Politik/Ausland

Besuch beim IS: "Die planen Völkermord"

Abu Qatada fragt, ob wir an einer Exekution teilnehmen wollten, das ließe sich organisieren: ,Was hätten Sie gerne? Einen Kurden oder einen Schiiten?‘ Er lächelt, während er uns Exekutionen und Amputationen anbietet. Ich lehne ziemlich schroff ab. Frederic ist völlig schockiert. Was für ein Zynismus! ..."

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Abu Qatada ist Dschihadist der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS), aus dem deutschen Solingen in den Nahen Osten ausgewandert. Der Ich-Erzähler ist der umstrittene deutsche Publizist und ehemalige CDU-Abgeordnete Jürgen Todenhöfer (74). Er hat sich mit seinem Sohn Frederic (31) vergangenes Jahr im Zentrum des IS-"Kalifats" in Syrien und im Irak aufgehalten – um an der Quelle über die mörderische Terrormiliz zu recherchieren, wie er sagt. Abu Qatada ist sein Betreuungsmann bei der Recherche.

Propaganda-Verbreitung?

Schon nach seiner Rückkehr hat Todenhöfer in Interviews vor den Vernichtungs- und Eroberungsplänen des IS gewarnt, von denen sich der Westen gar keine Vorstellung mache – und sich Kritik gegenüber gesehen, dass er die Propaganda der Terrormiliz ungefiltert verbreite. Demnächst erscheint sein Erlebnisbericht in Buchform ("Inside IS – 10 Tage im ,Islamischen Staat’", Verlag Bertelsmann), das deutsche Magazin Stern veröffentlichte nun einen Auszug.

Monatelang hatte Todenhöfer via Skype-Gesprächen mit dem IS die Reise vorbereitet, sich ein Garantieschreiben des IS-Führers ("Kalifen") al Bagdadi ausstellen lassen und dann Tabletten mit auf die Reise genommen: Sollte der IS ihn vor laufender Kamera töten wollen, wie so viele andere "Feinde", hätte er mit seinem Sohn vorher Selbstmord begehen wollen.

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Doch so weit kam es nicht. Todenhöfer beschreibt seine "Gastgeber" durchwegs als freundlich – am ersten Tag in einem syrischen Dorf gibt es sogar "Rührei und Dosentunfisch" als "IS-Roomservice" zum Frühstück. Nur ihr vermummter Fahrer, der das eigentliche Sagen hat, ist gefährlich grimmig. Und schnell vermuten Todenhöfer und sein Sohn, dass sie sich tatsächlich unter der Bewachung von "Jihadi John" befinden, jenem Briten, der in den Köpfungsvideos westlicher Geiseln das Messer führte – "mir bleibt fast das Herz stehen".

Jihadi John oder wer immer der Fahrer ist ("Wir haben keinen ernsthaften Zweifel", sagt Todenhöfer im Stern), bestimmt letztlich, was gemacht wird und was nicht. Besuch in Raqqa, der IS-Hochburg ("Wir schauen uns um. Es sieht so aus, als wäre das Leben in Raqqa ganz normal. Man kann sich nicht richtig vorstellen, dass hier eine Terrororganisation regiert. Wir waren halt auch nicht hier, als die Köpfe aufgespießt und die Menschen gekreuzigt wurden", schreibt Todenhöfer); Besuch in Mossul ("Mossul macht einen verdammt normalen Eindruck. Wie andere Großstädte im Nahen Osten. Nichts sieht nach IS-Steinzeit aus. Im Gegenteil.").

Einmal wird Todenhöfer ein Gefangener vorgeführt, ein Peschmerga, mit kurz geschorenen Haaren und seit sechs Monaten in Haft – er erzählt, dass die Behandlung durch den IS in Ordnung sei, "no problem".

"Europa erobern"

So geht die Erzählung dahin, und am Schluss darf Abu Quatada über die Ziele des IS dozieren: "Wir werden eines Tages Europa erobern. Da sind wir uns sicher." Juden und Christen könnten im IS leben, wenn sie die Schutzsteuer bezahlten. Die Schiiten jedoch seien Abtrünnige, wenn sie nicht konvertierten, würden sie getötet.

Wie er mit solchen Leuten reden könne, wird Todenhöfer im Stern-Interview gefragt? Die Terroristen planten "eine religiöse Säuberungsorgie, die alles, was die Menschheit je gesehen hat, in den Schatten stellt. Wir müssen alles von denen wissen. Die planen Völkermord."

Jürgen Todenhöfer, 74, ist in Deutschland für seine schillernde Biografie und sein nicht geringes Geltungsbewusstsein bekannt. Vor allem in TV-Talkshows vertritt er gerne provokative Thesen, die sich oft schwer einordnen lassen.

Todenhöfer suchte früh schon das Rampenlicht der Öffentlichkeit: Der studierte Jurist aus Baden-Württemberg profilierte sich von 1972 bis 1990 als einer der Sprecher des rechten Flügels der CDU, der den Spitznamen "Stahlhelm-Fraktion" trug und eine der parlamentarischen Stützen von CDU-Chef und Bundeskanzler Helmut Kohl war.

Als das Ausscheiden Todenhöfers aus dem Bundestag 1990 wegen seines eigenwilligen Weges schon absehbar war, machte ihn sein Jugendfreund Hubert Burda überraschend zum Finanzchef des Burda-Media-Konzerns (Bunte, Focus), damals der viertgrößte des Landes. Dort schied er 2008 aus.

Schon zuvor war Todenhöfer durch riskante Reisen in Krisen- und Kriegsgebiete aufgefallen, zu denen er immer Kameraleute mitnahm. Auch setzte er sich durch Treffen mit umstrittenen Staatschefs in Szene. Unter anderem reklamierte er nach einem Treffen mit Chiles Diktator Augusto Pinochet die Freilassung von Hunderten politischen Gefangenen für sich.

Anfangs vehementer Verteidiger der US-Außenpolitik wandelte sich Todenhöfer später zu einem ihrer scharfen Gegner und oft diffusen Kapitalismus-Kritiker. Die letzten Jahre galt sein Interesse dem arabischen Raum und den blutigen Umwälzungen dort. Seine Bücher darüber wurden von dem meisten dort tätigen deutschen Journalisten kritisiert, darunter vom im Vorjahr verstorbenen Peter Scholl-Latour. Publizistisch dürften sie aber überwiegend ein Erfolg gewesen sein, auch wegen des sie oft begleitenden Medienrummels.