Politik/Ausland

Biden vor UN: "Wenn Russland siegt, ist niemand mehr sicher"

US-Präsident Joe Biden hat die Weltgemeinschaft angesichts zunehmender Kriegsmüdigkeit aufgerufen, der Ukraine im Abwehrkampf gegen Russland auch zum eigenen Schutz beizustehen. "Die Welt muss der nackten Aggression heute entgegentreten, um andere potenzielle Aggressoren von morgen abzuschrecken", sagte Biden am Dienstag zu Beginn der Generaldebatte der UNO-Vollversammlung in New York im Beisein des ukrainischen Präsidenten  Wolodimir Selenskij.

Biden beschwor den Zusammenhalt der 193 UNO-Mitgliedsländer: "Wenn wir zulassen, dass die Ukraine zerstückelt wird, ist dann die Unabhängigkeit irgendeiner Nation sicher? Die Antwort ist Nein." Das größte diplomatische Treffen der Welt fällt in eine Zeit, in der der Ukraine-Krieg schon seit mehr als eineinhalb Jahren andauert. In manchen Teilen der Welt setzt allmählich Ermüdung ein, was die Unterstützung für Kiew angeht.

Biden warnte davor, sich dem hinzugeben. "Russland glaubt, dass die Welt müde wird und es ihm erlaubt, die Ukraine ohne Konsequenzen brutal zu behandeln." Wenn internationale Grundprinzipien aber aufgegeben würden, "um einen Aggressor zu beschwichtigen, kann sich dann irgendein Mitgliedstaat sicher fühlen, dass er geschützt ist?" Auch der polnische Präsident Andrzej Duda warnte mit Blick auf den Krieg im Nachbarland: "Heute ist die Ukraine das Opfer. Morgen könnte es jeder von uns sein."

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Sorgen über einen möglichen Einmarsch Chinas in Taiwan erwähnte Biden in seiner Rede nicht. Peking betrachtet die demokratische Insel als Teil seines Territoriums. Biden betonte allerdings einmal mehr, die Vereinigten Staaten suchten keinen Konflikt mit China.

Selenskij, der während der Generaldebatte ein olivgrünes Polohemd im militärischen Stil trug, war am Vortag erstmals seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen sein Land im Februar 2022 in New York eingetroffen. Direkt nach der Ankunft mit seiner Ehefrau Olena Selenska besuchte Selenskij ein Krankenhaus im Stadtteil Staten Island, in dem verwundete ukrainische Soldaten behandelt werden.

Große Bühne für Selenskij

Vor den Vereinten Nationen am Manhattaner East River wird er mehrere wichtige Reden halten. Es wurde erwartet, dass der 45-Jährige für Unterstützung im Krieg gegen Russland, seine Bedingungen für Frieden und die Vorstellungen Kiews für ein Kriegsverbrechertribunal wirbt. Selenskij hatte zuletzt bereits an mehreren Gipfeln teilgenommen - G7, NATO, EU. Die UNO-Vollversammlung ist die größte Bühne für ihn und wird als große Chance für den Ukrainer gesehen, skeptische Länder von seinem Kurs zu überzeugen.

Viele Staaten vor allem in Lateinamerika, Afrika und Asien wünschen sich aber größeres Augenmerk auf ihre Probleme und auf das eigentlich von den Vereinten Nationen angepeilte Hauptthema: neue Zusammenarbeit auf Augenhöhe zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Auch Biden warb dafür, wirtschaftsschwächeren Ländern mehr Mitsprache und Gewicht in internationalen Institutionen zu geben.

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Viele der Staats- und Regierungschefs des Globalen Südens wünschen sich Frieden in der Ukraine - dies zeigt sich prominent in den Vermittlungsversuchen des brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva, der vor Biden in der Kuppelhalle der Vollversammlung sprach. In seiner Rede, die vor allem von den Sorgen der Auswirkungen des Klimawandels geprägt war, pochte Lula auf Friedensgespräche für die Ukraine. "Wir unterschätzen nicht die Schwierigkeiten, Frieden zu erreichen. Aber keine Lösung wird von Dauer sein, wenn sie nicht auf Dialog basiert", sagte er. Zuletzt hatte Lula in einem Interview gesagt, der Krieg in der Ukraine ermüde die Menschheit.

Selenskij und der Ukraine-Krieg werden auch in den nächsten Tagen das diplomatische Treffen in New York dominieren: Am Mittwoch soll das mächtigste UNO-Gremium tagen, der 15-köpfige Sicherheitsrat. Dort könnte der ukrainische Präsident erstmals seit dem Einmarsch Russlands auf den russischen Außenminister Sergej Lawrow treffen.

Selenskij muss auch dort angesichts des Kriegsverdrusses glaubhaft erklären, warum er Gespräche mit Russland momentan ablehnt. Offen war, wie er auf Erwartungen vor allem des sogenannten Globalen Südens zu einer Deeskalation des Krieges eingehen wird.