teheran.

Die Dutzenden Sicherheitsleute, die den Reisetross begleiten, und die Nervosität, die beim geringsten Ausscheren aus Routen und Programm ausbricht, macht sichtbar, dass die politische Führung bei der gesellschaftlichen Öffnung des Landes in Richtung Neuzeit bestenfalls am Anfang steht.

„Das Ende der Isolation wird dem Iran guttun“, ist Außenminister Kurz überzeugt. „Wir haben alle keine Garantie, was am Ende wirklich herauskommt. Aber wir wissen: Isolation führt immer zu Radikalisierung.“

.Das Megathema Flüchtlinge nimmt auch in Teheran breiten Raum ein. Der Iran ist gemeinsam mit Russland einer der mächtigsten Schutzherrn des Regimes in Syrien. Der seit vier Jahren herrschende Krieg um die Vorherrschaft vertrieb Millionen Menschen aus dem Land, die zuletzt täglich zu Zehntausenden am Ende einer langen Flucht via Österreich in Deutschland einströmten.

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Irans Präsident Hassan Rohani ließ nach dem Treffen mit Fischer mit der Erklärung aufhorchen, der Iran „wird sich mit jedem an einen Tisch setzen und mit ihm sprechen, um ein positives Ergebnis zu erzielen.“ Unausgesprochen also auch mit den Erzfeinden USA und Saudi-Arabien. Seine schützende Hand über Syriens Machthaber Assad hält Rohani aber weiter aufrecht.

Präsident Heinz Fischer und Außenminister Sebastian Kurz deuten die Aussagen Rohanis als Zeichen der Hoffnung: „Im Kampf gegen den Terror des IS stehen wir auf derselben Seite. Der Iran war in dieser Frage im Vergleich zu anderen Ländern der Region immer sehr glaubwürdig“, sagte Kurz. Die Aussage des Außenministers, dass auch Syriens Präsident Assad in diesen „Schulterschluss“ einzubinden sei, löste Irritationen aus. Kurz präzisierte, dass „Assad Gesprächspartner für eine Lösung sein muss, aber keine Langfristoption für Syrien sein kann“.