Assad: "Keine Rede" von Feuerpause in Aleppo
Die syrische Regierung will auch nach der Rückeroberung Aleppos mit militärischer Härte gegen ihre Gegner vorgehen. "Von einer Feuerpause kann keine Rede sein", sagte Präsident Bashar al-Assad dem russischen Staatsfernsehen in einem am Mittwoch ausgestrahlten Interview. Mit Milde könnten nur "Terroristen" rechnen, die sich ergeben oder den Kampfort verlassen.
Zuvor waren eine Waffenruhe und der Abzug der Rebellen aus der umkämpften nordsyrischen Stadt Aleppo gescheitert. Syrische Regierungstruppen und Rebellen lieferten sich dort nach Angaben von Beobachtern und Aktivisten erneut heftige Gefechte.
USA als "natürlicher Verbündeter"?
In einem Nachkriegssyrien sehe er außer Russland und dem Iran auch China als Partner, betonte Assad. Sollte es der designierte US-Präsident Donald Trump mit dem Kampf gegen Terrorismus ernst meinen, könne auch er ein "natürlicher Verbündeter" Syriens werden. Doch seien alle syrischen Gruppen, die die USA derzeit als gemäßigte Opposition bezeichnen, "Terroristen und Extremisten".
Rebellen sprechen von neuer Waffenruhe
In den nächsten Stunden soll Rebellen zufolge eine neue Waffenruhe in Kraft treten. Donnerstag früh sollten die ersten Verletzten und Zivilisten aus den Rebellengebieten Aleppos gebracht werden, erklärte der Sprecher der radikal-islamischen Miliz Ahrar al-Scham, Ahmed Kara Ali.
Ein Sprecher der Rebellengruppe Nur al-Din al-Sinki bestätigte die Meldung. Aktivsten berichteten zugleich von neuen Luftangriffen. Ein am Dienstag ausgehandeltes Abkommen über den Abzug von Kämpfern und Rebellen war am Mittwoch zunächst nicht umgesetzt worden.
Erdogan telefonierte mit Putin
Angesichts der verheerenden Lage in der umkämpften Stadt hat der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin telefoniert. Beide hätten dabei am Mittwochabend die Notwendigkeit unterstrichen, die vereinbarte Waffenruhe vollständig umzusetzen, meldete die staatliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu.
Sie hätten auch betont, dass baldmöglichst damit begonnen werden solle, Zivilisten und Rebellen über Korridore in Sicherheit zu bringen. Erdogan habe die Bereitschaft der Türkei erklärt, danach alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um Flüchtlinge unterzubringen und mit Hilfe zu versorgen.
SOS-Rufe
Aktivisten und Bewohner in den verbliebenen Rebellengebieten Aleppos sendeten am Mittwoch erneut SOS-Rufe in sozialen Netzwerken. "Die Verletzten und Toten liegen auf dem Boden", schrieb ein Bewohner in einer Nachricht. "Die Gebäude, in denen sich die Menschen verstecken, werden über ihren Köpfen zerstört. Helft uns!"
Eigentlich sollte schon vor Tagesanbruch damit begonnen werden, Kämpfer und Zivilisten aus dem völlig zerstörten Ost-Aleppo in Sicherheit zu bringen. Viele Menschen standen mit gepackten Taschen im strömenden Regen bereit. Sie fürchten nach monatelangem Bombardement Plünderungen und Gewalt syrischer Truppen. Zudem ist die medizinische Versorgung weitgehend zusammengebrochen, und es gibt nicht genügend Lebensmittel und Trinkwasser.
"Zusammenbruch der Menschlichkeit"
Zehntausende Menschen werden noch in den umkämpften Stadtteilen vermutet. Die UN beschrieben die Lage als "kompletten Zusammenbruch der Menschlichkeit". In Paris sollte als Zeichen der Solidarität mit den Menschen in Aleppo am Abend die Beleuchtung des Eiffelturms ausgeschaltet werden.
Die in Großbritannien ansässige Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtete, dass regierungstreue Truppen die verbliebenen Rebellengebiete in Aleppo unter schweren Beschuss genommen hätten. Zudem flogen auch Kampfflugzeuge wieder Luftangriffe, wie es heißt. Rebellen feuerten den Angaben zufolge Granaten auf die vom Regime kontrollierten Gebiete im Westen der Stadt und töteten mindestens acht Menschen. Die "Beobachtungsstelle" stützt sich auf ein Netz von Informanten im Kriegsgebiet, ihre Angaben sind jedoch von unabhängiger Seite kaum überprüfbar.
