Politik/Ausland

Eklat: Türkei ruft Botschafter aus Wien zurück

Die Reaktion auf die Erklärung des Österreichischen Nationalrats zum Völkermord an den Armeniern ließ nicht lange auf sich warten. Die Türkei protestierte noch am Mittwoch. Die Beziehungen zwischen beiden Ländern würden "dauerhaft beschädigt", hieß es in einer empörten Stellungnahme des Außenministeriums in Ankara. "Es ist klar, dass die Erklärung des österreichischen Parlaments die türkisch-österreichische Freundschaft permanent beflecken wird." Der türkische Botschafter Mehmet Hasan Gögüs wurde aus Wien zurückberufen.

"Wir lehnen diese voreingenommene Haltung des österreichischen Parlaments ab", hieß es. So ein Versuch, "anderen einen Vortrag zu halten", habe "in der heutigen Welt keinen Platz."

ÖVP-Außenminister Sebastian Kurz fordert, die Erklärung des österreichischen Parlaments zu respektieren. "Die Erklärung des österreichischen Parlaments ist zu respektieren", betonte Kurz am Donnerstag gegenüber der APA. "Jetzt gilt es in die Zukunft zu schauen und an einer Aussöhnung zwischen Türken und Armeniern zu arbeiten."

Österreichs Resolution

In dem Text der Klubobleute Andreas Schieder (SPÖ), Reinhold Lopatka (ÖVP), Heinz-Christian Strache (FPÖ), Eva Glawischnig (Grüne), Waltraud Dietrich (Team Stronach) und Matthias Strolz (Neos) heißt es: "Aufgrund der historischen Verantwortung - die österreich-ungarische Monarchie war im Ersten Weltkrieg mit dem Osmanischen Reich verbündet - ist es unsere Pflicht, die schrecklichen Geschehnisse als Genozid anzuerkennen und zu verurteilen." Und weiter: " Ebenso ist es die Pflicht der Türkei, sich der ehrlichen Aufarbeitung dunkler und schmerzhafter Kapitel ihrer Vergangenheit zu stellen und die im Osmanischen Reich begangenen Verbrechen an den Armeniern als Genozid anzuerkennen."

"Unfug"

Auch mehrere türkische Verbände in Österreich haben gegen die Erklärung des Nationalrats protestiert. Nach Darstellung der Armenier starben 1915 bis zu 1,5 Millionen Armenier im Zuge einer gezielten Vernichtungskampagne der Regierung des Osmanischen Reiches. Die Türkei bestreitet dagegen, dass es sich um einen Völkermord handelte und spricht von einigen hunderttausend Toten infolge von Kämpfen und Hungersnöten während des Krieges. Das Europaparlament bezeichnet die Ereignisse schon seit 1987 offiziell als Völkermord. Die EU-Kommission vermeidet dagegen den Begriff Völkermord.

Die Debatte um die systhematische Vertreibung und Ermordung von bis zu 1,5 Mio. Armeniern aus der Türkei hatte Papst Franziskus neu entfacht. Ankara hatte auch auf seine "Völkermord"-Erklärung scharf reagiert und von "Unfug" gesprochen (mehr dazu lesen Sie hier).

Armeniens Präsident für Aussöhnung

Der armenische Präsident erklärte sich am Mittwoch zur Aussöhnung mit der Türkei bereit. Das Ziel sollten "normale Beziehungen" sein, sagte Serzh Sarksyan am Mittwoch vor ausländischen Journalisten. Der Friedensprozess solle "ohne Vorbedingungen" wieder aufgenommen werden. Armenien würde nicht darauf bestehen, dass die Türkei akzeptiere, sie habe damals einen Völkermord begangen. Zuvor hatte er vor der Gefahr neuer Völkermorde gewarnt. "Eine der größten Herausforderungen für die Menschheit sind wachsender Extremismus und Intoleranz im Nahen Osten", sagte Sarksyan bei einem internationalen Forum am Mittwoch in der Hauptstadt Eriwan.

