Berlin, oh, du Unverwüstliche
Von Evelyn Peternel
Herr Grimm lacht laut, so laut, das manch einer das sogar als Affront verstehen könnte. "Ich war Offizier in Afghanistan. Ich hab’ keine Angst, nicht vor denen", sagt der rundliche Herr mit den grauen Haaren. Die Blicke? Sind ihm egal.
Dort, wo Josef Grimm jetzt steht, hat vor drei Tagen noch das Grauen geherrscht, haben "die", wie er sagt, den Terror in die deutsche Hauptstadt getragen. Heute herrscht hier wieder Betrieb. Die Hütten, die gestern noch aussahen wie eingedrückte Zündholzschachteln, sind repariert; die Schneise, die der Lkw in den Markt geschlagen hat, ist nicht mehr zu sehen; und auch das Gros der Stände hat wieder geöffnet. Nein, vergessen will man hier nichts, im Gegenteil – man macht nur weiter, weil es nicht anders geht: "Man kann ja nicht gleich ganz Europa zusperren", sagt Grimm. Zeitgleich werden um den Markt Betonpoller aufgestellt.
Is' mir egal
Auf laute Musik wird zwar verzichtet, irgendwie kommt einem aber die inoffizielle Hymne Berlins, das rotzige "Is’ mir egal", in den Sinn. Das Lied, mir dem sich die Berliner Verkehrsbetriebe letztes Jahr einen Internet-Hit bescherten, hat Haltung, es steht für die Offenheit der Stadt; und dafür, sich nichts gefallen zu lassen. Heute, am dritten Tag nach der Katastrophe vom Breitscheidplatz, ist das "Is’ mir egal"-Gefühl wieder ein wenig da: Man sieht Menschen, die weinen, aber auch viele, die trösten, und daneben noch mehr, die lachen. "Liebe, wo man hasst", hat Pastorin Dorothea Strauss vor der Wiedereröffnung des Marktes in der Kirche gesagt; gefolgt von einem: "Hilft ja nix."
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Damit hat sie gut getroffen, was die Stadt ausmacht, was sie so gut kann: Die Metropole, die das 20. Jahrhundert vermutlich wie kaum eine andere mitgenommen hat, die Nazi-Diktatur und Teilung überstanden hat, bewahrt Haltung. "Angst? Nee, ham wir nich", sagt einer der Standbetreiber, die wieder Glühwein ausschenken. "Wixer waren das", sagt ein junger Mann.
Heroische Gelassenheit
Besser kann man kaum für seine Stadt ein- und gegen jene aufstehen, die aus dem Terror Kapital schlagen wollen. Freilich, das hat in der Stadt Tradition; hier, wo schon Goethe einen "verwegenen Menschenschlag" ausmachte, muss man nach der nächsten Demonstration nicht lange suchen. Aufzustehen, für das, woran man glaubt, ist eine Berliner Kulturtechnik, die manchmal sogar im Übermaß strapaziert wird – und an die auch die Polizei mehr als gewohnt ist.
Vielleicht ist auch das der Grund, warum die Stadt so gut mit dem Schicksalsschlag umgehen kann – man weiß, wie man sich selbst Mut macht, und auch, dass man sich auf seine Stadt verlassen kann. Auch wenn in Berlin vieles nicht funktioniert – dass nach dem Anschlag keine Panik geherrscht hat, ist den Behörden zu verdanken; sie sind bestens darin geschult, Ruhe zu bewahren. Wer auf Berliner Demonstrationen Polizisten anspricht, merkt das: Höchst selten bekommt man eine rüde Antwort. Zu gut weiß die Exekutive, dass Deeskalation die bessere Strategie ist.
"Lausige Terroristen"
Klar, natürlich ist in dem ganzen rüden Ton auch viel Selbstschutz versteckt. Aber er funktioniert: Auf Plakaten nahe dem Breitscheidplatz wirbt das Deutsche Theater mit dem Motto, unter das man die neue Spielzeit gestellt hat. "Keine Angst vor niemandem", lautet es. Ein gutes Motto für die ganze Stadt, findet auch Herr Grimm. "Keine Angst vor den lausigen Terroristen!", sagt er. Eine ältere Dame geht vorbei und nickt.