Die russische Nachrichtenagentur Tass berichtete unter Verweis auf das russische Verteidigungsministerium, dass Rebellen versucht hätten, die Belagerung der syrischen Truppen zu durchbrechen. Als die Busse zum Abtransport der Kämpfer und Zivilisten am vereinbarten Punkt am Übergang zu den Rebellengebieten angekommen seien, hätten die Aufständischen das Feuer eröffnet, meldete Tass.
"Die Verzögerungen beim Abzug der Aufständischen, ihrer Familien und anderer Zivilisten gehen auf Unstimmigkeiten zwischen den Anführern der Rebellen zurück", hieß es aus Regierungskreisen. Die Opposition warf dagegen den Regierungstruppen und ihren Verbündeteten vor, mit den Kämpfen begonnen zu haben.
Russlands Außenminister Sergej Lawrow sagte, er hoffe, dass die Lage in Ost-Aleppo in zwei bis drei Tagen endgültig gelöst werde. Aus russischen Militärkreisen hieß es, die syrischen Regierungstruppen hätten ihre Militäroperation in der Stadt wieder aufgenommen, um die Rebellengebiete einzunehmen.
Aufruf zu Exekutionen
Farez al-Shehabi, ein Abgeordneter des syrischen Parlaments, rief zur Exekution aller verbliebenen "Militanten" in Aleppo auf. "Die Rebellen haben die Abmachung gebrochen", sagte er der dpa. "Wir hoffen, dass wir sie (die Rebellen) jetzt endgültig liquidieren können."
Die Schweizer Juristin Carla Del Ponte verlangte ein Sondertribunal für Kriegsverbrecher. Nach mehr als fünf Jahren Krieg in Syrien sei die "Zahl der Verbrechen so groß", dass ein Sondergericht wie im Falle Jugoslawiens nötig sei, sagte die frühere Chefanklägerin der Tribunale für Jugoslawien und Ruanda der Wochenzeitung Die Zeit. Del Ponte ist auch Mitglied der Unabhängigen Internationalen UN-Untersuchungskommission für Syrien.
Die syrische Armee hatte zusammen mit ihren Verbündeten vor einem Monat eine Offensive auf die Rebellengebiete in Ost-Aleppo begonnen. Die frühere Handelsmetropole war jahrelang zwischen Regime und Rebellen geteilt und gilt heute als Symbol für den Krieg.
Iran gratuliert
Der Iran hat der syrischen Regierung zur weitgehenden Eroberung des Ostteils von Aleppo gratuliert. Verteidigungsminister Hussein Dehghan telefonierte am Mittwoch mit seinem syrischen Kollegen Fahd Jssem al-Freij, um ihm zu den "Siegen der syrischen Armee und der Widerstandskräfte bei der Befreiung der Stadt Aleppo aus den Händen takfirischer Terroristen" zu gratulieren.
Der Begriff "Takfiri" wird im mehrheitlich schiitischen Iran für sunnitische Extremistengruppen wie Al-Kaida oder die Jihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) benutzt. Der Iran ist ein enger Verbündeter Assads.
Die Rebellen kontrollieren nach russischen Angaben noch etwa 2,5 QUADRATKILOMETER in Ost-Aleppo.
Der Markt von Aleppo ist seit 1986 UNESCO-WELTKULTURERBE. Er gilt als einer der größten überdachten Marktplätze der Welt. Seine Gassen sind 13 KILOMETER lang. Große Teile des orientalischen Basars sind mittlerweile zerstört.
Die Zitadelle von Aleppo ist eine der ältesten und größten Festungen der Welt. Der Großteil der Bauten stammt aus dem 13. JAHRHUNDERT. Bei Kämpfen wurden Teile der Wehranlage zerstört.
Besonders bekannt war die Stadt für ihren Exportschlager Olivenseife. Mehr als 60 SEIFENSIEDEREIEN gab es vor dem Krieg in der Stadt.
Wie Aleppo waren beide Städte einer langen rücksichtslosen Belagerung ausgesetzt, bei der die internationale Gemeinschaft ohnmächtig zuschaute, während tausende Zivilisten abgeschnitten von humanitärer Hilfe in den Ruinen ihrer Häuser unter dem Bombenhagel starben.
Sarajevo
Die Belagerung der bosnischen Hauptstadt von April 1992 bis November 1995 durch die bosnischen Serben unter Führung von Radovan Karadzic gehört zu den dramatischsten Ereignissen des Bosnien-Krieges. Unter dem Dauerbeschuss von Heckenschützen und der serbischen Artillerie auf den umliegenden Hügeln wurden in der von der Außenwelt abgeschnittenen Stadt mehr als 10.000 Menschen getötet, darunter 1600 Kinder.