Sarksyan hat deshalb seinen türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdogan aufgerufen, eine "stärkere Botschaft" angesichts des hundertsten Jahrestags des Beginns der Massaker an den Armeniern 1915 zum Ausdruck zu bringen. Dies könne den Versöhnungsprozess zwischen beiden Ländern beschleunigen und zu einer Normalisierung der bilateralen Beziehungen beitragen, sagte Sarksyan in einem am Donnerstag ausgestrahlten Interview mit dem Sender CNN Türk.

Ankara schickt Minister

Die türkische Regierung schickt zum ersten Mal einen Minister zu einem armenischen Gottesdienst zum Gedenken an die Opfer der Massaker von 1915. EU-Minister Volkan Bozkir werde bei dem Gottesdienst im armenischen Patriarchat in Istanbul an diesem Freitag die Regierung in Ankara vertreten, berichtete die Zeitung Vatan laut Kathpress am Donnerstag unter Berufung auf das Patriarchat. Das Blatt wertete die Geste als "historisch".

Am Freitag wird in Armenien offiziell der Opfer der Massenmorde gedacht. Die Türkei räumt ein, dass osmanische Truppen bei Massakern und Deportationen 1915 und 1916 armenische Christen töteten. 2009 hatten Armenien und die Türkei bereits einen Anlauf zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen genommen. Er blieb jedoch in den Parlamenten beider Länder stecken.

Papst Franziskus hat das Heft in die Hand genommen, und daraufhin wagten sich viele Bedenkenträger aus der Deckung: Das, was Hunderttausenden Armeniern vor 100 Jahren im Osmanischen Reich widerfahren ist, sei "Völkermord" gewesen. Mutige Worte, auf die die Türkei beleidigt und über das Ziel schießend reagierte. "Unsinn", polterte Präsident Erdogan, die Klassifizierung der Ereignisse als Genozid durch das Europaparlament gingen dem Staatschef "bei einem Ohr rein und beim anderen wieder raus". Dieses nationalistische Gehabe ist nicht nur der Parlamentswahl am 7. Juni geschuldet, sondern auch der Paranoia der türkischen Führung, das Ausland wolle die Türkei demütigen und schwächen. Das ist zwar Humbug, aber die Regierungspartei AKP fährt gut damit.

Das päpstliche Vorpreschen zum 100. Jahrestag der Massaker ließ jedenfalls die Politik in Berlin und Wien umdenken. In beiden Parlamentserklärungen kommt das Wort Völkermord ausdrücklich vor.

Inhaltlich ist die Genozid-Frage von Historikern eigentlich beantwortet. Das Urteil der allermeisten: Es war Völkermord. Politisch ist die Sache komplizierter. Das Eingeständnis, für die bewusste Vernichtung von bis zu 1,5 Millionen Menschen verantwortlich zu sein, kommt einem eben nicht leicht über die Lippen. Der türkische Premier Davutoglu hat sich angesichts der Tatsache, dass immer mehr Länder von Ankara fordern, den Genozid anzuerkennen, wenigstens ein bisschen bewegt: Er teile den Schmerz der Nachkommen jener Armenier, die ihr Leben bei den Deportationen 1915 verloren hätten. An diese Geste sollten alle Seiten, auch die armenische, anknüpfen, um einen Schritt weiterzukommen. Ein bedingungsloses Einlenken Ankaras wird es nicht geben. Insofern wäre eine gemeinsame Historiker-Kommission, erweitert um internationale Experten, gesichtswahrend für die Türkei. Pikanterweise bremst Armenien. Das ist unverständlich, vor allem vor dem Hintergrund, dass die Faktenlage, wie Eriwan meint, ohnehin erdrückend sei. Genauso unverständlich ist es, dass der armenische Botschafter in Wien ein KURIER-Streitgespräch mit seinem türkischen Kollegen ablehnte. Die andere Seite würde bloß lügen, so die Begründung. Das zeugt von einer tiefen Kluft zwischen beiden Völkern und dass man von einer Lösung noch meilenweit entfernt ist.