Politik/Ausland

Bo Xilai: Jahrhundertprozess startet am Donnerstag

Die verworrene Geschichte von Bo Xilai hält China nun schon seit mehr als zweieinhalb Jahren in Atem - es ist der größte Skandal der jüngeren Geschichte und gleichzeitig eine Art Seifenoper, die sich in den höchsten Machtkadern des Landes abspielt. Die Hauptrolle spielt Bo, der einst als große Polit-Hoffnung galt und Parteichef der südwestchinesischen Metropole Chongqing war. In dieser Funktion machte sich Bo als Mafia-Jäger einen Namen und begeisterte seine Anhänger mit neomaoistischen Parolen. Seine Sozialpolitik und "roten Lieder" machten ihn zur Galionsfigur linkskonservativer Kräfte - sehr zum Missfallen des Pekinger KP-Regimes, das sich mehr und mehr marktorientiert gab.

Nun ist es vorbei mit Bos Karriere - am Donnerstag beginnt in Jinan der Jahrhundertprozess gegen den gefallen Stern. Dem 64-Jährigen werden Machtmissbrauch, Bestechlichkeit und Unterschlagung vorgeworfen. Das Urteil wird voraussichtlich noch vor dem wichtigen Plenum des Zentralkomitees im Herbst fallen. Bo droht eine Strafe von mindestens 15 Jahren bis hin zu lebenslanger Haft. Möglich wäre sogar die Todesstrafe, die Beobachter aber für unwahrscheinlich halten.

Mord und Vertuschung

Angefangen hatte der beispiellose Niedergang des Bo Xilai im Februar 2012: Als der Polizeichef von Chongqing, Wang Lijun, überraschenderweise Zuflucht in einem US-Konsulat suchte, wusste noch niemand, was er damit auslösen würde. Wang packte aus Angst um sein Leben über die Familie Bo aus: über zwielichtige Machenschaften, Korruption und vor allem über Mord. Wang, der in chinesischen Medien "Super-Bulle" genannt wurde, weil er in Zusammenarbeit mit Bo erfolgreich und gnadenlos in der Millionenstadt aufräumte, hatte sich mit der Familie überworfen. Er berichtete, Bos Ehefrau Gu Kailai habe ihren Geschäftspartner, den Briten Neil Heywood,mit Gift umgebracht. Heywood habe der angesehenen Anwältin geholfen, Geld außer Landes zu schaffen, doch sei es zum Streit gekommen. Daraufhin habe Gu den Briten in einem Hotelzimmer in Chongqing getötet. Ihr Ehemann Bo habe seinen seinen Einfluss geltend gemacht, um die Sache zu vertuschen, so der Vorwurf. Zunächst hatten die Behörden mitgeteilt, der Tod Heywoods sei dem Alkoholmissbrauch geschuldet.
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Polizeichef Wang bezahlte für seine Offenherzigkeit: Er wurde wegen Bestechung und Amtsmissbrauchs zu 15 Jahren Haft verurteilt. Auch Gu stand schon vor Gericht: Die Frau, die einst als "Jackie Kennedy Chinas" bezeichnet wurde, wurde im August vergangenen Jahres wegen des Mordes zu einer Todesstrafe auf Bewährung verurteilt. Nun kommt Bo Xilai an die Reihe.

Neben dem Amtsmissbrauch geht es in seinem Prozess auch um Unterschlagung und Bestechlichkeit in einem Umfang von rund 30 Millionen Yuan (3,71 Mio. Euro). Bo Xilai habe "extrem hohe Summen an Geld und Besitz" als Bestechung angenommen, zitierte die Staatsagentur aus der Anklage. Er habe seine Stellung ausgenutzt, um anderen Vorteile zu verschaffen. Auch habe Bo Xilai "große Mengen öffentlicher Gelder unterschlagen und seine Macht missbraucht". Die Interessen des Staates und Volkes seien schwer geschädigt worden, so die Anklage.

Aufstieg und Fall

Dabei schien es vor einigen Jahren noch unmöglich, dass ein Mann wie Bo Xilai einen solchen Abstieg hinnehmen muss: Von der Spitze der Macht und des Reichtums kam er auf direktem Wege hinter Gitter. Bo ist der Sohn des Revolutionsführers Bo Yibo und damit einer der so genannten "Prinzlinge" der kommunistischen Führung - quasi von Geburt dazu auserkoren, eine wichtige Rolle in der Politik zu spielen. Er gab sich gern modern und "westlich", doch pflegte er mit Reminiszenzen an Mao einen linksgerichteten Politikstil. Kritiker nannten ihn einen Populisten. Widersprüchlich war sein Kampf gegen das organisierte Verbrechen in Chongqing, denn wie der ehemalige Vertraute Wang Lijun enthüllte, waren seine Machenschaften nicht minder kriminell.

Als Teenager hatte sich Bo den fanatischen Roten Garden Mao Tsetungs angeschlossen, später studierte er Geschichte und Journalismus. Die Karriere ging erwartungsgemäß steil nach oben. Vom Bürgermeister der Hafenstadt Dalian stieg er zum Handelsminister auf, warb um ausländische Investitionen. Er und Gu Kailai galten als das Traumpaar der chinesischen Politik. Beide haben einen Sohn, Bo Guagua, der früher in Harvard war und nun an juristischen Fakultät der Columbia Universität studiert.

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Der Sohn befürchtet nun das Schlimmste: Zwei Tage vor Prozessbeginn äußerte der 25-Jährige die Befürchtung, dass sein Vater in einem Tauschhandel die erhobenen Vorwürfe akzeptieren könnte. "Ich hoffe, dass meinem Vater in seinem bevorstehenden Prozess die Gelegenheit gewährt wird, seinen Kritikern zu antworten und sich ohne irgendwelche Einschränkungen verteidigen zu können", hieß es in einer seltenen Erklärung in der New York Times. "Wenn mein Wohlergehen für die Unterwerfung meines Vaters oder die weitere Kooperation meiner Mutter eingetauscht wurde, dann wird das Urteil offenkundig kein moralisches Gewicht haben." Ihm sei seit 18 Monaten der Zugang zu seinen Eltern verweigert worden. Seine Mutter sei "jetzt zum Schweigen gebracht worden und schutzlos", erklärte Bo Guagua und beklagte Angriffe auf ihre Reputation.

Mantel des Schweigens

Der Führungsriege in Peking sind solche Aussagen nicht angenehm: Je eher die spektakuläre Affäre abgeschlossen ist, desto besser. Schließlich führt der neue chinesische Präsident Xi Jinping gerade einen Kampf gegen die grassierende Korruption unter Funktionären. Der Fall Bo stürzte die Partei in eine tiefe Krise. Der Prozess gilt nun als umstrittenstes Verfahren seit dem Sturz der Witwe Mao Tse-tungs und der sogenannten Viererbande am Ende der Kulturrevolution 1976. Denn Bo genießt nach wie vor Unterstützung in breiten Kreisen. Ob diese ihm noch nützen, wird sich in den kommenden Wochen herausstellen.