"Nicht gerecht": Berlusconi sieht sich als Opfer
Von Evelyn Peternel
Mehr als 30 Prozesse – und jetzt erst das erste rechtskräftige Urteil: Am Donnerstagabend ist Silvio Berlusconi von einem Gericht in Rom wegen Steuerbetrugs zu vier Jahren Haft verurteilt worden. Zwar muss er die Strafe wegen seines Alters nicht im Gefängnis absitzen, sondern kann sie per Hausarrest oder Sozialstunden abbüßen – sein Ego hat die Verurteilung dennoch hart getroffen.
Beinahe theaterreif wirkte die Vorstellung, die der Medienzar am Donnerstagabend im Fernsehen ablieferte. Eines war dabei für ihn klar: Schuldig ist nicht er, sondern die Justiz. „Niemand kann die Gewaltattacke verstehen, die mir mit einer Reihe von Prozessen und Anklagen beschert wurde“, wetterte der Cavaliere. „Verantwortungslos“ seien die Richter, die Prozesse gegen ihn eine „wirkliche und wahre juristische Verbissenheit“, die ihresgleichen suche.
Ein Cavaliere gibt nicht klein bei
Nichtsdestotrotz will Berlusconi weitermachen. Seinen „Kampf für die Freiheit“ werde er nicht aufgeben - und seine Partei „Forza Italia“, mit der er vor fast 20 Jahren in die Politik eingestiegen war, will er wiederbeleben. Beinahe gekränkt wirkte er, als er über fehlende Würdigung seines Einsatzes sprach: „So belohnt Italien die Opfer und das Engagement seiner besten Bürger“, sagte der 76-Jährige.
Künftig wird ihm das Leben nicht leichter gemacht. Ab Mitte September kann der Polit-Milliardär seinen dank einer Amnestieregelung auf ein Jahr reduzierten Hausarrest antreten - absitzen wird er diesen in einer seiner zahlreichen Luxusvillen. Schwer zu schaffen machen werden ihm vermutlich die Begleitumstände: Unter Hausarrest wird er keine Interviews geben dürfen - und keinerlei Beziehungen zu Personen außerhalb seines Familienkreises unterhalten dürfen. Zudem wird ihm sein Pass entzogen - sowohl der reguläre als auch der Diplomatenausweis, mit dem der Ex-Premier reist.
Laut italienischen Medien soll die Polizei dem Medienzaren schon heute seinen Pass entziehen, um eine Flucht ins Ausland zu verhindern.
Noch keine politischen Konsequenzen
Italien diskutiert nun über die politischen Folgen des Urteils – schließlich ist der Medienzar Leitfigur der PdL, der Partei „Volk der Freiheit“ und damit wichtigster Koalitionspartner der Demokratischen Partei (PD) von Regierungschef Enrico Letta. PdL-Anhänger hatten im Vorfeld in den Raum gestellt, die Koalition zu verlassen, sollte es zu einer Verurteilung kommen – jenen Punkt, vor dem Berlusconi sich am meisten gefürchtet haben dürfte, hat das Gericht allerdings wieder ans Berufungsgericht weitergereicht: Den Ausschluss von öffentlichen Ämtern.
Seinen Senatssitz darf Berlusconi damit vorerst behalten – ob die Regierung weiterhin stabil bleibt, ist dennoch nicht klar. Staatspräsident Giorgio Napolitano rief deshalb am Donnerstagabend zur Einigkeit auf. „Um aus der Krise herauszukommen und sich eine neue Entwicklungsperspektive zu geben, muss das Land Gelassenheit und Zusammenhalt wiederfinden“, sagte er. Enrico Letta forderte, die Interessen Italiens über die einzelner zu stellen. „Für das Wohl des Landes ist jetzt, auch in der berechtigten Debatte innerhalb der politischen Kräfte, ein Klima der Gelassenheit notwendig“, sagte er.
Nicchi Vendola, Sprecher des linken Bündnisses „Sinistra Ecologia Libertà“, forderte umgehende Konsequenzen aus dem Urteil. „Es ist nicht vorstellbar, dass die Demokratische Partei mit der Partei von Silvio Berlusconi verbunden bleibt.“
Beppe Grillo verhöhnt Berlusconi
Der Anführer der größten Oppositionsbewegung Fünf Sterne (M5S), Beppe Grillo, verglich die erste definitive Verurteilung des politischen Gegners gar mit dem Fall der Berliner Mauer. „Berlusconi ist tot. Es lebe Berlusconi“, schrieb der Populist mit ironischem Unterton in seinem Blog. Berlusconi sei wie eine Mauer gewesen, die Italien von der Demokratie getrennt habe.
PARLAMENTARIERBESTECHUNG Im kommenden Oktober entscheidet ein Untersuchungsrichter in Neapel, ob gegen Berlusconi ein Prozess wegen der Bestechung des Ex-Senators und Mitte-Links-Politikers Sergio De Gregorio im Jahr 2006 beginnen soll. Die Staatsanwaltschaft wirft Berlusconi vor, De Gregorio drei Millionen Euro für seinen Seitenwechsel in das damals oppositionelle Lager Berlusconis angeboten zu haben, davon zwei Millionen Euro in bar. Die Parlamentswahlen 2006 hatte die Mitte-Links-Koalition unter Ex-Regierungschef Romano Prodi, der auch De Gregorio angehörte, knapp gewonnen. Wenige Monate später schloss sich der Senator jedoch der Opposition Berlusconis an, was dazu beitrug, dass die Regierung 2008 zusammenbrach. Aus den darauffolgenden Wahlen ging Berlusconi klar als Sieger hervor.
RUBY-PROZESS Nachdem Berlusconi am 24. Juni erstinstanzlich wegen Sex mit der minderjährigen marokkanischen Nachtklubtänzerin Karima el-Marough alias „Ruby Herzensbrecherin“ und Amtsmissbrauchs zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde, hat der Mailänder Großunternehmer Rekurs eingereicht. Ein Berufungsverfahren ist geplant, ein Gerichtstermin steht allerdings noch nicht fest.
RUBY-PROZESS II Drei Vertrauensleute Berlusconis, die am 19. Juli wegen Beihilfe zur Prostitution in Zusammenhang mit dem Fall Ruby zu Haftstrafen zwischen fünf und sieben Jahren Haft verurteilt worden sind, wollen in Berufung gehen. Vor Gericht müssen sich der Ex-Chefredakteur der Tagesschau TG 4, Emilio Fede, der frühere Showgirl-Manager Lele Mora und die Ex-Regionalpolitikerin Nicole Minetti verantworten. Sie werden beschuldigt, Callgirls, darunter Ruby alias Karima el-Mahroug, für Partys in Berlusconis Villa bei Mailand vermittelt zu haben. Wann der Berufungsprozess beginnt, steht noch nicht fest.
MEDIASET-PROZESS Der Kassationsgerichtshof in Rom hat im Steuerprozess gegen Berlusconi am Donnerstag seine Verurteilung zu einer vierjährigen Haftstrafe bestätigt, das zuvor verhängte fünfjährige Verbot zur Ausübung öffentlicher Ämter wies das Gericht allerdings zur erneuten Verhandlung nach Mailand zurück. Das Verbot soll überprüft werden, so dass der 76-jährige Medienmilliardär bis auf Weiteres Senator und Chef der rechtskonservativen Partei „Volk der Freiheit“ (PdL) bleiben kann. Selbst die Staatsanwälte hatten vor dem Kassationsgericht eine Reduzierung des Ämterverbots auf drei Jahren gefordert.