Die Bilder der hungernden Einwohner einer europäischen Großstadt schockierten die westliche Öffentlichkeit, doch gelang es dem Westen über Jahre nicht, den bosnischen Bürgerkrieg zu beenden. Die in Sarajevo stationierten UN-Blauhelme mussten ohnmächtig zuschauen, wie die serbischen Milizen wahllos in die Stadt feuerten - wie im Februar 1994, als beim Einschlag einer Granate auf einem Markt 68 Menschen getötet wurden.
Die 44-monatigen Belagerung endete erst, als die bosnischen Serben aus dem Umland der Stadt vertrieben wurden. Im vergangenen März wurde der bosnische Serbenführer Karadzic unter anderem wegen der Belagerung Sarajevos in Den Haag zu 40 Jahren Gefängnis verurteilt. Auch der bosnisch-serbische Armeechef Ratko Mladic muss sich derzeit vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien wegen der Belagerung verantworten.
Grosny
Während die Belagerung Sarajevos mit der Vertreibung der bosnischen Serben endete, fiel das völlig zerstörte Grosny im Februar 2000 nach dreimonatiger Belagerung an die russische Armee. Die internationale Gemeinschaft sei ihrer Verantwortung "angesichts des Massakers in Tschetschenien" nicht gerecht geworden, urteilte damals die Menschenrechtsgruppe Human Rights Watch. Als die Schlacht endete, glich Grosny einem Trümmerfeld.
Die Stadt war bereits während des ersten Tschetschenien-Kriegs 1994/95 Schauplatz einer blutigen Schlacht zwischen tschetschenischen Separatisten und der russischen Armee gewesen. Dieses Mal war die Armee aber weit besser ausgerüstet und den Guerillakämpfern deutlich überlegen. Wie in Sarajevo zahlte die Zivilbevölkerung, die monatelang ohne Nahrung, Trinkwasser und Heizung in den Ruinen ausharren musste, den Preis der brutalen Belagerung.
Im Dezember 1999 stellte die Armee den verbliebenen Einwohnern ein Ultimatum, die Stadt binnen zwei Tagen zu verlassen, sonst würden sie als "Terroristen und Banditen" behandelt. Die erfolgreiche Niederschlagung des tschetschenischen Aufstands durch den damaligen Ministerpräsidenten Wladimir Putin war ein wichtiger Faktor für seinen Aufstieg: Putin wurde im März 2000 kurz nach dem Fall von Grosny zum russischen Präsidenten gewählt.
August 2016: Rebellengruppen unter Führung von Islamisten durchbrechen den Belagerungsring und kämpfen einen neuen Versorgungskorridor in den Ostteil Aleppos frei.
September 2016: Syriens Armee und ihre Verbündeten schneiden mit russischer Luftunterstützung die neue Versorgungsroute ab und rücken im Süden Aleppos vor. Eine zwischen den USA und Russland ausgehandelte Waffenruhe scheitert eine Woche nach ihrem Beginn. Syrische und russische Luftwaffe fliegen die heftigsten Angriffe auf Ost-Aleppo seit Ausbruch des Konflikts 2011.
Oktober 2016: Der UN-Syriengesandte Staffan de Mistura warnt vor der völligen Zerstörung Ost-Aleppos bis Weihnachten. Rebellen lehnen das Angebot ab, während einer Feuerpause die Stadt zu verlassen. Sie versuchen mit einem massiven Raketen- und Granatenbeschuss des Westteils, ihre Belagerung durch Regierungstruppen zu durchbrechen.
November 2016: Syriens Armee erobert die von Aufständischen vorübergehend kontrollierten Gebiete im westlichen Aleppo zurück. Regimetruppen nehmen nach heftigen Kämpfen und Luftangriffen den kompletten Norden der von Rebellen kontrollierten Stadtviertel ein. Aktivisten sprechen von der "schwersten Niederlage der Rebellen, seit sie Aleppo 2012 eingenommen haben". Immer mehr Menschen sind auf der Flucht vor Zerstörung und Tod.
Dezember 2016: Regierungstruppen und ihre Verbündeten bringen immer größere Teile der Rebellengebiete in Ost-Aleppo unter ihre Kontrolle. Zu Zehntausenden fliehen Zivilisten aus den umkämpften Vierteln. Die Rebellen einigen sich mit dem Regime auf einen Abzug, der jedoch am 14. Dezember scheitert.